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Gottsched: Das III. Capitel

Poeterey



Erster allgemeiner Theil


Das III. Capitel.


Vom guten Geschmacke eines Poeten.



1. §.Ob es gleich scheint, daß ich im vorigen alle gute Eigenschaften eines wahren Poeten erzählet habe: so ist doch noch etwas von großer Wichtigkeit übrig, das ich in einem besondern Capitel abhandeln will. Es ist in den neuern Zeiten sehr viel vom guten Geschmacke geredet und geschrieben worden. Man hat ihn gewissen Dichtern zugestanden, andern aber abgesprochen; und endlich gar die Regel gemacht: Ein Poet müsse einen guten Geschmack haben. Diese Regel nun nach meiner Art zu erklären, und zu erweisen, das ist meine Absicht in diesem Capitel.
2. §. Ich will mich hier nicht in die historische Untersuchung einlassen, wenn und wo das Wort Geschmack zuerst in dieser neuen Bedeutung genommen worden. Das haben schon andre vor mir gethan, deren Schriften ich mit Vergnügen und Vortheil gelesen habe. Ich weis auch, daß in Frankreich nur neulich der Pater Dubosc und Herr Rollin verschiedene Streitigkeiten darüber gehabt. Man kann diese Redensart nunmehro für eine bekannte und völlig eingeführte halten; und man darf sichs nur angelegen seyn lassen, sie im rechten Verstande zu gebrauchen. Diesen aber zu bestimmen, das ist nicht eines jeden Werk. Wem es damit gelingen soll, der muß erstlich die Kräfte der menschlichen Seelen, und sonderlich die Wirkungen des empfindenden und urtheilenden Verstandes aus der Weltweisheit verstehen. Hernach muß er eine Fertigkeit in der Vernunftlehre besitzen: so, daß er fähig ist, sich von jedem vorkommenden Dinge und Ausdrucke, nach den logischen Regeln, eine gute Erklärung zu machen. Endlich muß er sich auch in der Poesie, oder andern Künsten, davon etwa die Rede ist, wohl geübet haben. Ohne diese drey Stücke wird die Beschreibung des guten Geschmacks nicht zum besten gerathen können. Da es nun denen Franzosen, die bisher davon geschrieben, entweder an zweyen, oder doch zum wenigsten an einem von diesen dreyen Stücken gefehlet hat: so ist es auch kein Wunder, daß sie weder mit einander eins werden, noch uns Deutschen ein besseres Licht haben anzünden können. Unsre Landesleute haben die Sache mit viel größerer Geschicklichkeit angegriffen; und sie eben deswegen auch weit gründlicher auszuführen vermocht.
3. §. Zum ersten setze ich zum voraus, der Geschmack, im gemeinen und eigentlichen Verstande, sey die Fähigkeit, oder die Gabe unserer Zunge, die verschiedenen Wirkungen zu empfinden, die von Speise und Trank auf derselben verursachet werden, wenn sie davon sattsam berühret und durchdrungen worden. Unsre Sinne, in so weit sie körperlichen Gliedmaßen zukommen, sind nichts als Leidenschaften, und empfangen also nur die Eindrückungen der außer uns befindlichen Dinge. Daher eigne ich auch der Zunge bloß die Fähigkeit zu empfinden zu, welche nur was Leidendes ist; da hergegen eine Kraft etwas Thätiges angezeiget hätte. Diese habe ich für den Geschmack gehalten, in so weit er in der Seele ist, den ich also eine Kraft des Gemüthes nenne, vermöge welcher dasselbe die von Speise und Trank in den schwammigten Fäserchen der Zunge verursachten Veränderungen, sich vorstellen, und ihren Unterscheid beurtheilen kann.
4. §. Man wird mir ferner leicht einräumen, daß die Begriffe und Vorstellungen, welche wir uns von dem besondern Geschmacke verschiedener Speisen machen, bey aller ihrer Klarheit, dennoch nichts deutliches in sich haben. Wir sind bey gesunden Tagen gar wohl im Stande, das Süße vom Bittern, das Saure von dem Herben u.s.w. zu unterscheiden, und jedes mit seinem Namen zu nennen: und also sind die Begriffe von diesen Wörtern bey uns nicht dunkel. Wir sind hingegen nicht vermögend, das allergeringste zu antworten; wenn man uns fragt: worinnen der saure Geschmack vom bittern, dieser vom herben, scharfen u.s.f. unterschieden sey, und woran wir einen vor dem andern erkennen? Dieses zeiget, daß unsere Vorstellungen davon verwirrt, und eben so undeutlich sind, als die Begriffe von der rothen, blauen, grünen oder gelben Farbe. Und von eben dieser Undeutlichkeit kömmt es her, daß man das Sprüchwort gemacht hat: Vom Geschmacke müsse man nicht viel zanken.
5. §. Weiter nehme ich aus der gemeinen Sprache an, daß man denen, die den gesunden Gebrauch ihrer Zunge haben, den guten Geschmack nicht abzusprechen pflegt; so lange sie sagen, daß der Zucker süß, der Wermuth bitter, und der Eßig sauer schmeckt: denn darinnen kömmt die ganze Welt überein. Wer hergegen ein Gallenfieber hat, so, daß ihm alles ohne Unterscheid bitter schmeckt, dem eignet man einen verderbten Geschmack zu: weil er nicht mehr nach der Beschaffenheit der Sachen, sondern nach seiner verderbten Zunge urtheilet. Imgleichen pflegt es zu geschehen, daß sich gewisse Leute von Jugend auf gewöhnen, Kohlen, Kalk, Kreide u.d.gl. zu essen: daher es nachmals kömmt, daß sie in dem Genusse solcher abgeschmackten Dinge einen besondern Geschmack zu finden vermeynen; welchen aber niemand, der keine so verwöhnte Zunge hat, darinnen finden kann. Von solchen Leuten sagt man nun auch, daß sie einen verderbten, übeln, oder verkehrten Geschmack haben. Und so viel vom Geschmacke im eigentlichen Verstande.
6. §. Von dem metaphorischen Geschmacke unsrer Seelen bemerket man, daß man sich dieses Wortes fast ganz allein in freyen Künsten, und in etlichen andern sinnlichen Dingen bedienet: hergegen wo es auf die Vernunft allein ankömmt, da pflegt man dasselbe nicht zu brauchen. Der Geschmack in der Poesie, Beredsamkeit, Musik, Malerey und Baukunst; imgleichen in Kleidungen, in Gärten, im Hausrathe u.d.gl. ist sehr bekannt. Aber niemals habe ich noch vom Geschmacke in der Arithmetik und Geometrie, oder in andern Wissenschaften reden hören, wo man aus deutlich erkannten Grundwahrheiten die strengesten Demonstrationen zu machen vermögend ist. In solchen Wissenschaften aber, wo das deutliche und undeutliche, erwiesene und unerwiesene noch vermischt ist, da pflegt man auch wohl noch vom Geschmacke zu reden. Z.E. ich könnte wohl sagen: Ein theologisch Buch nach mosheimischem Geschmacke; ein Recht der Natur nach Puffendorfs Geschmacke; eine Arzneykunst nach Boerhavens Geschmacke. Aber hier muß ich anmerken, daß man den Geschmack nur in denjenigen Theilen solcher Disciplinen suchet, die noch ungewiß sind, und also nicht durchgehends beliebt werden. So bald eine Sache allgemeinen Beyfall erhält, und für was demonstrirtes gehalten wird: so bald hört man auch auf, sie zum Geschmacke zu ziehen. So werden die Sternseher nicht mehr sagen können, eine Astronomie nach Copernikanischem Geschmacke: weil dieses Systema bereits allenthalben für das einzige wahre erkannt und angenommen wird.
7. §. Diese Anmerkung ist von großem Nutzen. Sie lehrt uns nämlich, daß der metaphorische Geschmack, eben so wohl als der gemeine, nur mit klaren, aber nicht ganz deutlichen Begriffen der Dinge zu thun hat; und nur solche Dinge von einander unterscheidet, die man nach der bloßen Empfindung beurtheilet. Z.E. Ein Bürger bauet sein Haus, und läßt sich von etlichen Baumeistern Risse dazu machen. Sie gerathen alle anders; obgleich nun der Bauherr nichts von der Architectur versteht, so wählt er doch einen Riß vor allen übrigen, den er will ausführen lassen: und man sagt alsdann, er habe die Wahl nach seinem Geschmacke verrichtet. Fragt man ihn, warum er diesen und nicht einen andern Riß gewählet? so weis er nichts weiter zu sagen, als daß ihm dieser am besten gefallen habe; das ist, er habe ihn für den schönsten und vollkommensten gehalten, wie ich denn zum voraus setze, daß der Bauherr nicht ganz eigennützig zu bauen, sondern ein schönes Gebäude aufzuführen willens sey. Gesetzt aber, man legte einem andern, in der Baukunst sehr geübten mathematischen Kenner, die obgedachten Risse vor, mit dem Begehren, sich einen zu erwählen: so würde dieser sie gewiß alle nach architektonischen Regeln untersuchen, und zuletzt denjenigen allen übrigen vorziehen, der nach den Grundsätzen der Wissenschaft, die größte Vollkommenheit hätte. Hier würde man aber schwerlich sagen, dieser Meister und Kenner habe nach seinem Geschmacke gewählet; vielmehr würde es heißen: er habe die Risse nach den Regeln geprüfet, und vermöge seiner Einsicht befunden, daß der erwählte der beste gewesen.
8. §. Aus dieser bisher erläuterten Anmerkung erhellet nun, daß zwo Personen von einer Sache, aus verschiedener Erkenntniß, nämlich theils nach dem Geschmacke, theils aus Wissenschaft und Einsicht urtheilen: sodann aber, daß sie auch sowohl einerley, als zweyerley Urtheile fällen können. Wäre es im obigen Falle nicht leicht möglich, daß der ungelehrte Bürger sich von den verschiedenen Rissen eben den aussuchte, welchen auch hernach der bauverständige Kenner für den besten erklärete? Könnte aber auch nicht gerade das Widerspiel geschehen; daß ihm nämlich ein andrer Entwurf besser anstünde, an welchem hernach der Baumeister viel Fehler auszusetzen fände? Ein jeder sieht wohl, daß beydes möglich ist. Aber was folgt daraus? Dieses: 1) daß Leute, die nach dem bloßen Geschmacke urtheilen, sehr uneins seyn können: 2) Daß beyde Urtheile zugleich nicht wahr seyn können; weil sie nämlich widerwärtig sind: daß endlich 3) dasjenige Urtheil dem andern vorzuziehen sey, das mit den Regeln der Baukunst und dem Ausspruche eines Meisters in dieser Wissenschaft einstimmig ist. Die ersten beyden Folgerungen sind wohl unumstößlich: wegen der dritten aber, kann man auch nicht viel Zweifel tragen. Denn wie wäre es möglich, daß derjenige Riß der beste seyn könnte, der wider alle Regeln der Architektur gemacht wäre? Das wäre eben so, als wenn eine Musik schön seyn könnte, die wider alle musikalische Regeln liefe. Die Regeln nämlich, die auch in freyen Künsten eingeführet worden, kommen nicht auf den bloßen Eigensinn der Menschen an; sondern sie haben ihren Grund in der unveränderlichen Natur der Dinge selbst; in der Uebereinstimmung des Mannigfaltigen, in der Ordnung und Harmonie. Diese Gesetze nun, die durch langwierige Erfahrung und vieles Nachsinnen untersuchet, entdecket und bestätiget worden, bleiben unverbrüchlich und feste stehen: wenn gleich zuweilen jemand, nach seinem Geschmacke, demjenigen Werke den Vorzug zugestünde, welches mehr oder weniger dawider verstoßen hätte.
9. §. Nunmehro wird es leicht sein, die Beschreibung des guten und übeln Geschmackes zu machen. Jener ist nämlich der von der Schönheit eines Dinges nach der bloßen Empfindung richtig urtheilende Verstand, in Sachen, davon man kein deutliches und gründliches Erkenntniß hat: Dieser hergegen ist eben falls der Verstand, der nach der bloßen Empfindung von undeutlich erkannten Sachen urtheilet; aber sich in solchen seinen Urtheilen betrüget.¹ Ich rechne zuförderst den Geschmack zum Verstande; weil ich ihn zu keiner andern Gemüthskraft bringen kann. Weder der Witz noch die Einbildungskraft, noch das Gedächtniß, noch die Vernunft, können einigen Anspruch darauf machen. Die Sinne aber haben auch gar kein Recht dazu, man müßte denn einen sechsten Sinn, oder den SENSUM COMMUNEM, davon machen wollen; der aber nichts anders ist, als der Verstand. Ich sage aber, daß er ein urtheilender Verstand sey: weil diejenigen, die ihn wirklich zu Unterscheidung der Dinge anwenden, entweder äußerlich, oder doch innerlich den Ausspruch thun; dieß sey schön, und jenes nicht. Ich setze ferner, daß sich dieses Urtheil nur auf die bloße Empfindung gründet: und ich verstehe die innerliche Empfindung einer schönen Sache, die entweder wirklich außer uns vorhanden ist, oder von unsrer eignen Phantasie hervorgebracht worden: wie z.E. ein Maler sich in Gedanken einen Entwurf eines Gemäldes machen, und nach seinem Geschmacke von der Schönheit desselben urtheilen kann.
10. §. Es muß aber diese Empfindung einer solchen Sache uns nothwendig die Schönheit eines Dinges vorstellen: denn diese allein ist es, womit der Geschmack zu thun hat. Man entscheidet dadurch niemals eine andre Frage, als: ob uns etwas gefällt oder nicht? Das Wohlgefallen aber entsteht allezeit aus einer Vorstellung der Schönheit; sie mag nun eine wirkliche, oder eine vermeynte seyn. Diese Schönheit nun, wird zwar sehr klar, aber nur undeutlich, empfunden: weil derjenige, dem sie gefällt, nicht im Stande ist zu sagen, warum sie ihm gefällt? Zum wenigsten wird der größte Theil derselben keine Deutlichkeit haben. Denn so bald man von einer Schönheit zu zeigen vermögend ist, aus was für Vollkommenheiten dieselbe eigentlich entsteht: so bald wird der Geschmack von der Sache in eine gründliche Einsicht verwandelt, wie bereits oben gewiesen worden. Endlich unterscheide ich den guten Geschmack vom übeln, durch das Beywort richtig, welches ich zu dem Urtheile setze. Wer einen guten Geschmack hat, der muß richtig von der klar empfundenen Schönheit eines Dinges urtheilen: das ist, er muß nichts für schön halten, was nicht wahrhaftig schön ist; und nichts für häßlich erklären, was nicht häßlich ist. Der Probierstein dieses Urtheils darf nicht weit gesucht werden. Man findet ihn in den Regeln der Vollkommenheit, die sich für jede besondre Art schöner Dinge, a.d.s. Gebäude, Schildereyen, Musiken und s.w. schicken, und die von rechten Meistern derselben deutlich begriffen und erwiesen worden. Ich ziehe also hieraus den Lehrsatz, der in allen freyen Künsten von großem Nutzen seyn wird: Derjenige Geschmack ist gut, der mit den Regeln übereinkömmt, die von der Vernunft, in einer Art von Sachen, allbereit fest gesetzet worden.
11. §. Nach dieser allgemeinen Beschreibung und Erklärung des guten Geschmackes überhaupt, wird es leicht fallen, den guten Geschmack in der Poesie zu erklären. Es ist nämlich derselbe eine Geschicklichkeit, von der Schönheit eines Gedichtes, Gedankens oder Ausdruckes recht zu urtheilen, die man größtenteils nur klar empfunden, aber nach den Regeln selbst nicht geprüfet hat. Ich sage mit Bedacht nicht geprüfet hat: damit man weder diejenige Art der Leser oder Dichter ausschließe, die solches nicht thun kann; noch diejenige, die es wohl zu thun vermag, wenn sie sich Zeit und Mühe dazu nehmen kann, und will. Es geschieht nämlich sehr oft, daß auch diejenigen, die Einsicht genug in die Regeln der Dichtkunst haben, und alle dahin gehörige Stücke gründlich beurtheilen könnten; dennoch in der Geschwindigkeit, nach der bloßen, obwohl bereits geläuterten Empfindung urtheilen: so wie ein Musikverständiger es gleich aus dem Gehöre haben kann, ob ein andrer wider die Regeln der Tonkunst spielet. Ich habe aber diesen Geschmack weder auf die Dichter noch Leser insbesondre, und mit Ausschließung der andern, eingeschränket. Beyde haben zuweilen nichts mehr als Geschmack, und wissen die Regeln nicht: beyde aber brauchen auch zuweilen nur denselben, ob sie gleich die Regeln gar wohl wissen, und darnach urtheilen können. Und aus dieser Beschreibung ist es nunmehr leicht zu begreifen, daß ein jeder Poet von rechtswegen damit versehen seyn solle.
12. §. Es lassen sich aber aus dieser Erklärung alle die schweren Fragen beantworten, die von dem Geschmacke schon aufgeworfen worden. Man will erstlich wissen: Ob der Geschmack mit den Menschen gebohren, oder erst allmählich erlanget werde? Ich wollte dabey fragen: Ob der Verstand, Witz und Geist eines Poeten mit ihm gebohren würden? Denn eben das, was man hier antworten wird, das kann auch jenem Zweifel abhelfen. Wir bringen wohl nichts mehr, als die bloße Fähigkeit, mit uns zur Welt. Diese ist nun freylich bey verschiedenen Menschen größer oder kleiner, und thut sich entweder bald oder spät hervor: die Art der Auferziehung aber bringt sie allererst ins Geschicke. Sie muß erweckt, angeführt, von Fehlern gesaubert, und auf dem guten Wege so lange erhalten werden, bis sie ihres Thuns gewiß wird. Der Geschmack ist also dem Menschen eben so wohl was natürliches, als seine übrigen Gemüthskräfte. Ein jeder, der nur Sinne und Verstand hat, besitzt auch eine Geschicklichkeit von der Schönheit empfundener Dinge zu urtheilen. Und so lange diese letztern nicht ihre Natur und Eigenschaften verlieren, so lange wird ein jedes vernünftiges Wesen davon sagen können, ob sie ihm wohl oder übel gefallen.²
13. §. Man will ferner wissen: ob gewissen Leuten der gute, andern aber der schlimme Geschmack angebohren sey? Ich antworte eben so, wie vorhin. So wenig einem eine gesunde, dem andern eine verderbte Vernunft angebohren ist: so wenig ist solches auch bey dem Geschmacke zu vermuthen. Die Fähigkeit neugebohrner Kinder ist zu allem gleichgültig. Man kann aus ihnen machen, was man will. Man erziehe es unter den Bauern, es wird bäurisch denken und reden; unter den Bürgern, es wird bürgerlich urtheilen; unter Soldaten, es wird kriegerische Dinge im Kopfe haben; unter Gelehrten, es wird nach Art studirter Leute vernünfteln und grübeln; bey Hofe, es wird sich von lauter Lustbarkeiten und Regierungssachen Chimären erdenken. Die Kinder sind auch hier, wie Affen. Wie mans ihnen vormachet, so machen sie es nach. Man lobe in ihrer zarten Jugend etwas; sie werdens bald hoch schätzen lernen. Man verachte etwas; sie werdens bald verwerfen lernen. Ihre ersten Urtheile richten sich nach den Urtheilen derer, mit denen sie immer umgehen. Der Ausspruch ihrer Aeltern oder Wärterinnen ist schon zulänglich, ihnen etwas, als schön oder häßlich einzuprägen: zumal wenn sie merken, daß man dabey seine Gedanken auf sie nicht richtet, sondern für sich davon urtheilet. So gewöhnet sich allmählich ihr Verstand durch die bloße Nachahmung, dieses weiß und jenes schwarz zu heißen. Und dadurch entsteht auch entweder ein guter oder übler Geschmack; nachdem diejenigen ihn haben, zu deren Schülern sie das Glücke gemacht hat, ehe sie noch geschickt waren, dieselben für ihre Lehrer zu erkennen.
14. §. So groß hier das Glück der Kinder ist, die von klugen Aeltern gebohren worden, und in die Hände vernünftiger Lehrmeister gerathen: so sehr ist es zu bedauren, daß die größte Anzahl derselben von Jugend auf verderbet wird. Die einfältigsten Weibspersonen legen den ersten Grund zu dem verderbten Geschmacke, den viele haben. Ihre verkehrte Art zu denken und von Dingen zu urtheilen, macht einen tiefern Eindruck in die Seele eines zarten Knaben, als mancher sich einbildet. Die gleichsam hervorkeimenden Gemüthskräfte sind nicht im Stande, ihre Thorheiten zu verwerfen: vielmehr nehmen sie auf guten Glauben das erste für das Beste an. Dieses wird mit der Zeit der Maaßstab aller ihrer übrigen Wirkungen. Was ihren ersten Eindrückungen gemäß ist, das nennen sie hernach recht und gut, schön und angenehm. Alles übrige ist falsch, böse, garstig, verdrüßlich. Was die ersten Lehrmeister oder die Aeltern eines Kindes bewundern und loben, schön, artig, oder sinnreich nennen, das lernen diese auch hochschätzen und verehren; es sey nun noch so schlecht und so abgeschmackt als es will. Warum? Sie habens von Kindesbeinen an nicht anders gelernt. Das ist meines Erachtens die erste Quelle des übeln Geschmackes, der in den meisten Ländern noch so allgemein ist.³
15. §. Fragt man weiter, welches denn das Mittel sey, den guten Geschmack bey Erwachsenen zu befördern? So sage ich: nichts anders, als der Gebrauch der gesunden Vernunft. Man halte nichts für schön oder häßlich, weil man es so nennen gehöret; oder weil alle Leute, die man kennet, es dafür halten: sondern man untersuche es an und für sich, ob es auch so sey? Man muß seine eigne fünf Sinne zu Rathe ziehen: diese werden bald die falsche Schönheit von der wahren, den Firniß vom rechten Marmor, das Flittergold von dem echten unterscheiden, und allen Betrug entdecken lernen. Durch dieses Mittel hat vorzeiten Griechenland die Regeln der meisten freyen Künste erfunden, und dadurch den guten Geschmack auf etliche hundert Jahre bey sich unwandelbar gemacht. Die Malerey, Architektur, Schnitzkunst, Musik, Poesie und Redekunst sind daselbst erfunden und fast zur Vollkommenheit gebracht worden. Das macht, die Griechen waren die vernünftigsten Leute von der Welt. Alles philosophirte daselbst; alles urtheilte frey, und folgte seinem eigenen Kopfe. Daher entdeckte man nach und nach die wahrhaften Schönheiten der Natur. Man nahm sorgfältig wahr, wo Uebereinstimmung und Ordnung eine Vollkommenheit zuwege brachten; und wo hingegen die Verwirrung widerwärtiger Dinge eine Uebelstand erweckte. Die Tiefsinnigsten unter ihnen brachten, aus genauer Betrachtung wohlgerathener Meisterstücke, die Regeln heraus, aus welchen alle ihre Schönheit den Ursprung hatte. Und wie also dieselben nicht bloße Hirngespinste waren, sondern aus wirklichen Exempeln, die nach dem Urtheile der klügsten Köpfe für schön befunden worden, entworfen waren: also hat man auch zu aller Zeit gesehen, daß die Regeln und Exempel der Griechen, in allen freyen Künsten, die beste Anleitung zum guten Geschmacke gewesen sind.
16. §. Was ich hier von den Griechen gesagt habe, das kann auch mit gehöriger Veränderung von den Römern gesagt werden. Der Unterscheid ist dieser, daß diese ihren guten Geschmack den Griechen zu danken gehabt, und wie sie denselben spät bekommen, also auch nur kurze Zeit erhalten haben. Nachdem aber die barbarischen Völker, den ganzen Occident mit einem verderbten Geschmacke erfüllet hatten: so sind abermal die Griechen die einzigen gewesen, die den guten Geschmack in Italien wieder hergestellt haben. Von da hat er sich allmählich nach Deutschland, Frankreich, Holl- und England ausgebreitet, doch kaum irgendwo die völlige Oberhand bekommen können. Das sicherste Mittel, denselben zu erhalten ist also, wenn man sich an die Regeln hält, die uns von den Kunstverständigen und Meistern der Alten übrig geblieben. Wenn man die Reste von ihren Meisterstücken dargegen hält, so wird man gewiß finden, daß sie eine Schönheit an sich haben, die der Vernunft nothwendig gefallen muß: dafern man nur nicht in Vorurtheilen ersoffen, und in seine eigene Misgeburten allbereit verliebet ist. Dieses thun insgemein diejenigen, die ein tiefgewurzeltes Vorurtheil, für ihre Nation, oder für ihre Zeiten haben, und sich einbilden, ein jedes Volk habe seinen eigenen Geschmack; und jedes Jahrhundert auch. Da könnte nun dasjenige hier schön seyn, was dort häßlich ist etc. Doch davon will ich weiter unten reden.
17. §. Wie aber? Soll man sich denn immer mit Regeln schleppen, wenn man den guten Geschmack haben will? Das ist eine neue Frage. Nicht alle, die den guten Geschmack haben wollen: sondern nur die, welche ihn wieder herstellen wollen, müssen die Regeln der freyen Künste einsehen, darinnen sie etwas verbessern wollen. Es darf oft nur ein geschickter Kopf kommen, der auf die rechte Spur geräth: so gleich fällt die Schönheit seiner Werke aller Welt in die Augen. Die deutsche Poesie kann uns zum Muster dienen: alle unsere Versmacher steckten vor hundert Jahren noch in der tiefsten Barbarey. Der einzige Opitz hatte aus Griechen und Römern, Holländern und Franzosen, sich die Regeln des guten Geschmackes bekannt gemacht. Er folgte denenselben in seinen Gedichten, und verwarf alles, was seine Vorfahren gestümpelt hatten. Alsbald wachte ganz Deutschland auf. Ein so unvermuthetes Licht fiel sehr stark in die Augen, und da fieng eine Menge von Poeten an zu singen, die nur dem Exempel dieses großen Vorgängers folgeten, die Regeln der Alten aber nicht halb so gut kannten, als er. Sie bekamen also mehrentheils nur aus Lesung seiner Schriften den guten Geschmack, nicht aber aus Regeln; und es wäre zu wünschen, daß ihn nur viele seiner Landesleute, die sich im Lesen der Spanier und Welschen verderbet hatten, nicht bald darauf wieder verschlimmert hätten.
18. §. Fragt man, wie man einen jungen Menschen zum guten Geschmacke in der Poesie bringen könne? So gebe ich diese Antwort: Man gebe ihm von Jugend auf lauter Poeten von gutem Geschmacke zu lesen. Terenz, Virgil, Horaz, von den Lateinern; Petrarcha und Tasso, von den Italienern; Malherbe, Corneille, Boileau, Racine, Moliere, la Motte, Rousseau, Destouches und Voltaire, von den Franzosen: Heins und Cats, von den Holländern; Opitz, Dach, Flemming, Tscherning, beyde Gryphier, Canitz, Besser, Neukirch und Pietsch von unsern Landesleuten: das sind die Muster, die man jungen Leuten vorlegen muß. Man gehe aber dieselben mit ihnen durch; man mache sie aufmerksam auf die schönsten Stellen; man entdecke ihnen einigermaßen die Ursachen, warum sie so schön sind, und zeige ihnen, daß das Widerspiel häßlich gewesen seyn würde. Man bemerke ihnen auch die schlechten Stellen, die sich als Ueberbleibsele des übeln Geschmackes, auch bey allen oberwähnten Scribenten, noch hier und da finden. Dadurch wird man der Jugend unvermerkt eine Geschicklichkeit, wohl zu urtheilen beybringen, und durch die Gegenstellung schlechter Poeten bestärken. Nichts wird ihr hernach gefallen können, was nicht eine wirkliche Schönheit hat: und wenn sie gleich die innern Regeln der darinnen befindlichen Vollkommenheit nicht eingesehen; so wird sie doch fähig seyn, durch eine zärtliche Empfindung wahrzunehmen, ob dieselben in einem Gedichte, oder im Ausputze desselben beobachtet worden oder nicht?
19. §. Man hat endlich auch gefragt: ob ein Scribent sich nicht vielmehr dem Geschmacke seiner Zeiten, seines Ortes, oder seines Hofes; als den Regeln der Kunst, zu bequemen Ursache habe? Man meynt nämlich, die ersten Regeln der freyen Künste wären nur nach dem Geschmacke des atheniensischen Volkes entworfen; indem sich die Kunstrichter darinnen auf diejenigen Meisterstücke berufen und gegründet, die den allgemeinen Beyfall erhalten hatten. Warum sollen wir nun, spricht man, unsern Kopf nach dem atheniensischen Eigensinne richten? Was haben wir es nöthig, mit fremden Augen zu sehen, mit fremden Zungen zu schmecken, und nach einem fremden Leisten zu denken? Warum sollen wir heutiges Tages nicht das Recht haben, das für schön zu halten, was uns selbst gefällt; sondern dasjenige, was den alten Griechen vor zwey tausend Jahren gefallen hat?
20. §. Der Einwurf scheint wichtig zu seyn: denn er schmeichelt unsrer Eigenliebe. Er würde auch unauflöslich seyn, wenn es ein bloßer Eigensinn wäre, der eine Sache für schön erklärte. Hätten ferner die Athenienser weiter nichts zum voraus vor uns, und wären wir ihnen in allen Stücken gleich: so könnten wir uns ihnen mit Recht widersetzen. Allein beydes verhält sich ganz anders. Die Schönheit eines künstlichen Werkes, beruht nicht auf einem leeren Dünkel; sondern sie hat ihren festen und nothwendigen Grund in der Natur der Dinge. Gott hat alles nach Zahl, Maaß und Gewicht geschaffen. Die natürlichen Dinge sind an sich selber schön: und wenn also die Kunst auch was schönes hervorbringen will, so muß sie dem Muster der Natur nachahmen. Das genaue Verhältniß, die Ordnung und richtige Abmessung aller Theile, daraus ein Ding besteht, ist die Qvelle aller Schönheit. Die Nachahmung der vollkommenen Natur, kann also einem künstlichen Werke die Vollkommenheit geben, dadurch es dem Verstande gefällig und angenehm wird: und die Abweichung von ihrem Muster, wird allemal etwas ungestaltes und abgeschmacktes zuwege bringen.
21. §. Man versuche es doch, und berede einen Baumeister, Maler oder Musikverständigen einmal, daß seine architektonischen, perspectivischen und harmonischen Regeln nichts als einen lautern Eigensinn zum Vater hätten: die sechs Seulenordnungen wären eben so willkührlich, als die wunderseltsamen Zierrathe, in der gothischen Baukunst; die Lehre vom Gesichtspunkte, und der Entfernung in Gemälden wäre nur eine Phantasie; und die Gleichförmigkeit, oder Widerwärtigkeit der Töne, hätte nur die Einbildung zur Mutter. Man wird sich durch dergleichen Einwurfe, nur auslachenswürdig machen. Alle diese Künstler, wenn sie anders geschickte Leute sind, werden haarklein zu zeigen wissen, was für eine natürliche Nothwendigkeit in dem allen steckt, und uns den Grund ihrer Regeln, in der Empfindung und gesunden Vernunft, entdecken. In der Beredsamkeit und Poesie geht es nicht anders. Kann hier gleich das Verhältniß nicht mit Zahlen und Linien ausgedrücket, mit Zirkel und Lineal abgemessen, und so handgreiflich gemacht werden, als in den andern Dingen, wo man durch Hülfe der Meßkunst alles sehr ins Licht setzen kann: so folgt doch deswegen noch nicht, daß hier alles willkührlich sey. Unsre Gedanken sind so vieler Harmonie, Ordnung, Abmessung und Verhältniß fähig, als Figuren und Töne. Nur es gehören scharfsinnigere Köpfe dazu, die Schönheiten solcher Dinge, die man weder fühlen noch greifen kann, recht auszugrübeln, und in ihren ersten Qvellen zu untersuchen. Daher hat auch der tiefsinnigste von den alten Weltweisen sich zuerst darüber machen müssen, die Regeln der Dichtkunst und Redekunst zu entwerfen, welches vor ihm sich noch niemand unterstanden hatte. Diejenigen bleiben also nur an der äußersten Schale kleben, die sich einbilden, die poetischen Schönheiten wären ganz willkührlich; heute könnte dieß, und morgen was anders gefallen; in Rom könnte was häßlich seyn, was in Paris oder Londen unvergleichlich wäre. Nicht der Beyfall macht eine Sache schön; sondern die Schönheit erwirbt sich bey Verständigen den Beyfall.
22. §. Zweytens ist es auch ganz falsch, daß wir uns den Atheniensern mit Recht an die Seite setzen, oder ihnen gar die Stirne biethen könnten. Sie haben viele Vorzüge gehabt, deren wir uns nicht rühmen können. Sie sind das gescheidteste Volk auf dem Erdboden gewesen, das sich zu allererst aus der finstern Barbarey gerissen hat. Sie sind die Erfinder aller freyen Künste und Wissenschaften. Von ihnen haben alle andre Völker ihre Gesetze, Philosophie, Arzneykunst, Beredsamkeit, Poesie, Baukunst, Malerey und Musik gelernet; so vieler andern Künste zu geschweigen. Könnten wir nun eben das von uns rühmen, so möchten wir uns etwa ihrem Geschmacke widersetzen dörfen; müßten aber dennoch wohl zusehen, daß wir es nicht ohne Grund thäten. Da wir nun vermuthlich noch in der Barbarey stecken würden, wenn uns nicht die griechischen Bücher die Augen aufgethan hätten; indem wir alle Wissenschaften und freye Künste von ihnen gefasset: was für ein Recht haben wir denn wohl, uns wider unsre Lehrmeister aufzulehnen?
23. §. Ja, wird man sprechen: weil uns vieles gefällt, was jenen Alten nicht gefallen, und doch das Gefällige allezeit eine Schönheit zum Grunde hat; so fragt sichs, ob es nicht noch andre wirkliche Schönheiten in Kunstwerken geben könne, als die den Alten bekannt gewesen? Die Erfahrung zeigt aber allerdings, daß es dergleichen gebe.

NON EADEM MIRAMUR: EO DISCONUENIT INTER
MEQUE ET TE. NAM QUAE DESERTA ET INHOSPITA TESQUA
CREDIS, AMOENA VOCAT, MECUM QUI SENTIT; ET ODIT
QUAE TU PULCRA PUTAS.

HOR. L.I. EP. XIV.


Ich antworte, freylich entsteht das Wohlgefallen allezeit aus der Empfindung einer Schönheit: aber es giebt wahre, es giebt auch eingebildete Schönheiten. Diese erwecken freylich bey vielen eine Belustigung; aber nur so lange, als sie dieselben für Schönheiten ansehen. Oftmals lernen sie es begreifen, daß sie sich in ihrem Urtheile betrogen haben: und alsdann erwecket ihnen dasjenige Verdruß, was ihnen vorher wohlgefiel. Von ferne sieht oft eine Person sehr wohl aus: wenn wir sie aber in der Nähe erblicken, so ist sie häßlich. Aus der Baukunst, Musik und Malerey, kann man hier unzählige Erläuterungen geben. Wie oft gefällt hier nicht einem unwissenden Schüler etwas, das einem Kenner misfällt? Haben denn da beyde Urtheile wahre Schönheiten oder Ungereimtheiten zum Grunde? So müßte ja ein Ding zugleich schön und häßlich, zugleich wahr und falsch, zugleich weiß und schwarz seyn können? Wer soll sich aber nach des andern Urtheile bequemen? Soll der Meister dem Schüler, oder der Schüler dem Meister folgen? Ohne Zweifel wird derjenige bessern Grund von der Sache haben, der seinem Gegenpart die Unrichtigkeit seines Urtheils zeigen, und ihn dahin bringen kann, daß er seinen vorigen Ausspruch widerruft. Nun lasse man einen unerfahrnen Schüler seinem Meister, so lange er will, vorsagen, daß ein Fehler eine Schönheit sey: nimmermehr wird ers so weit bringen, daß jener seine Vernunft, Einsicht und Sinne verläugne, und daran einen Gefallen zu haben anfange, dessen Unordnung und Mishälligkeit er aus den Kunstregeln unumstößlich zu erweisen im Stande ist. Dem Schüler aber fehlt es nur am Unterrichte; so bald er die Natur der Sachen wird verstehen lernen, wird er sich schämen, daß er vorhin etwas bewundern können, was nur eine Scheinschönheit an sich gehabt; in der That aber ein Zusammenfluß unzählicher Ungereimtheiten gewesen.
24. §. So müssen sich denn die Poeten niemals nach dem Geschmacke der Welt, das ist, des großen Haufens, oder des unverständigen Pöbels richten. Dieser vielköpfigte Götze urtheilt oft sehr verkehrt von Dingen.
Er muß vielmehr suchen, den Geschmack seines Vaterlandes, seines Hofes, seiner Stadt zu läutern: es wäre denn, daß dieses schon vor ihm geschehen wäre. Es geschieht aber niemals ganz vollkommen; und es bleibt auch in dem gescheidtesten Volke allezeit ein Ueberrest des übeln Geschmackes zurücke. In Rom hatten Terentius und Lucretius schon einen ziemlich reinen und zarten Geschmack erwiesen. Doch klagt Horatius sowohl in seinem langen Briefe an den Kaiser, als in seiner Dichtkunst: daß die Römer noch an den plautinischen Zoten, und an Lucils unreinen Possen ein Belieben trügen. Bavius und Mävius fanden auch ihre Anbether. Hätten sich nun Virgilius und Varius nach dem Geschmacke der sonst so klugen Römer richten wollen, was würden sie für elendes Zeug haben schreiben müssen? Sie suchten also vielmehr mit ihren Werken wider den gemeinen Strom zu schwimmen, und waren zufrieden, daß sie wenigen Kennern gefielen.

NON EGO VENTOSAE PLEBIS SUFFRAGIA CAPTO.
Ich strebe nach dem Ruhm des eitlen Pöbels nicht.


Schreibt Horaz an einem Orte. Noch viel ausführlicher hat er solches in seiner X. Satire des I. Buchs zu verstehen gegeben.

25. §. Eben das hat Boileau allezeit geklaget, wenn er den verderbten Geschmack seiner Pariser, die auch das elendeste Zeug vielmals schön nenneten und bewunderten, herunter gemacht hat. Er versichert, daß seine Zeiten sowohl an närrischen Scribenten als an närrischen Bewunderern fruchtbar gewesen; und setzt hinzu, daß Land und Stadt und Hof keinen Mangel daran gehabt. Die Herzoge und Prinzen selbst, hätten keine Ausnahme von der Regel gemacht. Das niederträchtigste Werk, habe bey den Hofleuten seine eifrige Verfechter, und ein jeder Narr einen noch größern gefunden, der ihn bewundert hätte.

AINSI QU'EN SOTS AUTEURS,
NOTRE SIECLE EST FERTILE EN SOTS ADMIRATEURS,
ET SANS CEUX, QUE FOURNIT LA VILLE & LA PROVINCE,
IL EN EST CHEZ LE DUC, IL EN EST CHEZ LE PRINCE.
L'OUVRAGE LE PLUS PLAT À CHEZ LES COURTISANS,
DE TOUT TEMPS RENCONTRÉ DE ZELEZ PARTISANS.
ET POUR FINIR ENFIN PAR UN TRAIT DE SATIRE,
UN SOT TROUVE TOUJOURS UN PLUS SOT, QUI L'ADMIRE.

ART. POET. CH. I.


Von unserm Opitz kann man ein gleiches erweisen. Er hätte lauter Hans Sachsen-Verse machen müssen, wenn er der Mode seiner Zeiten hätte folgen wollen. Er muß auch wohl nicht bey allen Deutschen so viel Beyfall gefunden haben, als er verdienete: denn er klagt ausdrücklich darüber, wenn er sich in dem Briefe an Zinkgräfen, den er in Paris geschrieben, über die Menge der elenden Poeten beschweret, und sich auf das Urtheil der Nachwelt berufet:

Mein rechter Eifer brennet
Nur wider dieses Volk, das die Poeten nennet,
Bey dir und auch bey uns, an welchen um und an
Ja nichts poetisch ist, als daß es lügen kann.
Doch läßt uns diese Pest der Sprachen unvertrieben:
Kein Vers vom Bavius und Mävius ist blieben:
Der Venusiner-Schwan, der Preis von Mantua,
Und Naso und Catull, die sind noch alle da.
Laß du, o Zinkgräf, nur den guten Zweck nicht liegen,
Zu helfen, wie du thust, die Finsterniß besiegen,

Die deutscher Reden Zier bisher umhüllet hat.
Kriegt gleich ein Nesselstrauch bey Rosen seine Statt;
So blühen sie gleichwohl. Wir wollen nicht bedenken,
Daß träge Hummeln sich an diesen Bienstock henken.
Ein Körper bleibet doch, obgleich des Schattens Schein
Sich größer macht als er. Die Zeit soll Richter seyn.

I.B. der Poet. W.


26. §. Ich würde noch Neukirchs Exempel anführen, der nach Ablegung des hofmannswaldauischen und lohensteinischen Geschmackes sehr besorgte, daß sein verwöhntes Schlesien und das sonst so witzige Budorgis an seiner Poesie nichts Gefälliges mehr finden würde; wenn ich solches nicht schon in dem Vorberichte zu Horatii Dichtkunst gethan hätte. Ich will also nur noch ein Zeugniß aus Pietschen anführen. Dieser fand bey dem Antritte seines poetischen Lehramtes in Königsberg, den Geschmack der ganzen Stadt, durch die schwülstigen Gedichte eines gewissen Schlesiers, der durch die Musik berühmter geworden, als durch die Poesie, nämlich des Capellmeisters Neidhard und seiner Schüler, verwöhnet. Diese stopften insgemein ihre Sachen auf gut Lohensteinisch, ja noch weit ärger, voller Gelehrsamkeit; daher denn die meisten, die solche bewunderten ohne sie zu verstehen, sich einbildeten: Pietsch wäre mit seinen Gedichten, für nichts gegen Neidharden zu rechnen. Bey einer vornehmen Priesterleiche also, nahm jener Gelegenheit, diese Unart zu bestrafen, und den Liebhabern einer zusammengestoppelten Menge von Namen, und hochtrabender Ausdrückungen, ihren übeln Geschmack dadurch zu verweisen, daß er ihn selber nachahmete. Er hebt so an:

Ihr Musen stimmet mir die abgespannten Seyten
Nach dem verderbten Sinn der ungereimten Zeiten,
Weil doch kein reines Lied verwöhnten Ohren klingt,
Wenn man die Stimme nicht nach fremden Tönen zwingt:
Wer liebt wohl ein Gedicht? Wenn nicht entfernten Sachen
Die vielen Reihen bunt, den Einfall kraftlos machen?
So lässet Neukirch auch gerechte Klagen tönen;
»Soll ich im Alter mich mit fremden Lorbern krönen?
Sonst trug der Tacitus der Reime schwaches Haus,
Ich schmückt es noch dazu mit Sinnenbildern aus:
Dort hatte Seneca, dort Plato was gesaget,
Dort hat ich einen Spruch dem Plautus abgejaget.
Damals gefiel ich noch! doch itzt sind meine Lieder
Sehr matt und ohne Kraft und Schlesien zuwider:
Denn mein entlehnter Glanz nahm durch den falschen Schein,
Wie schlecht er immer war, viel hundert Leser ein.
«
So will auch Königsberg nur solche Dichter hören,
Die ihren eignen Vers, durch fremde Namen stören.


Alles dieses nun geht einzig und allein dahin, daß ein Poet sich an den Geschmack seiner Zeiten und Oerter nicht zu kehren, sondern den Regeln der Alten und den Exempeln großer Dichter zu folgen habe.
27. §. Woher der üble Geschmack des großen Haufens komme, das ist aus dem obigen leicht abzunehmen. Die schlechte Auferziehung ist sonder Zweifel die allergemeinste Quelle desselben, und dadurch werden auch die fähigsten Köpfe verwahrloset. Weil die Kinder durchgehends nur durch die Nachahmung urtheilen lernen: so gefällt ihnen gleich von Jugend auf das, was sie von ihren Aeltern, oder andern Leuten, denen sie was zutrauen, loben hören.
Die ersten Urtheile werden also unvermerkt eine Richtschnur der übrigen, und nachdem sie durch eine lange Gewohnheit gleichsam tief eingewurzelt sind, so können sie fast gar nicht mehr ausgerottet werden. Der Geschmack alter Leute läßt sich also schwerlich bessern. Sie bleiben fest bey ihren Meynungen, und schämen sich, dasjenige zu verwerfen, was sie ihr Lebenlang für schön gehalten haben. Man mag ihnen sagen, was man will: so bleiben sie doch auf ihrem Eigensinne: weil sie es für schimpflich ansehen, sich bey grauen Haaren in ihren Urtheilen zu ändern, und dadurch einzuräumen, daß sie so lange geirret und einen übeln Geschmack gehabt: zumal, wenn sie Leuten, die jünger sind als sie, recht geben, und folgen sollen.
28. §. Junge Leute hingegen können leichter ihren Geschmack ändern, wenn sie gleich bereits verwöhnet worden. Sie sind in ihrer Meynung noch so sehr nicht verhärtet; sie trauen ihren Urtheilen noch keine solche Unfehlbarkeit zu, daß sie nicht auch zuweilen falsch seyn könnten: sie geben also eher der gesunden Vernunft Gehör, und begreifen die Richtigkeit der Regeln gar leicht. Ja wenn man ihnen gleich nicht die Gründe des guten Geschmackes und die Qvellen wahrer Schönheiten entdecken und begreiflich machen kann; weil sie etwa nicht studiret haben, oder sonst die gehörige Fähigkeit nicht besitzen: so lernen sie doch aus der bloßen Empfindung endlich recht urtheilen. Man darf ihnen nur etwas Schönes zeigen, und sie aufmerksam darauf machen: so gleich werden sie es gewahr. Denn mehrentheils gefällt ihnen deswegen das Schlechte, weil sie noch nichts bessers gesehen haben: nicht anders, wie mancher bloß daher in eine mittelmäßige Gestalt verliebt ist, weil er noch keine Gelegenheit gehabt, eine rechte Schönheit kennen zu lernen. Man zeige nur einem solchen Liebhaber eine vollkommenere Person, als seine vermeynte Halbgöttin ist: er wird ihrer entweder gar vergessen; oder doch zum wenigsten den größten Theil seiner Hochachtung gegen dieselbe verlieren.
29. §. Und so hätte ich wohl meines Erachtens in diesem Capitel meinen Vorsatz ins Werk gerichtet, indem ich nicht nur einen deutlichen Begriff von dem Geschmacke überhaupt gegeben, sondern auch die Regeln des guten Geschmacks entdecket, und ihn dadurch von dem übeln unterschieden; ferner dieses gegen die Einwürfe vertheidiget, und endlich etliche zweifelhafte Fragen, die bey dieser Materie aufgeworfen worden, nach meinen Grundsätzen entschieden. Nunmehro sollte ich besondere Lehren geben, und zeigen, was denn in allerley Gedichten, Einfällen und Ausdrückungen dem guten oder übeln Geschmacke gemäß sey. Allein, dieses ist eine Arbeit, die alle folgende Capitel dieses Buches einnehmen wird, als in welchen ich stückweise die Regeln vortragen will, darnach die poetischen Schönheiten beurtheilet werden müssen. Man merke zum Beschlusse die Regel Horazens an:

INTERDUM VULGUS RECTUM VIDET; EST VBI PECCAT.

LIB. II. EP. 1.

Oft hat der Pöbel recht, und oftmals fehlt er auch.


Und,

MAXIMA PARS VATUM – – –
DECIPIMUR SPECIE RECTI.

Der Dichter größter Theil betrügt sich durch den Schein.


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Fußnoten

¹ Der große Leibnitz ist hier vollkommen meinet Meynung. In dem RECUEIL DE DIV. PIEC. DE MRS. NEWTON, CLARKE & C. schreibt er p. 285. LE GOUT DISTINGUÉ DE L'ENTENDEMENT, CONSISTE DANS LES PERCEPTIONS CONFUSES, DONT ON NE SAUROIT ASSEZ RENDRE RAISON. C'EST QUELQUE CHOSE D'APPROCHANT DE L'INSTINCT. LE GOUT EST FORMÉ PAR LE NATUREL & PAR L'USAGE: ET POUR L'AVOIR BON, IL FAUT S'EXERCER À GOUTER LES BONNES CHOSES, QUE LA RAISON & L'EXPERIENCE ONT DEJA AUTORISÉES; EN QUOI LES JEUNES GENS ONT BESOIN DE GUIDES. d.i. Der Geschmack, wenn er vom Verstande unterschieden ist, besteht in den verwirrten Empfindungen, davon man nicht wohl Rechenschaft geben kann. Er ist etwas, das mit dem Triebe übereinkömmt. Der Geschmack wird durch das Naturell und die Gewohnheit gebildet: und wenn er gut werden soll, so muß man sich üben, an guten Sachen ein Gefallen zu haben, die schon durch Vernunft und Erfahrung bestätiget worden.

² Der berühmte Graf Schaftsbury ist hier gleichfalls meiner Meynung, wenn er MISC. T. III. p. 164. der Lond. Ausg. schreibt: NOW A TASTE OR JUDGMENT, T'IS SUPPOS'D, CAN HARDLY COME READY FORM'D WITH US INTO THE WORLD. WHATEVER PRINCIPLES OR MATERIALS OF THIS KIND WE MAY POSSIBLY BRING WITH US; WHATEVER GOOD FACULTYS, SENSES, OR ANTICIPATING SENSATIONS AND IMAGINATIONS MAY BE OF NATURES GROWTH, AND ARISE PROPERLY OF THEMSELVES, WTTHOUT OUR ART, PROMOTION OR ASSISTENCE: THE GENERAL IDEA WHICH IS FORM'D OF ALL THIS MANAGEMENT, AND THE CLEAR NOTION WE ATTAIN OF WHAT IS PREFERABLE AND PRINCIPAL IN ALL THESE SUBJECTS OF CHOICE AND ESTIMATION, WILL NOT, AS I IMAGINE, BY ANY PERSON BE TAKEN FOR INNATE. VSE, PRACTICE AND CULTURE MUST PRECEDE UNDERSTANDING AND WIT OF SUCH AN ADVANCED SIZE AND GROWTH AS THIS. A LEGITIMATE AND JUST TASTE, CAN NEITHER BE BEGOTTEN, MADE, CONCEIV'D, OR PRODUC'D, WTTHOUT THE ANTECEDENT LABOUR AND PAINS OF CRITICISM. d.i. Nun kann wohl unstreitig ein Geschmack oder Urtheil, schwerlich schon ganz fertig mit uns zur Welt kommen. Wir mögen auch noch solche Grundsätze oder Zubehörungen dieser Art, mit uns bringen: wir mögen noch solche gute Fähigkeiten, Sinne, oder vorläufige Empfindungen und Einbildungen, von der bloßen Natur haben, oder vor sich selbst wachsen sehen, ohn alle Kunst, Beförderung, oder Hülfe: so wird doch meiner Meynung nach, der allgemeine Begriff, der aus allen diesen Anstalten entsteht, und die klare Vorstellung, die wir in Sachen, die eine Wahl und Hochachtung verdienen, von dem Vorzuge, und der Fürtrefflichkeit haben, von niemanden für angebohren gehalten werden. Erfahrung, Uebung und Anführung müssen vor dem Verstande und Witze einer so hochgestiegenen Größe und von solchem Wuchse vorhergehen. Ein regelmäßiger und richtiger Geschmack kann weder gebohren, gemacht, begriffen, noch hervorgebracht werden, ohne die vorhergehende Arbeit der Beurtheilungskunst.

³ Herr Rollin schreibt hiervon im III. Buche, auf der 11. Seite sehr schön: LE GOÛT PUBLIC DEVIENT SUR CELA LA REGLE DES JEUNES GENS. ILS REGARDENT COMME ESTIMABLE, CE QUI EST ESTIMÉ DE TOUS. CE N'EST PAS LA RAISON, MAIS LA COUTUME QUI LES GUIDE. UN SEUL MAUVAIS EXEMPLE SEROIT CAPABLE DE CORROMPRE L'ESPRIT DES JEUNES GENS, SUSCEPTIBLES DE TOUTE SORTE D'IMPRESSIONS. d.i. Der allgemeine Geschmack des Volkes wird hier die Regel junger Leute. Sie sehen dasjenige für schätzbar an, was von allen hochgeschätzet wird. Nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit leitet sie. Ein einziges böses Exempel, ist vermögend den Verstand junger Leute zu verderben, die zu allen Eindrückungen fähig sind.

Seneca in seinem 94 Briefe schreibt: INDUCENDA EST IN OCCUPATUM LOCUM VIRTUS, QUAE MENDACIA, CONTRA VERUM PLACENTIA, EXSTIRPET; QUAE NOS A POPULO, CUI NIMIS CREDIMUS, SEPARET, AC SINCERIS OPINIONIBUS REDDAT.

NEQUE, TE VT MIRETUR TURBA, LABORES;
CONTENTUS PAUCIS LECTORIBUS. AN TUA, DEMENS,
VILIBUS IN LUDIS DICTARI CARMINA MALIS?
NON EGO. NAM SATIS EST EQUITEM MIHI PLAUDERE – –
MEN' MOUEAT CIMEX PANTILIUS? AUT CRUCIER, QUOD
VELLICET ABSENTEM DEMETRIUS? AUT QUOD INEPTUS
FANNIUS, HERMOGENIS LAEDAT CONUIUA TIGELLI?
PLOTIUS & VARIUS, MECAENAS, VIRGILIUSQUE,
VALGIUS, & PROBET HAEC OCTAVIUS OPTIMUS, ATQUE
FUSCUS, & HAEC VTINAM VISCORUM LAUDET VTERQUE!
AMBITIONE RELEGATA TE DICERE POSSUM
POLLIO; TE MESSALLA TUO CUM FRATRE, SIMULQUE
VOS BIBULI & SERUI, & SIMUL HIS TE, CANDIDE FURNI.
COMPLURES ALIOS, DOCTOS EGO QUOS & AMICOS
PRUDENS PRAETEREO, QUIBUS HAEC, SINT QUALIACUNQUE,
ARRIDERE VELIM: DOLITURUS SI PLACEANT SPE
DETERIUS NOSTRA. DEMETRI, TEQUE TIGELLI
DISCIPULARUM INTER IUBEO PLORARE CATHEDRAS.

HOR. SAT. X

D.i. Bemühe dich nicht, schreibt er, von dem großen Haufen bewundert zu werden; und sey mit wenigen Lesern zufrieden. Bist du so thöricht, zu wünschen, daß von deinen Versen in den gemeinsten Spielgesellschaften geplaudert werde? Ich nicht! Genug, wenn die edlen Ritter mich ihres Beyfalls würdigen. – – Sollte ich mich um den schmutzigen Pantilius bekümmern? oder sollte ich mich qvälen, daß mich Demetrius hinterrücks durchzieht? oder daß der närrische Fannius, des Hermogenes Tischgast, mich schimpfet? Wenn nur Plotius und Varius, Mecänas und Virgilius, Valgius und Octavius, der gnädigste Kayser, nebst dem Fuscus, meine Schriften gut heißen, wenn nur beyde Visci mich loben. Ja ohne Ruhm zu melden, kann ich dich noch nennen Pollio, dich Messala mit deinem Bruder, und euch, Bibuler und Servier, nebst dem aufrichtigen Furnus, imgleichen viele andere, die ich, als gelehrte Leute, und gute Freunde, mit Fleiß vorbey gehe; denen ich aber mit diesen meinen geringen Sachen zu gefallen wünsche, und mich betrüben würde, wenn sie ihnen nicht so gut, als ich wünsche, gefallen sollten. Dich aber Demetrius, und dich, du guter Tigellius, lasse ich unter den Schulbänken des Frauenzimmers, denen ihr, als euren Schülerinnen gefallet, euer Unglück beweinen.

Sehr schön schreibt hievon Seneca im 1. Cap. DE VITA BEATA: NULLA RES NOS MAIORIBUS MALIS IMPLICAT, QUAM QUOD AD RUMOREM COMPONIMUR: OPTIMA RATI EA, QUAE MAGNO ASSENSU RECEPTA SUNT. – – – NEC AD RATIONEM, SED AD SIMILITUDINEM VIUIMUS. d.i. Kein Ding ist uns verderblicher, als daß wir uns nach der gemeinen Sage des Pöbels richten; und uns einbilden, das sey das Beste, was mit vielem Beyfalle aufgenommen wird. – – – Wir leben nicht nach der Vernunft, sondern behelfen uns mit dem Nachäffen anderer.

VEL QUIA NIL RECTUM, NISI QUOD PLACUIT SIBI, DUCUNT;
VEL QUIA TURPE PUTANT, PARERE MINORIBUS, &, QUAE
IMBERBES DIDICERE, SENES PERDENDA FATERI.

HOR. L. II. EP. I.

Entweder weil man nichts für recht und richtig hält,
Als was man selber liebt, was seinem Sinn gefällt.
Wo nicht, weil man sich soll nach jüngern Leuten richten,
Und was man jung gelernt, im Alter selbst vernichten.

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