Direkt zum Seiteninhalt

Gottsched: Das XI. Capitel

Poeterey





Erster allgemeiner Theil


Das XI. Capitel.


Von der poetischen Schreibart.


1. §. Nachdem wir nun alles Zubehör der poetischen Schreibart insbesondre nach einander erwogen haben: so müssen wir auch sehen, was aus Zusammenfügung alles dessen in der Poesie für ein Ganzes entsteht. Dieses ist die poetische Schreibart, die wir in diesem Capitel abhandeln wollen. Was die Schreibart überhaupt sey, ist nach so vielen andern, auch von mir, in meiner Redekunst schon abgehandelt worden. Ich habe daselbst gewiesen, daß sie der Vortrag vieler zusammenhangenden Gedanken sey, welcher durch solche Sätze und Redensarten geschieht, daraus man ihre Verknüpfung deutlich wahrnehmen kann. Diese Erklärung gab mir damals Anlaß zu folgern, daß es in der Schreibart hauptsächlich auf die Art zu denken ankomme, und daß ein Scribent in seinen Schriften, wo nicht seine Gemüthsbeschaffenheit, zum wenigsten doch die Fähigkeit seines Verstandes abschildere. Denn kein Mensch kann besser schreiben, als er vorher gedacht hat. Ein wüster und leerer Kopf kann gar nichts; ein verwirrter nichts ordentliches, ein schläfriger nichts lebhaftes; ein finstrer Geist nicht deutlich; ein niederträchtiges Gemüth nicht edel; ein närrischer Phantast nicht vernünftig schreiben. Es ist also eine vergebliche Sache, wenn sich viel junge Leute auf eine schöne Schreibart legen wollen; ehe sie recht denken gelernt haben. Der Kopf muß erst recht in die Falten gerückt, von Unwissenheit, Irrthümern und Vorurtheilen befreyet, mit Wissenschaften, Liebe der Wahrheit und Erkenntniß des Guten erfüllet werden: so wird hernach die Feder schon von sich selbst folgen:

VERBAQUE REM PRAEUISAM NON INUITA SEQUENTUR.

HORAT.


2. §. So deutlich dieses einem jeden in die Augen leuchtet; so sehr muß man sich wundern, daß es noch Leute giebt, die es in Zweifel ziehen, und sich bemühen zu behaupten: es käme bloß auf die Wörter und Ausdrückungen an, wenn etwas hoch, oder sinnreich, oder niedrig klänge. Man sollte es nicht denken, daß auch Scribenten, die eine ziemliche Einsicht blicken lassen, auf solche Einfälle gerathen könnten. Man sage mir doch einen niedrigen Gedanken, mit solchen Worten, daß er hoch, nicht nur scheine, sondern in der That sey; man sage mir auch einen hohen oder scharfsinnigen Gedanken, ohne Zusatz andrer Einfälle, mit solchen Worten, daß er niedrig herauskomme: so will ich mich gern gefangen geben. Was hatte z.E. jenes genuesischen Dogen Antwort in Paris, auf diese Frage: Was ihm daselbst am merkwürdigsten vorgekommen wäre? hohes in Worten an sich, als er schlechtweg: Ich! erwiederte? Und wie hätte man ein niedriger Wort ersinnen können, einen so edlen Gedanken niederzuschlagen, als dieser war: daß ein genuesischer Doge, der den König in Frankreich, im Namen seiner Republik um Vergebung bitten muß, die seltsamste Sache sey, die man in Paris sehen könne.
Gleichwohl bleibt er unverändert; und man sage dieses, wie man will, so wird es ein edler Gedanke für denjenigen bleiben, der ihn zuerst gehabt, und zu rechter Zeit gesagt hat. Eben das wollte ich von allen andern Exempeln des Hohen zeigen, wenn es nöthig wäre, Leute zu widerlegen, die nur aus einem Kützel, andern zu widersprechen, etwas Seltnes behaupten wollen. Man sehe indessen in den Anmerkungen zum französischen Longin, und in der gelehrten Dissertation unsers Herrn Wollen von diesen Worten Mosis, die Streitigkeiten nach, die Boileau über die Hoheit der mosaischen Worte: Es werde Licht, und es ward Licht; mit verschiedenen Gelehrten gehabt hat.
3. §. So viel war von der Schreibart überhaupt allhier zu wiederholen nöthig. Die poetische insbesondere anlangend, so ist es leicht daraus zu muthmaßen, wie dieselbe von der prosaischen unterschieden seyn werde: nämlich nicht in Worten allein; sondern hauptsächlich in der Art zu denken. Wäre jenes, so könnte man zur Noth aus einem poetischen Lexicon, dergleichen Bergmann, Männling, Hamann u.a.m. geschrieben; oder im Lateinischen aus einem GRADU AD PARNASSUM ein Poet werden. Man dörfte nur an statt der prosaischen Redensarten poetische Blümchen darinn aufschlagen, und dieselben zusammen flicken: so würde ein Gedichte daraus werden. Aber weit gefehlt, daß dieses angehen würde; so könnte höchstens nichts anders, als eine poetische Misgeburt daraus entstehen. In einer solchen Schrift würde hernach manches entstehen, was ihr Verfasser niemals gedacht hätte: kurz, es würde gar keine gesetzte Schreibart heraus kommen, weil dieses Geflicke kein Ausdruck von dem Verstande seines Meisters heißen, kein Vortrag zusammenhangender Gedanken seyn würde. Siehe des seligen Herrn Hofraths Pietsch Dissertation von dem Unterschiede der poetischen und prosaischen Schreibart, darinn er verschiedene Regeln und Exempel, die unverwerflich sind, gegeben hat.
4. §. Will also ein Poet poetisch schreiben, so muß er auch zuvor poetisch denken lernen. Wie denken aber die Poeten, wird man vielleicht fragen? Machen sie es nicht eben so, als andere Leute, die einen gesunden Verstand und ihre fünf Sinne haben? Oder, will man ihnen etwa was Göttliches beymessen? Die Frage kann und muß mit einigem Unterschiede beantwortet werden. Fürs erste denken die guten Poeten freylich eben so, als andere vernünftige Leute. Thäten sie dieses nicht, so würden sie rasend oder närrisch seyn: und Demokritus würde Recht gehabt haben, wenn er zur Poesie nur unsinnige Köpfe erfordert hat, wie Horaz berichtet:

– – – EXCLUDIT SANOS HELICONE POETAS
DEMOCRITUS. –


Nein, ein wahrer Dichter muß ja so wohl, als ein ander Mensch, ja noch mehr, als alle, die sich nicht ins Schreiben mischen, eine gesunde Vernunft, richtige Begriffe von Dingen, und eine große Kenntniß von Künsten und Wissenschaften haben. Nach dieser seiner Gemüthsbeschaffenheit nun müssen auch alle seine Gedichte schmecken. Jede Zeile muß, so zu reden, zeugen, daß sie einen vernünftigen Vater habe. Kein Wort, ja wenn es auch der Reim wäre, muß einen übeln Verdacht von dem Verstande dessen erwecken, der es geschrieben hat. Daher ist auch derjenigen ihre Meynung verwerflich, die den Wein zu ihrer Hippokrene erwählen, und sich einbilden, sie könnten im Rausche die besten Gedichte machen. Flemming war ganz andrer Meynung, als er schrieb:

Die trefflichen Poeten,
Die Rächer der Natur, die können Tod, dich tödten;
Sind Gift, dein Gegengift! Sie können nicht vergehn,
Und machen andere, so fallen, wieder stehn.
Nicht solche, welche stets mit Rennen, Betteln, Laufen,
Die große Lügnerey um kleines Geld verkaufen:
Daher wir redlichs Volk so kommen in Verdacht,
Und oftmals mehr, als arg, so werden ausgemacht;
Wenn sie den schandbarn Lohn in Völlerey verschwenden,
Und also unser Reich und ganzen Orden schänden.
Nein! schont der edlen Kunst, und sparet euer Gold,
Ihr, die ihr Kluge seyn, wie Reiche heißen wollt.
Die sinds nicht, die man sucht. Was können doch die Sinnen,
Die satt an Hunger sind, an Durste voll, beginnen?
Was soll ein Kopf doch thun, der stets vom Biere treuft,
Und seinen dürren Sinn im Weinfaß hat ersäuft,
Und ganz und gar verschwendt? Was Todte soll erwecken,
Muß selber lebend seyn, nach Seel und Himmel schmecken.


Das will auch Boileau, wenn er schreibt:


QUELQUE SUJET QU'ON TRAITE, OU PLAISANT, OU SUBLIME,
QUE TOUJOURS LE BONSENS S'ACCORDE AVEC LA RIME.
– – – –
AIMEZ DONC LA RAISON! QUE TOUJOURS VOS ECRITS
EMPRUNTENT D'ELLE SEULE & LEUR LUSTRE & LEUR PRIX.


5. §. Ich will noch ein deutsches Zeugniß aus unserm Rachel anführen, der ausdrücklich in diesem Puncte die Vertheidigung der Poeten in einer Satire über sich genommen hat. Er klaget erstlich dem Tscherning seine Noth, daß man die Poesie, die doch unter funfzigen kaum fünfen glücket, ihm zum Vorwurfe gemacht habe. Hierauf setzt er hinzu:

Daß aber man so gar das Gute darf beschmeißen,
Daß ein Poet ein Narr, ein Narr Poet muß heißen,
Das thut der Unverstand. Weil mancher Büffel zwar
Hat einen großen Kopf, doch Bregen nicht ein Haar.


Er giebt darauf zwar zu, daß die Poeten allezeit aufgeräumte Köpfe gewesen, und zuweilen einen lustigen Einfall nach dem andern vorgebracht hätten: doch unterscheidet er sie von unflätigen Possenreißern, die auch nur von dem Pöbel, der gar nicht zu urtheilen weis, und von denen, die ihm auch wohl bey Höfen an Sitten und Gedanken gleich sind, unter die Poeten gemischet worden. Alsdann setzt er hinzu, was er von einem Dichter fordert:


Wer ein Poet will seyn, der sey ein solcher Mann,
Der mehr als Worte nur und Reime machen kann;
Der aus den Römern weis, aus Griechen hat gesehen,
Was für gelehrt, beredt und sinnreich kann bestehen;
Der nicht die Zunge nur, nach seinem Willen rührt,
Der Vorrath im Gehirn, und Salz im Munde führt;
Der durch den bleichen Fleiß aus Schriften hat erfahren,
Was merklichs ist geschehn vor vielmal hundert Jahren;
Der guter Wissenschaft mit Fleiß hat nachgedacht,
Mehr Oel als Wein verzehrt, bemüht zu Mitternacht;
Der endlich aus sich selbst was vorzubringen waget,
Was niemand noch gedacht, kein Mund zuvor gesaget;
Der zwar dem besten folgt, doch außer Dieberey:
Daß er dem Höchsten gleich, doch selber Meister sey;
Dazu gemeines Zeug und kahle Fratzen meidet,
Und die Erfindung auch mit schönen Worten kleidet;
Der keinen lahmen Vers laßt unterm Haufen gehn,
Viel lieber zwanzig würgt, die nicht für gut bestehn.
Nun wer sich solch ein Mann mit Recht will lassen nennen,
Der muß kein Narr nicht seyn. etc.


6. §. Wie nun an dieser Wahrheit zum wenigsten niemand zweifeln wird, der die Schriften der besten Poeten, sonderlich der Alten, mit Verstande gelesen hat: also müssen wir auch zum andern sehen, was denn nunmehro die poetische Art zu denken von der prosaischen unterscheidet? Die Vernunft kann und soll es nach dem vorigen nicht seyn: was wird es denn wohl anders, als der Witz oder der Geist seyn können? Und in der That macht diese Gemüthskraft, nachdem sie bey einem stärker, als bey dem andern ist, einen großen Unterscheid in den Gedanken. Zwar ohne dieselbe ist kein Mensch zu finden. Ein jeder hat ein gewisses Maaß davon bekommen, ohne welches er sich so gar in Vernunftschlüssen nicht würde behelfen können; wie in der Logik erwiesen wird. Allein bey einigen ist sie sehr lebhaft und stark. Gewisse Geister haben viel Scharfsinnigkeit, wodurch sie gleichsam in einem Augenblicke hundert Eigenschaften von einer Sache, die ihnen vorkömmt, wahrnehmen. Was sie wahrnehmen, das drücket sich, wegen ihrer begierigen Aufmerksamkeit tief in ihr Gedächtniß: und so bald zu anderer Zeit etwas vorfällt, das nur die geringste Aehnlichkeit damit hat; so bringt ihnen die Einbildungskraft dasselbe wiederum hervor. So ist ihnen denn allezeit eine Menge von Gedanken fast zugleich gegenwärtig: das Gegenwärtige bringt sie aufs Vergangene; das Wirkliche aufs Mögliche, das Empfundene auf alles, was ihm ähnlich ist, oder noch werden kann. Daher entstehen nun Gleichnisse, verblümte Ausdrücke, Anspielungen, neue Bilder, Beschreibungen, Vergrößerungen, nachdrückliche Redensarten, Folgerungen, Schlüsse, kurz, alles das, was man Einfälle zu nennen pflegt, und die alle insgesammt aus einem solchen lebhaften Kopfe entstehen. Dergleichen Geister nun nennet man poetische Geister, und durch diese reiche Gemüthskraft unterscheidet sich ihre Art zu denken von der ordentlichen, die allen Menschen gemein ist.
7. §. Wir wollen die Sache durch ein Exempel erläutern. Gesetzt, ein Geschichtschreiber wollte erzählen, daß ein Land durch die drey bekannten Plagen, Krieg, Hunger und Pest angegriffen worden. Er wird solches etwa folgender Gestalt ins Werk richten: »Nachdem der Krieg in dem guten Reiche ein Ende genommen hatte, und die feindlichen Völker abgezogen waren, folgte ein anderes landverderbliches Uebel nach. Die verwüsteten Aecker trugen keine Früchte, weil niemand da war, der sie bauen wollte: und also entstund eine Theurung, die bey dem Armuth nothwendig eine Hungersnoth nach sich ziehen mußte. Auch das war es noch nicht alles. Eine pestilenzialische Seuche machte das Elend des geplagten Landes vollkommen, und beraubte es vollends seiner noch übrigen Einwohner.« Das heißt nun, meines Erachtens, eine historische Schreibart, die das, was sie sagen will, deutlich und ordentlich, richtig und zierlich, nicht niederträchtig, aber auch nicht prächtig vorträgt. Wie wird sich nun ein Poet in gleichem Falle ausdrücken? Amthor soll uns solches zeigen, oder er hat es vielmehr schon auf der 324. Seite seiner Gedichte gewiesen. Er schreibt:

Kaum hatte Mavors Raserey
Den ungeschlachten Durst gekühlet,
Und deine Felder durchgewühlet;
So trat ihm ein Gefährte bey.
Der Mangel ward vom Krieg gebohren;
Weil in der Furchen ödem Grund,
Mehr Blut als warmer Regen stund,
Gieng aller Aecker Zier verlohren.

Dein Elend soll vollkommen seyn!
Zween Feinde hatten dich bestritten:
Noch hast du nicht genug erlitten,
Drum schießt der dritte mit herein.
Morbona bricht durch alle Riegel,
Sie steigt aus einer Todtengruft
Und rühret die vergifte Luft
Durch ihre schwarzgemalte Flügel.

Du wohlgeplagtes Land und Stadt!
Was kann wohl deinen Aengsten gleichen?
Wer zählet die gestreckten Leichen,
Die Mortens Wuth geschlachtet hat?
Du kannst die frechen Seelen lehren,
Was das bedrängte Leben sey:
Und bringst durch tausend Zeugen bey,
Wie sehr die Lust sich kann verkehren.


8. §. Nun halte man dieses mit jenem vorigen gegen einander, so wird es sich sonnenklar zeigen, worinn der Unterscheid der Gedanken bestehe. Dem Poeten sind tausend Dinge eingefallen, daran der Geschichtschreiber nicht gedacht; bey dem Kriege nämlich, der Gott des Krieges, und dessen Blutdurst, imgleichen die Felder, die von einem Heere durchgraben und verderbet worden. Weil die Hungersnoth aus dem Kriege entstanden ist, so fällt es ihm ein, daß die Kin der von ihren Aeltern entstehen: und er braucht also dort das Wort gebohren, welches ein ganzes Gleichniß anzeigt. Wenn er die unfruchtbaren Aecker bedenkt: so sieht er, anstatt des Regens, das Blut in den Furchen laufen. Da vorher von Feinden die Rede gewesen, so sieht er, daß auch der Hunger ein Feind des Landes heißen könne; weil er den Kriegsleuten darinn ähnlich ist, daß er Schaden stiftet. Er zählt also schon zween Feinde, und da ihm die Pest noch vor Augen schwebt, davon er reden soll: so macht er sie zum dritten Feinde, weil er eben die Aehnlichkeit daran bemerkt. Die Seuche bringt ihn auf die Morbona: diese läßt er, ihrer Natur gemäß, aus der Gruft steigen, und, weil sie sehr fürchterlich ist, mit schwarzen Flügeln durch die vergiftete Luft fahren. Hierauf sieht er ihre traurige Wirkungen: er entsetzt sich, und bricht in voller Entzückung in eine heftige Anrede und etliche Fragen aus; beschließt aber endlich mit einer Lehre, die aus der Sache fließt, und seine vorige Beschreibung erbaulich macht. Das mag ein Muster einer vollkommen schönen poetischen Schreibart abgeben: Denn


OMNE TULIT PUNCTUM, QUI MISCUIT VTILE DULCI,
LECTOREM DELECTANDO PARITERQUE MONENDO.


9. §. Ich habe mit gutem Bedachte eine Stelle zum Beyspiel gewählt, darinn das poetische Wesen in voller Stärke zu sehen ist, damit man es desto handgreiflicher spüren und wahrnehmen möchte: denn freylich giebt es verschiedene Grade derselben. Die eine ist an Einfällen und Gedanken reicher, die andre ärmer; nachdem entweder ihr Verfasser mehr oder weniger Geist und Witz besessen hat; oder in einer gewissen Art von Gedichten anbringen gekonnt und gewollt. Woraus entsteht sie aber in diesem so vollständigen Exempel anders, als aus den häufigen und kühnen Metaphoren, Metonymien und andern verblümten Redensarten; aus lebhaften Beschreibungen, kurz angebrachten Gleichnissen, und feurigen Figuren, die den innern Affect des Poeten abschildern? Niemand sage mir, daß man dieses alles auch in Prosa thun könne. Freylich kann es geschehen; aber es wird auch alsdann eine ungebundene poetische Schreibart seyn. Kein guter prosaischer Scribent hat jemals so viel Zierrathe zusammengehäufet: und wenn er es gethan, so haben alle Critici gesagt, er schreibe poetisch. Es läuft auch wider die Absichten, die sich z.E. ein Geschichtschreiber vorsetzen muß. Sein Zweck ist, die nackte Wahrheit zu sagen, das ist, die Begebenheiten, die sich zugetragen haben, ohne allen Firniß, ohne alle Schminke, zu erzählen. Thäte er das nicht, so würden seine Leser nicht wissen, ob sie ihm glauben sollten, oder nicht. Seine große Begierde, schön zu schreiben, würde ihnen einen Argwohn beybringen, ob er nicht die Liebe zur Wahrheit aus den Augen gesetzt? Das ist das Urtheil, so man vom Curtius mit Grunde zu fällen pflegt. Man traut seinen Nachrichten nicht; weil sie gar zu schön klingen. Florus hat es noch ärger gemacht. Seneca, Apulejus, Sidonius Apollinaris, Martianus Capella, Tertullianus sind unter den Alten in übelm Ruffe: Barclajus aber in seiner Argenis, und unzähliche andre, die in lebendigen Sprachen, auch in neuern Zeiten geschrieben haben, sind auch unter diejenigen gezählet worden, die nicht nur poetisch, sondern ganz hochtrabend, schwülstig, ja unsinnig gedacht und geschrieben haben. Wer die Proben von ihrer Schreibart beysammen sehen will, der darf nur Werenfelsens DISSERT. DE METEORIS nachschlagen, welche man auch in dem I. Buche der eigenen Schriften und Uebersetzungen der deutschen Gesellschaft übersetzt nachlesen kann, als die hier einem jeden unentbehrlich ist.
10. §. Nachdem wir nun einmal wissen, worinn die poetische Schreibart besteht, so müssen wir sie auch in ihre Classen eintheilen. Ich darf aber auch hier nur bey den dreyen Arten bleiben, die ich in meiner Redekunst schon angegeben: Nämlich eine ist die natürliche oder niedrige; die andre ist die sinnreiche oder so genannte hohe, die von andern auch die scharfsinnige oder geistreiche genannt wird; und die dritte ist die pathetische, affectuöse oder feurige und heftige Schreibart. Alle drey müssen wir erklären, mit Exempeln erläutern, und von ihren Afterschwestern unterscheiden lernen. Ich weis wohl, daß es gewisse Klüglinge giebt, die in dieser Eintheilung, ich weis nicht, was für ein Mischmasch finden wollen. Sie bilden sich ein, was nicht nach ihrem unreifen Sinne ist, oder vielmehr was denenjenigen, deren Sprachrohr sie abgeben, nicht gefällt, das sey nicht richtig. Imgleichen giebt es noch andre, die mit einer unnöthigen, mehr als metaphysischen Genauigkeit, die Dinge ohne Nutzen vervielfältigen, und wohl zwanzigerley Schreibarten aushecken: wie man im siebenten Bande der critischen Beyträge sehen kann. Allein es wird leicht fallen, ihre ungegründete Urtheile abzufertigen.
11. §. Erstlich dünkt es ihnen, natürlich müßten alle Gattungen der Schreibart seyn; und also könnte man keine besondere Art daraus machen. Wer sieht aber nicht die muthwillige Zunöthigung in diesem Einwurfe? Freylich sind alle Arten des Ausdruckes demjenigen, der sie brauchet, natürlich. Auch ein Pritschmeister redet in seinen garstigsten Possen, dadurch er die Großen belustigen will, seiner Natur gemäß, das ist alber und schmutzig. Auch ein Phantast redet seinem schwülstigen Gehirne gemäß, so wie es ihm natürlich ist; und so weiter. Allein wer hat denn hier das Natürliche dem Uebernatürlichen entgegen zu setzen gedacht? Wird denn der Natur nicht weit öfter die Kunst entgegen gestellt? Die sinnreiche Schreibart aber sowohl, als die pathetische ist weit künstlicher, als die niedrige; wie ein jeder, der sie nur halb kennet, mir zugestehen wird. Mann darf auch nur einen Blick in meine Redekunst thun, wo ich davon gehandelt habe, so wird dieses von sich selbst in die Augen fallen. Dasjenige nämlich, was man im gemeinen Leben, wo man nur auf die Sachen und nicht auf die Worte denkt, in der Historie, in dogmatischen Büchern u.d.gl. braucht, das heißt natürlich: weil man darinn nicht künstelt, sondern zufrieden ist, wenn man sich so deutlich und richtig ausgedrücket hat, daß man leicht verstanden werden kann. Alles übrige, was mit Fleiß ausstudiret wird, das ist künstlicher. Es ist aber auch leicht zu denken, daß man hier nur die schöne Natur versteht, der alle Künstler nachzuahmen pflegen; nicht aber die häßliche, die sich in der Sprache des Pöbels, die demselben natürlich ist, zeiget. Eben darum habe ich sie nicht die gemeine Schreibart nennen können.
12. §. Zum andern will man den Grund dieser Abtheilung wissen: und weil es diesen tiefsinnigen Kunstrichtern so schwer fällt, denselben zu finden; so will ich ihn hieher setzen. Ein Redner oder Dichter will seine Zuhörer entweder schlechterdings unterrichten und lehren, oder er will sie belustigen, oder er will sie endlich bewegen. Mehr Absichten kann er bey der Schreibart nicht haben. Ist das erste, so bedient er sich des natürlichen oder niedrigen Ausdruckes, da man sich der gewöhnlichsten Redensarten und Ausdrückungen gebrauchet. Dieses thun also die Historienschreiber, wenn sie von rechter Art sind, und die dogmatischen Scribenten; auch wohl die Redner in ihren Eingängen, Erklärungen und Beweisen. Ist das andre die Absicht des Scribenten; so muß er allerley sinnreiche Gedanken auf eine eben so sinnreiche Art vortragen; und das thun insgemein Redner, wenn sie hier und da Erläuterungen, gute Einfälle, Lehrsprüche, u.d.gl. in ihren Reden einmengen; sonderlich aber die Poeten, wenn sie bittere Lehren oder Wahrheiten angenehm machen wollen. Will aber ein Schriftsteller endlich das letzte: so muß er die Gemüthsbewegung, die er in andern erwecken will, selbst annehmen, und so feurig und heftig, oder affectuös und pathetisch, als welches einerley ist, reden, daß sein Leser oder Zuhörer auch entzündet wird; wie solches Horaz in seiner Dichtkunst gelehret hat: SI VIS ME FLERE &C. Da hat man nun den Grund meiner Eintheilung; die ich doch nicht einmal für meine Erfindung ausgebe, indem sie schon von so vielen geschickten Kunstrichtern, gebrauchet worden, mit denen ich lieber irren, als mit andern recht haben will.¹
13. §. Die natürliche oder niedrige Schreibart eines Poeten unterscheidet sich zwar von der ungebundenen Rede durch einige oben benannte Zierrathe der Gedanken. Doch erhebt sie sich nicht sehr, verschwendet ihre Blumen nicht, sondern ist mit einem mäßigen Putze zufrieden. Ihr eigentlicher Sitz ist in poetischen Erzählungen, in Briefen, in Satiren, in Lehrgedichten, ungleichen in Gesprächen: wenn die Beschaffenheit der Personen, die sich mit einander besprechen, es zuläßt, daß sie besser reden mögen, als man insgemein spricht. Ein Exempel von Erzählungen giebt uns Canitz in seiner Fabel auf die Tadelsucht:

Merk auf, ich bitte dich, wies jenem Alten gieng,
Der, um die Welt zu sehn, noch an zu wandern fieng,
Sein Esel war sein Pferd, sein Sohn war sein Gefehrte,
Doch als der sanfte Ritt kaum eine Stunde währte,
Da rief ein Reisender ihn unterwegens an:
Was hat euch immermehr das arme Kind gethan,
Daß ihrs laßt neben euch mit schwachen Füssen traben?
Drum stieg der Vater ab, und wich dem müden Knaben.
Doch als er dergestalt die Liebe walten ließ,
Sah er, daß man hernach mit Fingern auf ihn wieß.
Ihr könntet ja mit Recht, hört er von andern Leuten,
Zum wenigsten zugleich mit eurem Buben reiten.
Er folgte diesem Rath, und als er weiter kam,
Erfuhr er, daß man ihm auch dieß für übel nahm.
Es schrie ein ganzer Markt: Ihr thut dem Thiere schaden!
Man pflegt nicht so, wie ihr, sein Vieh zu überladen.
Der Alte, der noch nie die Welt sowohl gekannt,
Kehrt eilig wieder um, wie ers am besten fand,
Und sagte: Sollt ich mich in alle Leute schicken,
So packten sie mir gar den Esel auf den Rucken.


14. §. Dieses ist nun die poetische Art, Fabeln zu erzählen, der sich, im Lateinischen, Phädrus als ein Meister bedienet hat. Virgil, in seiner Aeneis, hat sich eben derselben bedienet, so oft er selber was erzählet, und keinen andern redend einführet. Amthor hat in seiner Uebersetzung die edle Einfalt dieses Lateiners völlig erreichet, darum will ich eine Probe gleich aus dem ersten B. wo es heißt: VRBS ANTIQUA FUIT ETC. hersetzen:


Ein alter Wunderbau, den man Carthago hieß,
Worinn der Tyrier sich häuslich niederließ,
Durch Krieg und Frieden groß, lag der berühmten Tyber,
Und dem Lateinerland zur Seiten gegen über.
Man sagt, daß Juno ihn vor allen hochgeschätzt,
Ja Samus Götterhaus ihm selber nachgesetzt.
Hier war der Waffenplatz für ihre Macht ersehen,
Hier sollte Spieß und Schild nebst ihrem Wagen stehen:
Ja träfe das Geschick mit ihren Wünschen ein,
So sollten Ost und West Carthagen zinsbar seyn.
Und dennoch mußte sie die trübe Zeitung hören,
Es würde Trojens Blut der Tyrer Schlösser stören.
Und ein gefürchtet Volk, von dessen Kronengold
Und seiner Waffen Blitz die Welt erschüttern sollt,
Auch selbst den Lybier von seinem Thron verdringen:
Nichts würde diesen Schluß der strengen Parcen zwingen etc.


Da nun dieses die rechte Schreibart ist, die sich zu einem Heldengedichte schickt, welches eine Erzählung seyn muß: so kann man leicht urtheilen, daß weder Lucan, noch Statius, noch Claudianus in diesem Stücke den rechten Weg gegangen sind. Alle diese schreiben viel zu hochtrabend, als daß ihre Schreibart einer vernünftigen Erzählung ähnlich sehen sollte. Sie gehen immer auf Stelzen; ja mit dem Horaz kann man von ihnen sagen:

NUBES ET INANIA CAPTANT.


15. §. Wir wollen doch eine Probe aus dem Lucan ansehen, um uns durch den Augenschein selbst überführen zu lassen, und die Uebersetzung, die Hofrath Pietsch gemacht hat, hinzusetzen:

BELLA PER EMATHIOS PLUS QUAM CIUILIA CAMPOS,
IUSQUE DATUM SCELERI CANIMUS, POPULUMQUE POTENTEM
IN SUA VICTRICI CONUERSUM VISCERA DEXTRA,
COGNATASQUE ACIES; ET RUPTO FOEDERE REGNI
CERTATUM, TOTIS CONCUSSI VIRIBUS ORBIS
IN COMMUNE NEFAS; INFESTISQUE OBUIA SIGNIS
SIGNA, PARES AQUILAS, ET PILA MINANTIA PILIS.
QUIS FUROR? O CIUES! QUAE TANTA LICENTIA FERRI
GENTIBUS INUISIS LATIUM PRAEBERE CRUOREM?
CUMQUE SUPERBA FORET BABYLON SPOLIANDA TROPAEIS
AUSONIIS, UMBRAQUE ERRARET CRASSUS INULTA:
BELLA GERI PLACUIT NULLOS HABITURA TRIUMPHOS.
HEU QUANTUM POTUIT TERRAE PELAGIQUE PARARI,
HOC QUEM CIUILES HAUSERUNT SANGUINE DEXTRAE!
VNDE VENIT TITAN ETC.


Die Uebersetzung aber lautet so:

Das unfruchtbare Blut, so durch die Bürgerkriege,
Ematien befleckt, der frechen Bosheit Siege,
Des starken Volkes Hand, das sein entblößtes Schwerdt,
So sonst die Barbarn schlug, auf seine Brüste kehrt,
Des Reiches Band getrennt, zwey Blutsverwandte Freunde
Zum Streit erhitzet hat, die als erboßte Feinde,
Mit aller Kraft gekämpft, als die empörte Welt,
Zwey starker Heere Macht zum Treffen aufgestellt.
Als Fahn auf Fahne stieß, als Schild auf Schilde stießen,
Und selbst der Römer Arm mit scharfen Bürgerspießen
Den Adlern drohete; dieß, dieß beschreiben wir.
Rom! was umnebelt dich? Ach! wie gerathet ihr,
Ihr Bürger in die Wuth, den alten Ruhm zu schänden?
Der Römer edles Blut so schimpflich zu verschwenden,
Und gebt, was übrig bleibt, verhaßten Völkern Preis etc.


In eben der aufgeblasenen und unnatürlichen Schreibart fährt der Poet unaufhörlich fort. das macht, er hat lauter übersteigende Gedanken, seltsame Vorstellungen von gewöhnlichen und gemeinen Dingen, weit gesuchte Gegensätze, starke Figuren u.s.w. welches sich alles für Erzählungen nicht schickt. Vom Statius und Claudianus habe ich schon auf der 22. S. in den Anmerkungen zur Horazischen Dichtkunst die Proben angeführet, welche Stelle man nachschlagen kann.
16. §. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht in dieser Schreibart, sonderlich Lucans, viel Feuer, Einbildungskraft und Zierrathe zusammen gehäufet anzutreffen seyn sollten. Dieses kann man den Bewunderern desselben einräumen, ohne deswegen auf ihre Seite zu treten. Es fragt sich nur, ob dieses alles mit Verstande und an dem rechten Orte angebracht worden? Heldengedichte müssen entweder keine Erzählungen seyn, oder, die Schreibart derselben muß anders eingerichtet werden, als Lucan sie eingerichtet hat. Horaz schreibt davon gleich im Anfange seiner Dichtkunst:

INCOEPTIS GRAUIBUS PLERUMQUE ET MAGNA PROFESSIS.
PURPUREUS LATE QUI SPLENDEAT VNUS ET ALTER,
ASSUITUR PANNUS; CUM LUCUS ET ARA DIANAE,
ET PROPERANTIS AQUAE PER AMOENOS AMBITUS AGROS,
AUT FLUMEN RHENUM, AUT PLUUIUS DESCRIBITUR ARCUS:
SED NUNC NON ERAT HIS LOCUS.


Eben hierinn ist auch Milton tadelhaft, dessen Erzählungen fast durchgehends gar zu verblümt, stolz und prächtig sind. Er verschwendet tausend Bilder, Gleichnisse und Beschreibungen. Er bringt, gleich dem lohensteinischen Arminius, alle seine Gelehrsamkeit und Belesenheit an, und verfällt auf langwierige Ausschweifungen, die den Sinn des Lesers zerstreuen. Tasso und Voltaire, können die Kunst zu erzählen unzähligemal besser, als dieser Engländer.
17. §. Was die Briefe anlangt, die poetisch abgefaßt werden, so haben sie eben diese natürliche Schreibart nöthig. So hat Horaz die Seinigen geschrieben; ja ich könnte auch den Ovid hier anführen, wenn dessen Sendschreiben nicht alle zu den Elegien gehöreten. Im Französischen ist Boileau ein Meister darinnen: im Deutschen aber hat Opitz diese Schreibart sehr wohl inne gehabt. Flemming und Canitz habens ihm gleich gethan; Neukirch und Günther aber haben ihn weit übertroffen. Ich will zur Probe aus Neukirchs Schreiben der Aurora, an den König von Preußen, etwas hersetzen.

Ich schreibe, König, hier, was man bey Hofe klagt,
Was meinen Ruhm verletzt, wie fast ein jeder sagt.
Ach! zürne nicht zu früh, denn unsers Geistes Triebe,
Sind zwar voll Eifersucht, allein auch voller Liebe.

Es ist nichts grausames, womit du uns beschwerst,
Wir klagen, daß du dich für andre selbst verzehrst,
Daß du ein König bist, und doch in deinen Landen
Kein Diener je gelebt, der früher aufgestanden.
Die Hirten sind erstaunt, die Musen schämen sich
Denn beyde finden schon, so bald sie wachen, dich.
Mein Phöbus, der dir doch so herzlich wünscht zu dienen,
Ist selber, wie du weist, stets viel zu spät erschienen,
Und fuhr mich heute noch mit rauhen Worten an,
Daß ich der Wolken Flor nicht früher abgethan.
Was Phöbus an mir straft, geb ich mit gleichem Blicke
Der Ordnung der Natur und dieser Welt zurücke.
Was nützt mir, sprech ich oft, der hellen Flügel Schein,
Wenn Helden flüchtiger als Licht und Flügel seyn?
Allein, was die Natur mich läßt zur Antwort hören,
Ist dieß, ich möchte doch nicht ihr Gesetze stören etc.


Hier herrscht ebenfalls das natürliche ungekünstelte Wesen der poetischen Schreibart; obwohl alles edel und artig gedacht und gesaget worden.
18. §. Doch man muß die natürliche Schreibart durchaus nicht mit der niederträchtigen vermischen. Sie sind wie Tag und Nacht von einander unterschieden, obgleich viele hier keinen Unterscheid bemerken können. Sie meynen, wenn sie sich einer niedrigen Schreibart bedienten, so stünde ihnen alles frey; zumal, wenn sie etwas scherzhaftes sagen wollten. Daher kommen nun die niederträchtigen Scherze, oder vielmehr Fratzen unsrer Dichter. Z.E. aus vielen hunderten eines solchen Meisters nur ein Paar zur Probe zu geben:

Hier stellt sich ein Ducatenhuster ein;
Das wird für mich auch wohl nicht übel seyn,
Doch bey der hölzernen Zutschkann voll Bier
Wirst du wohl fluchen:
Denn mich bedeucht, du wirst viel lieber dir
Ein hübsch Paar fleischerne Zutschkannen suchen.


Oder dieses:

Es kömmt, weil du allhier den weiten Schuß gethan,
Ein Kober, der gefüllt mit Eyern, für dich an:
Doch, kannst du sie entrathen;
So schick den ganzen Korb an die Castraten.


Auch Günther ist bey seiner unedlen Lebensart sehr oft auf diese niederträchtige Schreibart gerathen; und das zwar nicht nur in Satiren, darinn er außer Racheln auch wohl die Alten zu Vorgängern gehabt; sondern in Briefen und andern Gedichten, darinn man wohl etwas edlers von ihm hätte fordern können. Ich will hier nur aus seiner Heldenode auf den Prinz Eugen etwas anführen, welches das ganze Gedichte verstellt. Er beschreibt einen Soldaten, der aus Ungarn kömmt, und in einer Dorfschenke seine Thaten erzählt:


Dort spitzt ein voller Tisch das Ohr
Und hört, wie Nachbars Hans erzähle:
Hans ißt, und schneidet doppelt vor
Und schmiert sich dann und wann die Kehle.
Seht, spricht er, Schwäger, seht nur her,
Als wenn nun dieß die Donau wär:
Hier macht er einen Strich mit Biere:
Da streiften wir, da stund der Feind;
Hier gieng es schärfer, als man meynt!
Gott straf! ihr glaubt mirs ohne Schwüre.


19. §. Von Erzählungen dieser Art will ich aus Riederers Fabeln Aesopi die LXV. hersetzen, wiewohl sie alle gleich geschickt dazu wären. Es heißt:

Ein Fuchs, der Bauren schuldger Diener,
Da, wenn es an ein Stehlen geht;
Stahl einem solchen viele Hüner,
Und machte sie im Huy labet.
Der Bauer suchte sich zu rächen,
Und durfte doch kein Wörtlein sprechen.


So edel erzählt nun unser nürnbergischer Phädrus. Das heißt ja abgeschmackt, und nicht natürlich, es wäre denn, daß jenes auch gewissen Leuten in der Natur steckte: zum wenigsten aber würde es alsdann keine schöne Natur seyn; die sich doch Maler und Dichter billig nachzuahmen bemühen sollen. Von Briefen beruffe ich mich auf Canitzens Gedichte, auf der 122. S. der neuen Auflage. Es ist des Herrn von Brand Antwortschreiben, auf des Herrn von Canitz unvergleichliches Schreiben vom Landleben, und hebt so an:

Mein allerliebster Freund und werthester Herr Bruder,
Der du im Blumberg itzt versammlest deine Fuder,
Der du, wie Tityrus, dort in dem Schatten liegst,
Und zählest, was für Korn du in die Scheunen kriegst.
Du dürftest dich fürwahr so künstlich nicht bemühen,
Mich durch ein schön Gedicht hinaus aufs Land zu ziehen.
Es braucht, willst du mich sehn, von dir ein einzig Wort,
Dein Landgut ist für mich ein allzulieber Ort,
Ich weis schon, wie man da die Stunden kann vertreiben,
Die Feldlust hättest du nicht nöthig zu beschreiben etc.


Das ist ja wohl gegen die canitzische natürliche Schreibart lauter kaltes und ungesalzenes Wasser; ich will sagen, eine elende, magre Prosa, die so nothdürftig in Sylbenmaaß und Reime gebracht worden. Und so viel von der niederträchtigen oder pöbelhaften Schreibart.
20. §. Die andere Gattung ist die sinnreiche Schreibart, die auch von vielen die prächtige genennet wird; die aus lauter verblümten Redensarten, neuen Gedanken, sonderbaren Metaphoren, Gleichnissen und kurzgefaßten Sprüchen besteht; die aber alle bey der Vernunft die Probe aushalten. Eine solche Schreibart nun ist sehr künstlich, und kann daher kaum in einer einzigen Gattung von Gedichten durchgehends herrschen. Gar zu viel Licht blendet die Augen; gar zu starke Töne betäuben das Gehör, und gar zu sehr gewürtzte Speisen erwecken einen Ekel. Gar zu viel Zierrathe in Gedichten machen einen Leser auch überdrüßig, wenn sie unaufhörlich in einem Zusammenhange fortgehen. Sollte aber ja noch eine Art seyn, wo sie am meisten brauchbar wäre, so müßte es ein Lobgedichte seyn, und zumal eine Heldenode. Hier redet der Poet selbst durchgehends, er hat wichtige Dinge vor sich, und kan Leser vermuthen, die seine sinnreiche Sprache verstehen werden. Daher kann er daselbst seine ganze Kunst sehen lassen, wie auch Pindarus und Horaz sehr oft gethan. Das obige Exempel aus Amthorn von den drey Landplagen gehörte hieher. Auch Flemming ist in gewissen Oden stark darinn. Z.E. auf der 479. S. schreibt er von einem bevorstehenden Türkenkriege:

Deucht michs, oder seh ichs schon,
Wie die lauten Feldposaunen,
Und die donnernden Karthaunen
Untermengen ihren Ton,
Daß des Bosphors seine Wellen
Furchtsam sich, als Steine, stellen.

Der entfärbte Hellespont
Schlingt in sich die blassen Heiden,
Fahnen, Spieße, Schwerdt und Scheiden,
Führt der bebende Propont:
Sions Wurzeln, Jebus Spitzen
Werden zitternd vor uns schwitzen.


21. §. Ferner kann diese Schreibart in Trauerspielen auch gebraucht werden, ausgenommen, wenn irgend eine schlechte Person auftritt; oder wenn ein Affect die pathetische Schreibart erfordert. In dem Heldengedichte dient diese Schreibart nur gleichsam zum Gewürze, welches theils der Poet, theils seine Helden, die er redend einführet, ganz sparsam mit einstreuen, wenn es die Umstände an die Hand geben. In den Trauerspielen geben uns, außer den alten Griechen, die neuern Franzosen, Corneille und Racine, die schönsten Exempel: wiewohl Fenelon, in seinen Gedanken von der Tragödie, den ersten einer gar zu schwülstigen Art des Ausdrucks beschuldiget hat. In Heldengedichten aber kann, nächst dem Homer und dem Virgil, auch Tasso und Voltaire zum Muster dienen. In Satiren kann endlich auch zuweilen was scharfsinniges vorkommen, zumal wenn der Poet ins Moralisiren kömmt. Horaz, Juvenal, Boileau, Rachel, Canitz, Neukirch und Günther sind darinne zu Mustern zu nehmen. Statt aller Exempel von der wahren scharfsinnigen Schreibart kann Neukirchs Trauergedichte auf die Königin von Preußen Charlotte eins an die Hand geben. Es herrscht eine richtige Hoheit der Gedanken darinn, und wenn man das eine Wortspiel von Engelland am Ende wegnimmt, so ist es ohne Fehler. Ich habe schon oben hin und wieder verschiedene Stücke daraus angeführt, werde auch das ganze Gedichte im II. Theile dem Capitel von Lobgedichten beyfügen. Hier mag ein Stück aus Pietschen die Stelle vertreten, der gleichfalls in dieser Schreibart eine große Stärke hat. So schreibt er in dem Gedichte auf den Grafen Truchses zu Waldburg.


Ihr, die ihr unsern Geist, mit hohen Trieben rührt,
Und auf die Trauerbahn die matten Dichter führt;
Das Schrecken bindet mich, wie kann ich Worte binden?
Mein Schmerz verliehrt die Kunst, helft sie mir wieder finden!
Ein Irrthum der Natur vermischet Tag und Nacht,
Weil ein Gewölke schon den Mittag finster macht.
Wie? läßt der Frühling auch Eis um das Herze fühlen,
Wenn Blut und Jugend noch in allen Adern spielen?
Hat, wo der stolze Bau der Ehrenbogen steht,
Zugleich der rauhe Tod sein Siegesmaal erhöht?
Der, wenn sein Mordaltar von trüben Flammen glühet,
Auch von der Fürsten Schooß die fetten Opfer ziehet.


Auch dieses Gedichte werde ich vielleicht im andern Theile ganz einrücken. Eben einen so vernünftig-erhabenen Ausdruck kann man in Opitzens und Flemmings Lobgedichten, auf hohe Häupter, ungleichen in Günthers Oden, zumal in der auf Graf Sporken, darinn kein sonderlicher Affect steckt, antreffen.
22. §. Wie nun diese Schreibart große Schönheiten an sich hat, so ist es kein Wunder, daß sie viel Liebhaber gefunden hat. Ein jeder Poet hat vor einiger Zeit recht sinnreich oder hoch, wie mans insgemein zu nennen pflegt, schreiben wollen: Allein da so wenigen von Natur die Federn dazu gewachsen gewesen, so ist es den meisten wie dem Ikarus gegangen, der so hoch flog, daß ihm die Flügel schmolzen, und er also gar herunter fiel. Von der wahren Hoheit der Schreibart hat Longin ein eigen Buch geschrieben, und von der falschen Hoheit habe ich schon Werenfelsens Dissertation DE METEORIS gelobt. Diese beyden Schriften muß man mit großem Fleiße lesen, wenn man sich auf einem so glipfrichten Stege, als der ist, so nach dem Parnaß führet, nicht versehen will. Es ist nirgends leichter, Fehltritte zu thun, als hier; denn es kömmt mehr auf den Geschmack, als auf Regeln hier an. Bouhours selbst, der vernünftigste Criticus in Frankreich, wie er selbst von den gelehrtesten Engelländern genennet worden, hat zwar in seiner MANIERE DE BIEN PENSER eine Menge fehlerhafter Stellen angemerkt und verworfen; aber selten die Ursachen und Regeln seiner Urtheile angeben können. Und so geht es auch denen, die uns im Deutschen haben lehren wollen, was Longin durch das Erhabene versteht; als welche, außer vielen Schmeicheleyen gegen einige noch lebende Dichter, und manchen vergällten Censuren, wider andere, denen ihre Schutzgötter nicht wohl wollen, nicht viel deutliches zuwege gebracht haben.
23. §. Unter den alten lateinischen Poeten ist dieser falschen Hoheit halber Lucanus schon oben erwähnet worden; und man kann ihm noch den tragischen Seneca an die Seite setzen. Das macht, beyde waren Spanier von Geburt, und liebten von Natur die schwülstige Art des Ausdruckes. Unerhörte Vergrößerungen kosten ihnen nichts. Z.E. Lucanus schreibt im V. Buche.

TUNC QUOQUE TANTA MARIS MOLES CREUISSET IN ASTRA,
NI SUPERUM RECTOR PRESSISSET NUBIBUS VNDAS.


d.i. Auch damals würde die ungestüme See bis an die Sterne aufgeschwollen seyn: wenn nicht Jupiter die Wellen mit den Wolken beschweret und niedergedrücket hätte. Wer sieht hier nicht die Unmöglichkeit sowohl des ersten, als des andern ein? Das ist ihm noch nichts. Den Cato scheut er sich nicht, allen sei nen Göttern entgegen zu setzen, ja vorzuziehen, indem er ihn zum Gönner und Beförderer der guten und gerechten Sache des Pompejus macht; den Göttern aber Schuld giebt, daß sie dem boshaften Cäsar beygestanden hätten. Es heißt gleich im ersten Buche:

NEC QUEMQUAM JAM FERRE POTEST CAESARUE PRIOREM,
POMPEIUSUE PAREM. QUIS IUSTIUS INDUIT ARMA?
SCIRE NEFAS. MAGNO SE IUDICE QUISQUE TUETUR.
VICTRIX CAUSSA DIIS PLACUIT; SED VICTA CATONI.


Des stolzen Cäsars Geist kann keinen höhern leiden,
Pompejus nichts ihm gleich. Wer hat nun wohl von beyden
Das beste Recht zum Streit? die Antwort fällt hier schwer,
Weil beyde durch den Schutz sehr großer Richter kriegten:
Den Sieger schützte Gott, und Cato den Besiegten.


Muß denn nun die Begierde hoch zu denken und zu schreiben einen Poeten zu der Ausschweifung verleiten, daß er einem bloßen Menschen mehr Weisheit, liebe zur Gerechtigkeit, und mehr Billigkeit, als der Gottheit selbst zuschreiben dörfe? Gesetzt, daß es auch nur eine heidnische wäre. Die Stoiker wußten ihren weisen Mann nicht höher zu loben, als wenn sie ihn Gott ähnlich machten, ja ihn einen Freund der Götter nennten. Lucanus aber erhebt den Cato auf den göttlichen Thron, und setzt die Götter nicht etwa an die Stelle Catons; denn das wäre zu viel Ehre für sie: nein, an die Stelle der ungerechten Richter, die allen Bösewichtern beystehen. Denn er sagt gleich im Anfange, daß er IUS SCELERI DATUM besingen wolle: wie das ärgste Bubenstück, verstehe Cäsars Herrschsucht, Recht bekommen, oder gesieget habe. Wer hier nicht der gesunden Vernunft Platz geben will, der muß in der Bewunderung Lucans ganz und gar ersoffen seyn.
24. §. Nicht besser klingen viele Stellen, ja ganze Tragödien des Seneca. Man darf nur das Buch aufthun, um eine dergleichen schwülstige Schreibart anzutreffen. Ich will nur eine Stelle aus dem Herkules Oetäus anführen, welche Tragödie ihm auch zugeschrieben wird. Herkules will in die Zahl der Götter aufgenommen werden, und muß folgendergestalt den Jupiter anreden:

QUID TAMEN NECTIS MORAS?
NUMQUID TIMEMUR? NUMQUID IMPOSITUM SIBI
NON POTERIT ATLAS FERRE CUM CAELO HERCULEM? ETC.
DA, DA TUENDOS IUPITER SALTEM DEOS.
ILLA LICEBIT FULMEN A PARTE AUFERAS,
EGO QUAM TUEBOR. SIUE GLACIALEM POLUM
SEU ME TUERI FERUIDAM PARTEM IUBES
HAC ESSE SUPEROS PARTE SECUROS PUTA.


Ich will nur eine prosaische Uebersetzung davon geben: »Was säumst du noch lange, Jupiter? Fürchtest du dich etwa vor mir? Oder wird Atlas den Herkules mit dem Himmel zugleich nicht ertragen können? Gib, gib mir, o Jupiter, zum wenigsten das Amt, die Götter zu beschützen. Derjenige Theil des Himmels, den ich vertheidigen werde, wird deiner Donnerkeile nicht bedürfen. Du magst mir nun entweder den kalten Nordpol, oder die hitzige Mittagsgegend anvertrauen: so kannst du versichert seyn, daß die Götter unter meinem Schütze sicher seyn sollen.« Das ausschweifende Wesen dieser Rede zu entdecken, ist gar nicht nöthig; und ich würde dem Verstande meiner Leser viel zu wenig zutrauen, wenn ich ihnen in einer so handgreiflichen Sache behülflich seyn wollte.
25. §. Im Deutschen kann uns Lohenstein die Muster einer so schwülstigen Schreibart geben. Seine Tragödien sind überall damit angefüllt, und er verdient deswegen der deutsche Seneca zu heißen. In dem Schauspiele Ibrahim Sultan hebt der thracische Bosphor so asiatisch, oder vielmehr übersteigend und schwülstig an zu sprechen:

Befremdets euch, ihr Völker holder Sitten,
Daß des erzürnten Bosphors Schlund,
Den Strand verlaßt, wo Thrax und Türke wüten,
Für des unwirthbarn Meeres Mund,
Der Donau süße Lipp und grüne Fluth zu küssen?
Es ist nichts seltsames mein unterirdisch Lauf:
Es schleußt ja die Natur des Abgrunds Röhren auf,
Auch Strömen, daß ihr Glas kann unter Meeren fließen.
In Plotens Inseln trinkt man ein moreisch Quell,
Und in Sultanien rinnt, was zu Mecha quillet,
Des Alfeus Silber ist in Elis nicht so hell,
Als wo er seine Brunst mit Arethusen stillet.
Wie soll der Erde Kluft denn mir verschlossen seyn,
Mir, der ich selbst das Röhr bin aller Meere?
Weil Calpens Meerschlund nichts dem Ocean flößt ein,
Was nicht der Meere Brunn, das schwarze Meer, gebähre. etc.


So fährt nun dieser Vorredner unaufhörlich fort, und treibt seine Scharfsinnigkeit aufs höchste, wenn er endlich so ausbricht:


Mit was für neu und ungewohnten Stralen,
Seh aber ich Burg, Stadt und Land gekrönt?
Ja einen neuen Stuhl mit Purpur aufgethrönt?
Der Donau Haupt mit Myrtenkränzen pralen?
Sich ihren Sand in Gold, ihr Schilf in Zuckerrohr,
Sein Schmelz in Diamant, den Schaum in Perlen kehren?
Was leuchtet aus Tyrol für ein Gestirn hervor?
Kann sein Erztreich Gebürg auch Sonnen nun gebähren?


Hier sind alle lohensteinische Schönheiten beysammen zu finden. Stralen, Purpur, Myrten, Kränze, Gold, Zucker, Schmelz, Diamant, Schaum, Perlen, Gestirne, das sind gewöhnliche Zierrathe seiner Schreibart: hier aber, damit gar nichts zu einem Phöbus fehlen möchte, hat er uns auch noch etliche Sonnen, und zwar aus einem Erzgebirge gebähren wollen.
26. §. Ich weis wohl, daß es noch hin und wieder große Liebhaber dieser falschen Hoheit giebt, die wohl gar die Härtigkeit der lohensteinischen Gedichte, mit einer ihrem Helden anständigen Schreibart, so entschuldigen: Es sey kein Wunder, daß die perlenschwangere Lohe in ihrem Laufe ein solches Geräusche mache; weil sie nämlich Goldkörner bey sich führe und über so viele Corallenstauden und Edelgesteine wegrieseln müsse. Denn wie der Meister es gemacht, so sind ihm auch seine Schüler nachgefolget. Z.E. Neidhard, den ich schon etlichemal angeführt habe, ist ein großer Meister in solchem Mischmasche des falschen Sinnreichen. In seinem Gedichte auf eben den Grafen zu Waldburg, den Pietsch besungen, schreibt er so:

Verkehrtes Volk, die ihr den Kiel
In Daumenstöcke schraubet,
Und nicht bey dieser Folter glaubet,
Der Dinte Blut sey öfters Kinderspiel.
Du Plato magst der Luft die Städte schenken,
Du Morus, kannst, dein Name zeigt es schon,
Dir zehn Utopien erdenken,
Und sonst wer mag nach Severambern schreyn.
Vernunft spricht ja: Erfahrung nein!


Und bald darauf heißt es:

Die Augen, so, getreuer Graf,
In deinen Pfauenfedern spielen,
Vermögen nicht der Untreu Schlaf zu fühlen;
So wenig, als der Polstern untergeht.
Dein Apfel, den das Reich bekreuzt,
Haßt, gleichwie du die Ecken des Betrugs,
Und kennt kein Ende seines Zugs:


Und noch in einem andern Gedichte auf eine Rectorwahl in Königsberg schrieb er:

Umschränke dich, du Kreis gestirnter Welt,
In Eins mit drey und sechzig Nullen,
Der Sammelplatz, der meiner Brust gefällt,
Wird nicht in einen Kreis verhüllet,
Den Archimedens Sandmaaß füllet.


Wer sieht aber nicht das ausschweifende Wesen, eines solchen Witzes, der es von seinen Lesern fordert, daß sie alle seine Räthsel verstehen, und sich mit lauter falschen Gedanken und weithergesuchter Gelehrsamkeit sollen abspeisen lassen. Wiewohl nun diese Putzwerke mit den herrlichen Namen der Realien beehrt zu werden pflegen: so findet doch ein Liebhaber der Vernunft hier, was Horaz verworfen hat:

VERSUS INOPES RERUM NUGASQUE CANORAS.


27. §. Noch ist zum dritten die pathetische, oder affectuöse, hitzige und heftige Schreibart übrig, deren Namen sattsam ihre Art anzeigen. Sie entsteht aus allen Gemüthsbewegungen, und ist gleichsam die Sprache derselben. Sie ändert sich nach Beschaffenheit derselben, und ist bald kurz und abgebrochen, bald etwas weitläuftig; allezeit aber voller Figuren, und verwegenen Ausdrückungen. Sie hält nicht viel von sinnreichen Einfällen, Gleichnissen oder andern Künsten. Sie folgt einer hitzigen Unbedachtsamkeit, die in allen Affecten herrscht, und keinem Zeit läßt auszustudieren, was er sagen will. Sie scheint auch mehr zu donnern und zu blitzen, als zu reden; weil alles unvermuthet, herausfährt, und man zuweilen nicht begreifen kann, wo alles mit einander hergekommen. Sie meidet alle Verbindungswörter, und ist zufrieden, wenn die Sachen einigermaßen zusammen hangen. Und in dieser Schreibart hat vielmals das sogenannte Hohe seinen Sitz, davon Longinus uns ein ganz Buch geschrieben hat. Ein Exempel davon zu geben, will ich hier eine Stelle aus Pietschen, in dem Gedichte auf Carl den VI. anführen. Es redet der durch einen Traum erschreckte Achmet, den Großvezier sehr beweglich an:

– – – Es ist um uns geschehen!
Was hab ich doch gehört! Was hab ich doch gesehen!
Kein falscher Schatten hat mich Schlafenden bethört,
Ach! allzuviel gesehn! ach! allzuviel gehört!
Die Unterwelt erstaunt vor jener Donner Knallen,
Von welchen unser Heer und Temeswar gefallen.
Der große Solymann, der Muselmänner Held,
Hat sich und meinen Fall mir lebhaft vorgestellt.
Mich dünkt, ich seh ihn noch! mir zittern alle Glieder,
Er siehet meine Schmach und schlägt die Augen nieder.
Mich dünkt ich seh ihn noch! etc.

Er treibt, er feurt mich an, dem Feinde vorzubeugen;
Ich soll den Weg zur Flucht ihm durch den Säbel zeigen.
Allein wer weis, ob nicht der Anblick meiner Pracht
Den Streit noch hitziger, den Sieg noch größer macht!
Ach! gar zu später Schluß! was hab ich doch gesehen!
Was hab ich doch gehört! es ist um uns geschehen.


28. §. Der Sitz dieser pathetischen Schreibart ist anfänglich in Oden, wo der Poet selbst im Affecte steht, und sich voller Feuer ausdrückt. Ein Exempel giebt Günthers Ode auf den Eugen, die fast durchgehends diesen Character beobachtet hat. Sein Affect ist daselbst die Freude, Verwunderung, und heftige Begierde, seines Helden große Thaten zu loben. Er sieht ihn gleichsam vor seinen Augen verschwinden, und feuret seine Muse an, ihm nachzueilen:

Eugen ist fort! Ihr Musen, nach!
Er eilt und schlägt und siegt schon wieder.


Diese abgebrochene kurze Art des Ausdruckes, ist in der That eine glückliche Nachahmung des stärkesten Affects. Die ganze Ode ist voll solcher Stellen, und weil sie in aller Händen ist, so will ich nur aus einem widrigen Affecte etwas hersetzen. Es ist solcher die Traurigkeit, und davon will ich das Exempel aus Canitzens Ode auf seine Doris nehmen. Diese ist gleichfalls ganz beweglich gesetzt, und drücket den zärtlichsten Schmerz sehr natürlich und beweglich aus. Er fängt unter andern einmal ganz unvermuthet an:

Hälfte meines matten Lebens!
Doris! ist es ganz vergebens,
Daß ich kläglich um dich thu?


Andere schöne Stellen habe ich schon in den vorhergehenden Capiteln daraus angemerket: ich will hier nur noch eine hersetzen, die mir einen Tadel zu verdienen scheint. Es ist folgen/de:

Alles das hab ich verlohren!
Ach wie werd ich Traurens-voll!
Hat mein Unstern sich verschworen,
Daß ich sterbend leben soll?


Die letzte Zeile ist es, was mir nicht gefällt. Sterbend leben, ist viel zu künstlich, für einen wahrhaftig Betrübten. Es ist eine gesuchte Antithesis; ein verwerfliches Spiel der Gedanken, das sich zum wenigsten in keinen Affect schicket.
29. §. Zum andern schickt sich die pathetische Schreibart in die Elegien, wo man entweder Verstorbene beklagen oder was verliebtes schreiben will: denn dazu gehört eigentlich die Elegie. Ovidius und Tibullus sind hierinn rechte Meister gewesen. Nichts ist beweglicher zu lesen, als ihre Klagschreiben und verliebte Briefe. Alles ist herzrührend, und die Kunst scheint weit davon entfernt zu seyn; herrscht aber um desto mehr darinn. Ich wüßte fast im Deutschen nicht, wer sich in Elegien recht hervorgethan hätte. Hofmannswaldaus Heldenbriefe sollten hier zwar zu Mustern dienen; ungleichen haben Ziegler und Lehms, uns von biblischen Historien dergleichen gemacht: allein ich fühle mein Lebenlang keinen Affect, wenn ich sie lese. Und wie wäre es möglich, da sie mit lauter Spielen der Phantasie, mit lauter Ambra und Zibeth, Rosen und Nelken, Mosch und Jesmin, und Muscateller ausstaffiret sind, und tausend andere bunte Einfälle haben, die keinem Affecte natürlich sind. Ich will also die Zuflucht zu Neukirchen nehmen, der in seinem Gedichte auf die Nachtigall eine recht bewegliche Elegie mit eingerücket hat. Ich will nur folgende Stelle hersetzen, die mich allezeit gerühret hat, worinn der Poet die Nachtigall um ihren Vorspruch bittet. Es heißt:

O Tochter Pandions, o süße Philomele!
Erbarme, wo du kannst, dich meiner Traurigkeit,
Und wirf nur einen Blick auf meine Dornenhöle,
Wenn dein Verhängniß dich mit Rosen überstreut.
Ich ärgre mich zwar nicht an deinen guten Tagen,
Ich gönne dir sehr gern des Hofes Sonnenschein;
Es mag dich Friederich auf seinen Händen tragen,
Dein Trinken Nectarsaft, die Speise Zucker seyn:
Denn du hast alles dieß auf Erden wohl verdienet etc.

Bitt aber, Schönste, nur für mein betrübtes Leben
Und trag zu rechter Zeit mich deinem Churfürst an:
Vielleicht will Gottes Hand durch einen Vogel geben,
Was weder Witz noch Kunst, durch Müh erhalten kann.
Du darfst nicht allererst nach meinem Kummer fragen,
Doch frage, wo du willst, nur Bäume, Gras und Stein:
Die alle werden dir, die alle werden sagen,
Daß meine Seufzer nichts als Ehr und Tugend seyn;
Und daß ich darum mich in heißen Thränen bade,
Weil meine Poesie mit Schimpfe betteln geht;
Und jede Wissenschaft in deines Friedrichs Gnade,
Sie aber noch allein in keinen Diensten steht.
Mein Flehen ist gerecht! ach! aber auch vergebens:
Denn dein beglückter Stand kennt meine Seufzer nicht;
Und der erinnert sich gar selten fremdes Lebens,
Der täglich so, wie du, bey Hofe Blumen bricht.


30. §. Drittens hat die pathetische Schreibart in Heldengedichten statt: nicht zwar wenn der Poet selbst erzählet, denn da muß die natürliche herrschen; wohl aber, wenn er andre Personen, die im Affecte stehen, redend einführet. Exempel kann man im Virgil nachsehen, wo sie sehr häufig vorkommen: wie denn auch im vorigen Capitel, nach Amthors Uebersetzung, eines von den allerbesten, und im 26 §. dieses Capitels eins aus Pietschen befindlich ist, welches man aufschlagen mag. Doch will ich noch eins nach Amthors Uebersetzung aus dem I. Buche der Aeneis anführen. Aeneas im Ungewitter auf der See,

Hebt die gefaltne Hand zu seinen Göttern auf
Und spricht: O höchstes Glück! der seinen Lebenslauf
Vor dem gemeinen Feind auf Trojens Mauren schließet,
Und für der Väter Heil das Heldenblut vergießet.
O tapfrer Diomed! Der Griechen höchste Zier,
Ach fiel ich doch, vor dir auf Trojens Blutrevier!
Wo Hektors Wunderarm Achillen mußte weichen,
Sarpedons Riesenbau des Lebens Segel streichen,
Und wo Simoens Strom durch seiner Wirbel Zwang
Blut, Körper, Schild und Helm begierig in sich schlang etc.


Auch die Antwort des Großveziers in Pietschens VI. Carl, ist vortrefflich:

Nein! Kaiser, nein, es steht dein unbewegter Thron!
So brach der Großvezier mit einem kühnen Ton,
Durch die Verzweifelung, die Achmets Brust bestricket:
Die Pfeiler deines Reichs hat noch kein Feind verrücket;
Wer glaubt, daß sein Gewicht aus Schwachheit sinken kann?
Nein, die beherrschte Welt setzt tausend Schultern an.
Die ungeheure Zahl der Arme, die dich schützen,
Sind Seulen deines Stuhls, die deine Herrschaft stützen.
Versammle deine Macht, verdopple nur dein Heer,
Dein Volk vermehre sich, so wie der Sand am Meer.
Es müsse Stal und Glut und Schrecken mit sich tragen.
Wer es nicht zählen kann, der wird es nimmer schlagen.


31. §. Viertens schicket sich diese Schreibart in die Schauspiele. Da kommen unzählige Gelegenheiten vor, die Personen in vollen Affecten aufzuführen; und da können sie nicht nachdrücklicher, beweglicher und durchdringender reden, als in dieser pathetischen Art des Ausdruckes. Hier kann man Terentii Comödien, imgleichen in meiner deutschen Schaubühne, den Menschenfeind, die Spielerinn, den Verschwender, u.a.m. nachschlagen, und die Tragödien zu Hülfe nehmen. Sonderlich lese man im Cato den Auftritt, wo Cäsar mit dem Cato spricht; in der Iphigenia, den Auftritt des Agamemnons, mit dem Achilles und mit der Clytemnestra im II. Aufzuge. In der Alzire und Cornelia, wird man gleichfalls die allervortrefflichsten Proben finden, wenn man in jener die Scene des Zamores mit dem Gusmann, in dieser aber, der Cornelia ihre mit dem Grachus, und mit dem Bürgermeister Opimius, nachlesen will. Schwache Geister, können diese Schreibart auch hier nicht erreichen, und lassen alle ihre Helden gar zu sinnreich reden. Sie können nicht weinen, ohne die spitzfindigsten Klagen dabey auszuschütten, und wenn sie verzweifeln, so geschieht es allezeit mit großer Scharfsinnigkeit. Lohenstein hat es in seiner Sophonisbe durchgehends so gemacht, weswegen er mit Rechte getadelt worden. Seneca hat ebenfalls tausend Fehler wider diese Regeln begangen: indem er seinen Personen durchgehends mehr Belesenheit und Scharfsinnigkeit beygelegt, als es die Wahrscheinlichkeit erlaubte.
32. §. Das wäre nun kürzlich, was man von der poetischen Schreibart überhaupt, und ihren besondern Gattungen sagen kann. Die angeführten Scribenten werden das übrige hinzusetzen, wenn man sie nachschlagen will. Ich sollte noch kürzlich von den Gattungen der Schreibart handeln, die in Schäfergedichten, Satiren, Scherzgedichten, u.s.w. herrschet. Allein das alles spare ich in die Capitel des andern Theils dieser Dichtkunst, wo ins besondere davon gehandelt werden wird. Ueberhaupt schließe ich dieses Capitel mit Horazens Worten:

SCRIBENDI RECTE, SAPERE EST ET PRINCIPIUM ET FONS:
REM TIBI SOCRATICAE POTERUNT OSTENDERE CHARTAE,
VERBAQUE PRAEUISAM REM NON INUITA SEQUENTUR.




_____________

Fußnoten

¹ Siehe B. Neukirchs Anleitung zu deutschen Briefen im V. Cap. des IV. B. p. 603.
S. auch des Herrn Rollins Manier die freyen Künste zu lehren auf der 29. S. COMME IL-Y-A TROIS DEVOIRS PRINCIPAUX DE L'ORATEUR, QUI SONT D'INSTRUIRE, DE PLAIRE, & DE TOUCHER; IL Y A AUSSI TROIS GENRES D'ELOQUENCE. & C. & C. Und selbst GIBERT, den man wider meine Eintheilung anfuhren will, ist meiner Meynung, wenn er sagt, die Rede habe drey Eigenschaften: LA SIMPLICITÉ, L'AGREMENT, & L'ELEVATION. Daher käme LE SIMPLE, L'AGREABLE, LE SUBLIME. Auch Cicero und Quintilian haben das DOCERE, DELECTARE und MOUERE für die drey Pflichten eines Redners ausgegeben.


Zurück zum Seiteninhalt