Direkt zum Seiteninhalt

Interview mit Peter Salomon

Dialoge
Interview mit Peter Salomon
geführt am 5. Oktober 2019 von Stefan Hölscher



Stefan Hölscher:
Lieber Peter Salomon, ich habe gerade Deinen neuen Lyrikband „Mylord“ gelesen und in Bezug auf die Sprache Deiner Gedichte stellt sich mir eine ähnliche Frage wie schon nach „Die Jahre liegen auf der Lauer“, einem früheren Gedichtband von Dir, den ich vor einiger Zeit mal gelesen habe: Der Stil Deiner Gedichte scheint so klar, so einfach, so geradeaus, so wenig komplex, dass man sich fragen könnte: Willst Du damit eigentlich provozieren, hast Du ein paar Entwicklungen verpasst, kannst Du nicht anders? Warum schreibst Du so?

Peter Salomon:
Ich drücke mich gerne verständlich aus und nicht verschroben / verschwiemelt / hermetisch - nicht nur im Alltag, sondern erst recht in den Gedichten.

Stefan Hölscher:
Verständlichkeit halte ich auch für ein hohes Gut. Aber landen wir allein damit in der Lyrik? Es gäbe Leute, die anzweifeln würden, dass Deine Texte „Gedichte“ sind. Warum hältst Du sie dafür?

Peter Salomon:
Lyrik war und ist meistens verständlich - die schwer verständliche ist die Ausnahme. Man denke an Benn, Brecht, Dieter Leisegang, Robert Gernhardt - da hat ja auch niemand Zweifel, dass deren Hervorbringungen Gedichte sind.  

Stefan Hölscher:
Da kann man erst mal kaum widersprechen, aber ich möchte trotzdem noch mal nachhaken, zumal Du jetzt ja vor allem frühere Dichter aufgeführt hast. Zur Signatur gegenwärtiger Lyrik gehört ja, wie viele ihrer Kenner*innen sagen würden, gerade auch der sprachlich und historisch hoch reflektierte Umgang mit Formen, Themen, Perspektiven, Ansätzen etc. und das Abweichen von herkömmlichen Verstehens-Erwartungen. Wie verhält sich aus Deiner Sicht Dein poetischer Ansatz dazu?

Peter Salomon:
Auch meine Klartextgedichte haben viele Formen, Themen, Perspektiven und Ansätze, und sie versuchen neuartige Seh- und Verhaltensmuster zu berücksichtigen oder bloßzustellen. Die Gedichte sind ja keineswegs "wenig komplex", wie Du am Beginn gesagt hast. Das scheinbar Einfache herstellen ist ja auch eine Kunstanstrengung, der man es bloß nicht anmerkt. Das "Einfache" stellt sich nicht von allein ein, sondern ist ein Ausdruck, der erst einmal hergestellt werden muss. Ich dichte ja nicht wie ich im Alltag rede.

Stefan Hölscher:
Das glaube ich Dir gern. Lass mich trotzdem noch einmal dranbleiben: Ich habe gerade Deinen neuen Band mit offenbar autobiographisch geprägten Erzählungen „Vorteile der zweiten Klasse“ gelesen. Darin habe ich einige der Texte, die auch in „Mylord“ sind, wiedergefunden -  vom Text her, glaube ich, gleich, aber nicht als Gedicht, sondern als kurze Erzählung gesetzt. Was macht für Dich ein Gedicht aus?

Peter Salomon:
Ich rede hier als Praktiker. Man kann, wenn man will, Gedichte in Prosa-Texte umformen, manchmal, selten, wenn sie schon sehr erzählerisch waren. Umgekehrt geht es eher nicht. Auch dass ein Gedicht als Prosa durchgehen kann, ist ja eine absolute Ausnahme. Dass ich das in den beiden Büchern so gemacht habe, ist auch eine Ausnahme, aus der ich nichts schlussfolgern will. Ich finde, hier hat es funktioniert – und die beiden Verleger fanden es auch, denn beide Bücher sind in verschiedenen Verlagen erschienen.   

Stefan Hölscher:
Dass es in den angesprochenen Fällen funktioniert, finde ich übrigens auch. Aber wenn wir schon über Kategorien und Formen sprechen: Du nennst die Gedichte in „Mylord“ „schwule Gedichte“, auch wenn Du in den Nachbemerkungen sagst, dass ein Gedicht ja nicht im eigentlichen Sinn schwul sein kann. Gedichte haben keinen Sex. Aber wenn Du sie schon so nennst: Was sind für Dich „schwule Gedichte“?

Peter Salomon:
Noch mal kurz zur Frage zuvor: Es sind nur zwei Fälle, in denen ich ein Gedicht in einen Prosatext umgeformt habe. Aber der Prosatext ist nicht der gleiche wie der Gedicht-Text, wie Du gesagt hast. Es ist umgearbeitet worden in Prosa, denn die Prosa sollte nicht wie "lyrische Prosa" einherkommen.
Aber jetzt: Schwule Gedichte sind Gedichte, in denen es um gleichgeschlechtliche Sexualität, Liebe und Phantasie geht. Das ist der "Inhalt". Die Form sollte salomonisch sein, wie meine anderen Gedichte auch.

Stefan Hölscher:
Gedichte haben es ja heute mehr als schwer, Leser*innen zu finden. Schwule Gedichte haben es noch etwas schwerer, wenn das überhaupt geht. Welche Rezeption Deiner Gedichte ist Dir wichtig und über welche freust Du Dich besonders?

Peter Salomon:
Ich habe ja als Literaturhistoriker viel im 20. Jahrhundert geforscht. Nach dem Ende des Expressionismus ca. 1923 hatte es die Lyrik immer schwer –  zwischen 1923 und 1933 wohl noch viel schwerer als heute. Dieses Selbstbild gehört zur Lyrik dazu. Als ich 1969 anfing, war es besser als heute - aber beide Fälle wurden als Lyrik-Boom verkauft. Worüber ich mich freue? Über begeisterte Leser und über analytische.

Stefan Hölscher:
Da interessiert mich jetzt auf jeden Fall zweierlei: Wo triffst Du die begeisterten Leser besonders an und was fandst Du 1969 in Bezug auf die Lyrik besser als heute?

Peter Salomon:
Die Frage ging doch nach der Rezeption meiner Lyrik und über welche ich mich freue. Ich habe sie als abstrakt verstanden und nicht nach bestimmten Vorfällen mit Lesern.
Ende 1960 ff. gab es eine kollektive Lyrik-Bewegung, in der die Einzelnen agierten - ähnlich dem Expressionismus oder der Dada-Bewegung.

Stefan Hölscher:
Dann hätte ich was Konkretes zur Frage nach den begeisterten Lesern zu bieten: Eine Kollegin von mir in meinem Arbeitsfeld Managementberatung und Coaching hat meine Rezension zu „Mylord“ gelesen. Meine Kollegin ist weder queer noch hat sie irgendeine Nähe zur Gegenwartslyrikszene.  Aber die in der Rezension zitierten zwei „Frank“-Gedichte haben ihr so gut gefallen, dass sie das Buch leihen und lesen möchte. – Um nun aber zur nächsten Frage zu kommen: Ende der sechziger Jahre hast Du eine kollektive Lyrik-Bewegung wahrgenommen. Was erlebst Du denn heute?

Peter Salomon:
Ich bin inzwischen 72 Jahre alt und habe zwischen Stuttgart-Zürich und Ulm-Straßburg ein gewachsenes Beziehungsgeflecht. Innerlich bin ich Berliner, man hört es auch noch, wenn ich spreche. Der Kontakt zum Rimbaud-Verlag in Aachen und das dort erschienene neue Buch haben mir etwas Aufwind verschafft. Auch Kontakte zu jüngeren Kollegen, die auch im Internet aktiv sind. Es gibt zwar keine große Bewegung in Aufbruchsstimmung mehr, aber es gibt neue Impulse und geht jedenfalls nicht bergab. Und es hat auch in jüngster Zeit noch Anerkennung für meine Literatur gegeben.

Stefan Hölscher:
Das freut mich. Zwei Fragen habe ich noch zum Abschluss: Was ist Dein nächstes Schreibprojekt?

Peter Salomon:
Das ist ja nur eine Frage. Der Rimbaud-Verlag will nächstes Jahr ein Prosabuch von mir machen, eine autobiografisch angehauchte "schwule" Erzählung, die muss ich noch fertig schreiben. Statt einer Antwort auf die fehlende zweite Frage sage ich noch, welche lebenden Lyriker ich besonders schätze: Jürgen Becker, Hans Dieter Schäfer, Helmut Krausser und Clemens J. Setz.

Stefan Hölscher:
Eins nach dem anderen: Meine zweite Frage kommt jetzt. (Ich vergesse Fragen nur selten.) Welche Nicht-Klartextgedichte, wenn ich das mal so sagen darf, liest Du und magst Du?

Peter Salomon:
Ich sage wieder Autoren-Namen: Arne Rautenberg und Crauss – oder sind die schon zu verständlich? So viele kenne ich nicht.

Stefan Hölscher:
Ich persönlich würde die auch eher auf der Klartext- als auf der Nicht-Klartextseite sehen. Aber lassen wir das einfach mal so stehen.
Vielen Dank, lieber Peter Salomon, für das Gespräch und natürlich: Alles Gute für das aktuelle Schreibprojekt!


Angaben zu den im Interview erwähnten Büchern:
Peter Salomon, Mylord. Schwule Gedichte. Aachen, Rimbaud Verlag 2019, 48 S. 20 €
Peter Salomon, Vorteile der zweiten Klasse. 25 Erzählungen. Edition Isele im BoD-Verlag Norderstedt 2019, 148 S. 16,80 €
Zurück zum Seiteninhalt