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Ingo Ebener: Für Rilke

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Ingo Ebener

Für Rilke


1.

Die Sonette an Orpheus, Erster Teil, II. Sonett

Und fast ein Mädchen wars und ging hervor
aus diesem einigen Glück von Sang und Leier
und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier
und machte sich ein Bett in meinem Ohr.

Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf.
Die Bäume, die ich je bewundert, diese
fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese
und jedes Staunen, das mich selbst betraf.

Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast
du sie vollendet, daß sie nicht begehrte,
erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief.

Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv
erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte? -
Wo sinkt sie hin aus mir? ... Ein Mädchen fast ...



er machte sich ein bett in meinen ohren
und spielte schlafmusik und stille
fing, fing an zu pochen und zu bohren
und bilder krochen tief in jede rille

ein staab wird brüchig und erstirbt
ein raunen und fast ein geschrei
und immer ist auch mohn dabei
der wie ein strauß mit worten wirbt

die spur ist endlos, voller räume
weil dunkles mich zum argen drängt
und stürmisch meine träume lenkt

was bleibt, ich weiß es nicht zu sagen
ist stumm, ist tanz, ist ziehn und wagen
und mit dem schönsten wort: ist klagen


2.

Das Buch der Bilder,  „Eingang“

Wer du auch seist: am Abend tritt hinaus
aus deiner Stube, drin du alles weißt;
als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:
wer du auch seist.
Mit deinen Augen, welche müde kaum
von der verbrauchten Schwelle sich befrein,
hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum
und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein.
Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß
und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift.
Und wie dein Wille ihren Sinn begreift,
lassen sie deine Augen zärtlich los ...

und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift
verliert dein Blick sich in den Augen
es scheint als würden keine Wege taugen
weil Leben ständig maßlos übergreift
und jedes Schweigen lauter ruft und schreit
kein Finden lohnt und kein Vergleichen
das Neue will dem Alten weichen
will reife Lieder voller Zorn und Leid
Mein Schreiben fügt sich Furcht und Zittern
weil meine Worte Mandeln bittern
weil meine Sterne Schwermut wittern
das Leichte ist zu schwer zu sagen

wir haben keine Welt für Fragen
wir müssen hoffnungsvoll versagen


3.

Die Sonette an Orpheus, Erster Teil,  X. Sonett

Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,
grüß ich, antikische Sarkophage,
die das fröhliche Wasser römischer Tage
als ein wandelndes Lied durchfließt.

Oder jene so offenen, wie das Aug
eines frohen erwachenden Hirten,
- innen voll Stille und Bienensaug -
denen entzückte Falter entschwirrten;

alle, die man dem Zweifel entreißt,
grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,
die schon wußten, was schweigen heißt.

Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?
Beides bildet die zögernde Stunde
in dem menschlichen Angesicht.



alle, die man dem Zweifel entreißt,

begeben sich lachend auf Reisen
die Häuser bleiben leer und verwaist
wie grüne Wälder voller Schneisen

wo sind sie hin die Zweifellosen?
man sieht sie nicht, doch hört ein Tosen
sie haben keinen Körper mehr
doch sind auch ihre Seelen leer?

das alles ist phantastisch, oder?
der schöne Schein ist immer Moder
unartig wie die Bilder schweigen

ein schauderhafter Wolkenschluck
er schwindet oft mit einem Ruck
der Rest, der Rest ist Reigen


4.

Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil,  VI. Sonett

Rose, du thronende, denen im Altertume
warst du ein Kelch mit einfachem Rand.
Uns aber bist du die volle zahllose Blume,
der unerschöpfliche Gegenstand.

In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung
um einen Leib aus nichts als Glanz;
aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidung
und die Verleugnung jedes Gewands.

Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft
seine süßesten Namen herüber;
plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.

Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, raten ...
wir Und Erinnerung geht zu ihm über,
die wir von rufbaren Stunden erbaten.



Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft

Es sind nicht deiner Worte Spuren

Hier rinnt nur Sand aus deinen Uhren
Und das Atmen stammt aus der Gruft

Und steigt wie ein langer Blick in die Luft
Ich aber kenne diesen dunkelnden Klang

Und ich weiß – die Unterwelt wird Gesang
Das künstliche Paradies aber wird Kluft

Und ohne das Wagnis sich mitzuteilen
Müssen die Musen in Museen verweilen

Mir fehlt ihr stechendes Rufen und Plagen
Und nur die Stille stillt meine klaffenden Klagen

So bleibt es nur auf das Unerhörte zu hören
Damit sich reicher Narr und armer Tor betören


5.

Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil,  XII. Sonett

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden

Punkt.


Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau's?
Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
Wehe -: abwesender Hammer holt aus!

Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
und sie fuhrt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.

Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.


Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung

Der wird sich zum nassen Verlies, ohne namentliche Nennung
Und fängt es dann zu sprechen an, können die Worte nicht

wieder zurück

Sie widerstehen jedem Verstehen, sie verteilen sich Stück für

Stück


Kaum krümmt sich der Raum mehr als jeder Rücken
Verschließt sich dein Traum nur dem Verzücken
Wenn auch der Schlaf nur Ruhe erschwindeln kann
Entrückt dir der Blick, der die Ferne ersann

Die flüssigsten Begriffe verfestigen sich
Ja, weil doch alles andere Andere wich
Der Anfang verzaubert noch den Verlust

Wir werden uns des Rätsels bewusst
Manchmal steckt das Genie
in der Tautologie


6.

Die Sonette des Orpheus, Zweiter Teil, XXVII. Sonett

Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?
Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?
Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,
wann vergewaltigt's der Demiurg?

Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,
wie das Schicksal uns wahr machen will?
Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche,
in den Wurzeln - später - still?

Ach, das Gespenst des Vergänglichen,
durch den arglos Empfänglichen
geht es, als wär es ein Rauch.

Als die, die wir sind, als die Treibenden,
gelten wir doch bei bleibenden
Kräften als göttlicher Brauch.



Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?

Ich kenn' nur Uhren und Wecker, mich störende
als ich verlassen zugrunde ging
und mich in Blicken verfing

zerriss mich das Leben ganz in Stücke
verklebte mich aus Zwang und Brauch
und überklebte jedes Wenn und Auch
doch jede Collage hat ihre Lücke.

Zerteile dich, du bist so schön
vom Autogramm bis zur warmen Zwangsjacke
vom Klagelaut bis zum hundertsten Lacke.

Nur eins zu sein, das wäre obszön
übergib dich ganz dem jetzigen Spiel
denn Vergängliches gibt immer zu viel.


7.

Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil,  XXVII. Sonett

Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?
Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?
Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,
wann vergewaltigts der Demiurg?

Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,
wie das Schicksal uns wahr machen will?
Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche,
in den Wurzeln - später - still?

Ach, das Gespenst des Vergänglichen,
durch den arglos Empfänglichen
geht es, als wär es ein Rauch.

Als die, die wir sind, als die Treibenden,
gelten wir doch bei bleibenden
Kräften als göttlicher Brauch.



Ach, das Gespenst des Vergänglichen,

das hab ich schon lang nicht gesehn
Wir bleiben im Unverfänglichen
dann brauchen wir nichts zu verstehn

Alles ist so schrecklich vergnüglich
Auch Jammern und Schaudern sind bunt
Ab in die Manege – unverzüglich
das Eckige wird endlich rund

Von Geburt an geschminkt für Torturen
Verstellen wir uns pünktlich die Uhren
Und spüren doch kaum einen Hauch

Hinter Gewohnheit und Brauch
Tanzt der Verstand in der Reihe
und Ketten rufen leis 'Befreie'


8.

Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil,  II. Sonett

Schon, horch, hörst du der ersten Harken
Arbeit; wieder den menschlichen Takt
in der verhaltenen Stille der starken
Vorfrühlingserde. Unabgeschmackt

scheint dir das Kommende. Jenes so oft
dir schon Gekommene scheint dir zu kommen
wieder wie Neues. Immer erhofft,
nahmst du es niemals. Es hat dich genommen.

Selbst die Blätter durchwinterter Eichen
scheinen im Abend ein künftiges Braun.
Manchmal geben sich Lüfte ein Zeichen.

Schwarz sind die Sträucher. Doch Haufen von Dünger
lagern als satteres Schwarz in den Aun.
Jede Stunde, die hingeht, wird jünger.



Manchmal geben sich Lüfte ein Zeichen.

Manchmal weichen Wolken das Himmlische auf,
denn der Wolkenlauf führt nicht immer herauf
und scheinbar verstellen sich Weichen

und Züge zieht es ganz langsam davon
zu dem Stern der tanzend das Chaos ersponn',
wenn ich lange in die Ferne nur seh',
dann tut mir der Himmel nicht mehr weh.

Gedanken aber gibt es nicht dort,
sie hängen mal rum, doch zieht es sie fort
und wie Gesetze kennen sie unmerkliche Plätze.

Sie kommen nicht einfach zur Ruh',
drum zerfallen auch alle diese nutzlosen Sätze
lächelnd lächerlich leicht immerzu.


9.

Die Sonette an Orpheus, Zweiter Teil, XXII. Sonett

Rufe mich zu jener deiner Stunden,
die dir unaufhörlich widersteht:
flehend nah wie das Gesicht von Hunden,
aber immer wieder weggedreht,

wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.
So Entzognes ist am meisten dein.
Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,
wo wir meinten, erst begrüßt zu sein.

Bang verlangen wir nach einem Halte,
wir zu Jungen manchmal für das Alte
und zu alt für das, was niemals war.

Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,
weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen
und das Süße reifender Gefahr.



Rufe mich zu jener deiner Stunden,

damit ich schweigend deine Wunden
durch meine schwarzen Augen sehe
und blindlings neue Wege gehe.

Ich schreibe, was ich nicht verstehe,
verschweige mich erneut an mir
und hoffe, dass ich mich verlier',
damit ich nahtlos zu dir stehe

wenn ich in der Nacht radiere,
in der es die Sterne nicht gibt
und Gebiete aus Blei markiere,

dann doch, weil die Stimmung kippt
in die Zwischenwelten schwindet
und ein Ich sich neu erfindet.

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