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Jan Wagner: Selbstporträt mit Bienenschwarm

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Timo Brandt

Jenseits der großen Würfe wird man gut aufgefangen


„es ist die heißeste stunde des tages
über der stadt. drei busfahrer stehen
im schatten einer pinie aufgereiht
wie kegel, die auf eine kugel warten.“

In der deutschen Lyrikszene gab es (so habe ich es empfunden) eine Art stillschweigende Diskussion, nachdem Jan Wagner 2017 den Büchner-Preis erhielt. Was genau die Argumente dafür waren/sind, seine lyrischen Arbeiten ein klein wenig geringzuschätzen und sein Werk nicht als repräsentativ (und die Auszeichnung daher nicht als stellvertretend) für die deutsche Lyrikszene anzusehen, lässt sich an verschiedenen Stellen nachlesen oder in kurzen, grundsätzlichen Haltungsverlautbarungen erahnen, wobei sie letztlich trotzdem oft im Dunkeln blieben (für mich – ich gebe zu, dass ich möglicherweise die ausufernde Diskussion, die es gab, verpasst habe).

Natürlich gab es auch außerhalb der Lyrikszene eine Diskussion, in der etwas tüchtiger über die Literarizität von Wagners Versen debattiert wurde. Die einen warfen ihm vor, er sei kein Goethe, die anderen wiederum meinten, wenn man ihn als Beispiel nehme, könnte man denken, seit Goethe sei in der deutschen Dichtung nichts Neues passiert (überspitzt formuliert). Belanglos – sagten die einen, verkünstelt – die anderen. Zwischen all diesen Kritiken gab es immer wieder kluge Darlegungen (erst letztens las ich wieder eine solche in Jörg Magenaus Buch „Bestseller“), die aufzeigen, warum Jan Wagners Verse Dichtungen sind, in denen sich sowohl poetische Schönheit als auch Chiffren für die Umstände des Zeitgeschehens, sowie kluge Ansätze für Philosophien des Daseins finden lassen.  

Auch ich fand, dass das Gerede von der Rückkehr der Lyrik – mit Jan Wagner als Galionsfigur –, von den nun anbrechenden „guten Zeiten für Lyrik“, voreilig wirkte und war. Aber bedeutungslos waren die beiden Preise (Preis der Leipziger Buchmesse und Georg-Büchner-Preis) auch nicht. Denn immer-hin kaufte eine größere Anzahl von Leuten mal wieder einen Lyrikband. Man setzte sich mit dem Phänomen Poesie auseinander. Warum einige Lyriker*innen das sofort wieder mit missgünstigen oder abwehrenden Haltungen im Keim ersticken wollten/mussten, werde ich nie ganz verstehen.

„hoch über dem revuetheater hing
der rostende colt des mondes in seinem halfter.
die limousinen glitten lautlos vorüber –
langgestreckte, weiße labyrinthe.

die kalten haifischaugen der swimming-pools …
noch heute sehen wir mit geschlossenen augen
die leuchtreklamen und die bunten lichter
der stadt, die blinkt und blinkt, um nicht schlafen zu müssen.

die nacht ist in uns.“

Ja, Jan Wagner ist nicht der konzeptionellste oder sprachgewaltigste, nicht der experimentellste oder aufrührerischste Poet der deutschen Sprache in unserer Zeit, und seine Werke sind nicht die ambitioniertesten oder filigransten oder facettenreichsten der deutschen Lyrik, die derzeit auf dem Markt ist. Aber er ist ein Dichter, der auf großartige Weise verschiedenste Zugänge zu seinen Werken ermöglicht und in vielen Versen Türen zu ihnen aufreißt. Seine Gedichte sind anschaulich und sprachlich versiert, aber auch weich an manchen Stellen, an anderen mit flüchtigem Esprit, dann wieder meditativ oder mit einem Hauch Komik garniert.

Es sind selten die Gipfelstürmer*innen, die zu den meistgelesenen gehören. Eigentlich fast nie. Sie bereiten Wege, sie erweitern die Grenzen und letztlich wirken sich im besten Fall schon durch ihre wenigen Leser*innen, ihr Werk und ihre Ideen auf das Genre oder sogar das generelle Bewusstsein aus. Und vielleicht werden ihre Werke dann eines Tages doch noch zu Klassikern, wer weiß (Dantes Göttliche Komödie lässt grüßen).

In der Regel werden die am meisten gelesen (bei trotzdem vorhandener hoher literarischer Qualität), die beides zu vereinen wissen – Lesbarkeit, Zugänglichkeit auf der einen und Virtuosität, Eigenwilligkeit auf der anderen Seite. Es muss immer einiges Vertrautes und einiges Überraschende mit dabei sein, einfach gesagt. Genau diese Kombination gelingt Jan Wagner immer wieder. Seine gelungensten Bilder haben etwas sehr Vertrautes, scheinen direkt aus den Archiven des Ansichtigen zu stammen – und doch schafft er es mit ihnen, unsere Vorstellungs-welten neu zu konfigurieren, zu sprengen, zu erweitern.    

„im langen riedgras kauern die kirchen aus weißem
rauhen stein: aus schmalen fenstern blicken
sie unverwandt und trotzig in den himmel,

wartend darauf, dass gott als erster blinzelt.“  

Man kann Jan Wagner für einen etwas zu mustergültigen Dichter halten, ihn einen braven Dichter nennen. Aber nichts ist oftmals so schwierig wie die Balance. Manche Dichter*innen (pardon) retten sich, so glaube ich, (wie auch die Leute allgemein) unbewusst in extreme Positionen, während sie sich selbst vorgaukeln, diese mit Feuereifer zu beziehen. Desto weiter man sich von der Mitte, dem Tummelplatz der Ambivalenzen, entfernt hat, umso klarer sind die Positionen und ihre mitgeführten Ansichten (die sich zu Regeln vertiefen); vielleicht nicht innerhalb dieser Positionen, aber in Opposition zu allen anderen.

Womit ich nicht sagen will, dass Dichter*innen, die solche Positionen (die sich ja auch gar nicht so einfach verorten und in Richtungen unterteilen lassen, so wie ich es jetzt fahrlässig getan habe, was das Wort „solche“ etwas gegenstandslos macht,) dass sie schlecht schreiben oder nicht so schreiben sollten, wie sie schreiben. Ich verstehe sogar ihre Abneigung dann und wann. Aber ihr hohes Ross verstehe ich nicht. Und auch nicht, warum sie ihre Prinzipien nicht einmal ruhen lassen können, um zu schauen, was anders geartete Fertigkeiten vermögen.

Nun ja. Von mir eine ganz klar Empfehlung, was Jan Wagners Gedichte und diesen best-of-Band angeht. Seine große Stärke ist die Beschwörung des Besonderen und Faszinierenden inmitten des Überschaubaren, das sich dadurch gleichsam als greifbar und zugleich unüberschaubar entpuppt. Er kann uns zum Schmunzeln und zum Staunen bringen. Und zum Nachdenken, Nachsinnen, immer wieder. „Nach einem Gedicht schaut man anders auf die Welt“, schrieb Anna Achmatowa. Dies trifft auf Jan Wagners Gedichte in vielen Fällen definitiv zu.

„der zug hielt mitten auf der strecke. draußen hörte
man auf an der kurbel zu drehen: das land lag still
wie ein bild vorm dritten schlag des auktionators.

ein dorf mit dem rücken zum tag. in gruppen die bäume
[…]
in der ferne nahmen zwei windräder
eine probebohrung im himmel vor“
               

Jan Wagner: Selbstporträt mit Bienenschwarm. Ausgewählte Gedichte. Frankfurt a. M. (Fischer Taschenbuch) 2018. 256 Seiten. 12,00 Euro.
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