Hasune El-Choly: Jetzt bleiben Fragmente
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Timo Brandt
Hinter uns Ruinen, wir
mit Bildern von Ruinen
„Hier, inmitten desglänzenden Schwarzdeiner Iris, wo dasunsichtbare Zischender Zündschnurentflammt war,verbleibt die Hoffnungmich nach dem Knallzwischen denÜberresten vermissterWorte wieder zufinden.“
Hasune El-Choly wurde in Beirut, im Libanon, geboren, mitten
im libanesischen Bürgerkrieg. Als er zwei Jahre alt war, immigrierte die
Familie nach Deutschland. Aufgewachsen mit Arabisch und Deutsch, hat er für
sich (wie er im Nachwort schreibt) das Deutsche als Sprache seines poetischen
Ausdrucks gewählt – um zu beschreiben, was „die Phantasie verspricht und die
Wirklichkeit zusammenhält“, wie er die Tätigkeit des Schreibens, ebenfalls im
Nachwort, summiert.
Über das Buch schreibt er:
„Jetzt bleiben Fragmente ist der retrospektive Blick auf die verschiedenen Stationen im Leben, eine andauernde Frage, deren Beantwortung mir am Herzen liegt: Was bleibt zurück, nachdem etwas Großes im Leben zerbricht? Was verändert in uns die Trauer um den Verlust, wenn wir die Trauer zulassen, uns mit ihr auseinandersetzen?“
In der Tat ist die Retrospektive, das Rückwärtsgewandte, ein zentrales Motiv und oft auch die entscheidende Dynamik in El-Cholys Texten. Die Gegenwart des Gedichtes ist meist nur der Ort der Bündelung (der Titel kündigt es ja gewissermaßen an), der Knotenpunkt der Vergangenheiten, die herauf-dämmern oder auch drohen überwältigend zu werden, und die das lyrische Ich bannt und analysiert, in Bahnen und Bilder lenkt.
El-Choly bedient sich dabei sprachlich sowohl bei der
bewährten Metaphorik, setzt aber immer wieder bestechende eigene Akzente. Seine
Bilderwelten können das zarte Hin und Her von Wellenrauschen haben, aber auch
die Wucht einer genialen Kameraeinstellung, einen zarten Eindruck, aber auch
eine bedrückende Stille, einen Kloß im Hals hinterlassen.
„Und die Tage fielen zu Boden, wie Bildervon rissigen Wänden.“„Und fühle mich wie HaroldLloyd, gefangen im Stummfilmdeiner Blicke, die mich kilometertiefdurchdringen, um auf Gedeihund Verderb nach Perlen zu tauchen.“
Viele Sätze und Verse sind wirklich beeindruckend,
allerdings neigt El-Choly auch dazu, sich manchmal zu sehr auf die zwingende
Kraft seiner Bilder zu verlassen, übersteigert sie, will zu viel. Man merkt,
dass er eine große Vorstellungskraft und die entsprechenden sprachlichen
Fähigkeiten besitzt, um diese Vorstellungen zuzuspitzen, innovativ und
nachvollziehbar in Szene zu setzen. Manchmal lässt er seiner Metaphorik aber zu
wenig Entfaltungsraum und schon müssen sich die einzelnen Bilder stapeln,
werden wacklig.
Ein Beispiel:
„auf der Suchenach der Wunden heilenden Zeit,krochen unsere sezierten Träumeaus den Trümmern von Ruinen,wartend hinter dem zweifelhaftenSchutzschild einer lebhaften Maske“
Natürlich steckt auch in diesem Ausschnitt eine Menge
poetisches Potenzial. Aber: „Trümmer“ UND „Ruinen“? Sind Ruinen nicht lange
verfallene Gebäude, keine frisch zerstörten (wobei man natürlich argumentieren
könnte, dass gerade hier eine sehr gelungene Metapher lauert: über
Einrichtungen/Ideen/etc., die schon lange Ruinen sind, aber erst jetzt auch
zertrümmert wurden/sich erneut als Trümmer zu erkennen geben).
Aber ganz allgemein wird hier für meinen Geschmack zu
schnell zu viel ins Spiel gebracht: „Wunden“, „Zeit“, „Träume“, „Ruinen“,
„Maske“. Eine solche Dichte hinterlässt mitunter einen nachhaltigen,
geheimnisvollen Eindruck und ist für andere Leser*innen vielleicht sogar enorm
verführerisch. Ich werde, wie gesagt, das Gefühl nicht los, dass diese oft
leicht wüste Form der Kontemplation die Dimensionen der Gedichte ein bisschen
zu unübersichtlich werden lässt.
„Und was uns übrig blieb?War ein lautloses Sterben amHimmel der erfundenen Sprache.“
Das soll natürlich keineswegs die Kraft und Schönheit von
El-Cholys Bildern schmälern. Es gibt großartige Passagen in diesem Buch.
Es gibt ein paar einzelne Gedichte, die eigene Wege gehen,
aber allgemein hatte ich den Eindruck, dass hier sehr oft dasselbe Gedicht geschrieben
oder ein langes Gedicht immer wieder ergänzt, fortgeschrieben wird, zu dem
jeder neue Ansatz quasi ein Puzzlestück ist. Das ist gar nicht als Kritik
gemeint, denn El-Choly wiederholt sich strenggenommen nicht, er bleibt
lediglich seinen Motiven und seinen Absichten treu – persistant würde man das
im Englischen nennen.
Die Erforschungen, Benennungen, die die Texte auf den
Gebieten von Trauer und Vergänglichkeit, Verblassen und Haltbarkeit anstellen,
haben etwas Traumwandlerisches; sie sind durchaus berührend, aber mehr noch
liegt in ihnen eine vehement bearbeitete und dennoch in jedem Winkel thronende
Indifferenz. Es gibt Dus und Wirs, die subtil, aber auch fragil eingewoben
werden, doch wie die Gegenwart des Gedichts sind auch diese Verweise auf andere
Personen wie durchsichtig, kaum fassbar.
Die Vergangenheit, wie sie sich bei El-Choly darstellt, ist
monströs, zerreißend und anziehend, aber eben auch ein Sehnsuchtsort, in dem
sich das Ich trotz dessen vermeintlicher Tiefe hauptsächlich die Nase an
rahmenlosen, unzugänglichen Gefühlsversprechungen plattdrückt.
Letztlich ein Buch, das viel auslotet und sich dafür das
Spielfeld der Beziehung zur Vergangenheit, zum Vergehen ausgesucht hat – ein
weites Feld, ein tiefes. Wer hinabtauchen will, der sollte „Jetzt bleiben
Fragmente“ als Logbuch, als Aufzeichnungen über Höhlensysteme und Licht in der
Dunkelheit mit sich führen.
„Und noch in den Trümmerfeldern stehend,auf der Suche nach beschwichtigenden Worten.Für alles Leid dieser Welt[…]am Grabe von Operationen am offenen Herzen.“
Hasune El-Choly: Jetzt bleiben Fragmente. Gedichte. München
(Aphaia Verlag – Mitlesebuch 144) 2018. 58 Seiten. 9,90 Euro.