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Jan Kuhlbrodt: Kaiseralbum

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Dirk Uwe Hansen

Der Kaiser kichert



Jan Kuhlbrodt ist ein Autor, der Grenzen nicht mühsam überschreitet, sondern sie gleich ignoriert. Die Grenze zwischen Lyrik und Prosa ohnehin, aber auch die zwischen Fußnoten und Haupttext, Historiographie, Fiktion und Autobiographie. Und auch vor Buchdeckeln macht er nicht Halt: Ob Kuhlbrodt Blogeinträge schreibt, Rezensionen, Reden, Erzählungen, Lyrik: immer greifen die Texte in andere, anderswo erschienene hinein und verzahnen sich miteinander, nicht zuletzt durch die in allen Texten neben dem Autor Jan Kuhlbrodt präsenten Person Jan Kuhlbrodt. So entsteht ein vielfältiges Ganzes. Sicher ist dabei, auf welchen Wegen und in welchen Gangarten auch immer die Leser mit diesem Autor unterwegs sind, dass der Weg früher oder später am Leipziger Völkerschlachtdenkmal vorbeiführt, dem Bauwerk, an dem Kuhlbrodt immer wieder und immer wieder neu das Verhältnis von Eigenem und Fremden, Geschichte und Gegenwart durchspielt.

Nicht anders verhält es sich mit dem soeben erschienen Band „Kaiseralbum“ (Völkerschlachtdenkmal: S. 28 FN 43), einem Band, der ebenso Teil dieses vielfältigen Gesamtwerkes wie auch sein Spiegel im Kleinen ist. Denn es sind in der Tat vielfältige Texte, die hier versammelt werden: Wir reisen im 13. Jh. mit Kaiser Friedrich durch Europa, gehen im 20. Jh. mit Kuhlbrodt auf eine Bildungsreise nach Rom, besuchen Chemnitz, Frankfurt und natürlich Leipzig (oder besser: die Umgebung von Leipzig), drei Orte, die für die Biographie des Autors von entscheidender Bedeutung sind.

Lustvoll-entspannt spielt Kuhlbrodt hier mit den Genregrenzen. Etwa, wenn im ersten Teil, dem Kaiseralbum, das Verhältnis Text (Choräle, Kantaten, Lieder) – Fußnoten (Prosa) nicht nur ausgeglichen ist, sondern sogar die Fußnoten durch übersteigert große Nummern (wohingegen die Referenzziffern im Text so winzig sind, dass man sie kaum findet) die Aufmerksamkeit des Lesers als allererstes auf sich ziehen.


Drei (Kommentar eines Zurückgelassenen)

Der Kaiser freut sich und schöpft keinen Verdacht
schaut mit Bedacht auf die Burg seiner Väter, denkt sich:
Das ist der richtige Ort, mit Bier und Brot für die meinen
den ältesten Sohn und die Seinen. Genauer. Lässt zügig
die Ziehbrunnen noch überprüfen, die satten Weiden
greift noch einmal ins Gras und schürft zwischen Steinen
lässt Sand hier und Schwarzerde da durch die Finger gleiten
durch die Handschuhe rieseln, und kichert heiser. Der Kaiser
denkt vor der Flucht noch: hier werde ich, mit schlechtem Gewissen
und gutem Grund meinen Ältesten und die Seinen zur Wehr
gegen den Norden zurücklassen, wenn ich mich endlich
auf Reisen begebe (Scheiße, nicht hier! sagt der Autor, oder der Sohn)
will heißen, nach Italien. Ich möchte es heiliges Land nennen.
Doch dieser Name ist schon vergeben ans heilige Land.


Und nur zur Illustration eine der drei Fußnoten zu diesem Gedicht (zur vorletzten Zeile):

„Wir dürfen uns nichts vormachen, eine deutsche Italiensehnsucht ist noch kein Anzeichen postnationaler Identität. Eher im Gegenteil. Aber vielleicht liegt der Ausweg aus dem Nationalismus ohnehin nicht in der Ausweitung, sondern in der Einengung des Begriffs, Gruppenidentitäten, Grüppchenidentitäten, Ich-identitäten. Was natürlich einer Aushöhlung des Inhalts gleichkäme. Aber was erwarten wir, ist eine Höhle doch nur ein ausgedehntes Loch und ihre Wände Projektionsflächen für platonische Schattenspiele. schrumdibum ;-)“

Weniger verspielt als die sechs Zyklen des Kaiseralbums ist das Gedicht „Requiem in Rom“, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wohl und eine berührende Erinnerung an die Dichterin Beatrix Haustein.

...
Auch weil Beatrix starb
eine handvoll Jahre nach Rom
einen Wimpernschlag später
erschwert von Kajal. Erschwert
vom Ehrgeiz, sich selbst zu verlassen
ein Ehrgeiz, der eine Not war.

...

Texte, die sich zunehmend von der Lyrik zur Prosa hin bewegen zu den drei Städten Chemnitz (Kuhlbrodts Geburtsstadt), Frankfurt/a.M. (wo er studiert hat) und Leipzig (wo er lebt), bilden den Abschluss des Bandes – wieder ein Album also, ein Album, das Zeitgeschichte und persönliche Geschichte miteinander verflicht.

Versuchen Sie mal, daraus eine Story zu machen. Aber
Geschichte war es. Geschichte, die alles durcheinander brachte
wie die Chemnitzer Innenstadt.
Inzwischen wurden die kriegsbedingten Freiflächen
mit Kaufhäusern gepflastert.

Als ich auf die Welt kam, also als ich nach Chemnitz kam
war die Stadt noch ohne Gesicht.
Heute hat sie den Kopf, aber ihren Namen verloren.
Gott sei Dank, sagen die einen. Die anderen
zum Glück.


Aus Geschichte eine Story zu machen, oder aus Geschichte seine eigene Geschichte zu machen – vielleicht ist es das, was Kuhlbrodt immer wieder neu versucht. Ihm dabei von Text zu Text zu folgen, ist ein Abenteuer und ein Vergnügen zugleich.


Jan Kuhlbrodt: Kaiseralbum. Berlin (Verlagshaus J. Frank) 2015. 100 Seiten. 13,90 Euro.

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