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Goethe über seinen "West-östlichen Divan" - Teil 2

Poeterey


Johann Wolfgang von Goethe



Noten und Abhandlungen
zu besserem Verständnis
des West-östlichen Divans


(Teil 2)


Kalifen


Um aber in unsern eigensten Kreis zurückzukehren, wiederholen wir, dass die Sassaniden bei vierhundert Jahre regierten, vielleicht zuletzt nicht mit früherer Kraft und Glanz; doch hätten sie sich wohl noch eine Weile erhalten, wäre die Macht der Araber nicht dergestalt gewachsen, dass ihr zu widerstehen kein älteres Reich imstande war. Schon unter Omar, bald nach Mahomet, ging jene Dynastie zugrunde, welche die altpersische Religion gehegt und einen seltenen Grad der Kultur verbreitet hatte.

Die Araber stürmten sogleich auf alle Bücher los, nach ihrer Ansicht nur überflüssige oder schädliche Schreibereien; sie zerstörten alle Denkmale der Literatur, so dass kaum die geringsten Bruchstücke zu uns gelangen konnten. Die sogleich eingeführte arabische Sprache verhinderte jede Wiederherstellung dessen, was nationell heißen konnte. Doch auch hier überwog die Bildung des Überwundenen nach und nach die Rohheit des Überwinders, und die mahometanischen Sieger gefielen sich in der Prachtliebe, den angenehmen Sitten und den dichterischen Resten der Besiegten. Daher bleibt noch immer als die glänzendste Epoche berühmt die Zeit, wo die Barmekiden Einfluss hatten zu Bagdad. Diese, von Balch abstammend, nicht sowohl selbst Mönche als Patrone und Beschützer großer Klöster und Bildungsanstalten, bewahrten unter sich das heilige Feuer der Dicht- und Redekunst und behaupteten durch ihre Weltklugheit und Charaktergröße einen hohen Rang auch in der politischen Sphäre. Die Zeit der Barmekiden heißt daher sprichwörtlich: Eine Zeit lokalen, lebendigen Wesens und Wirkens, von der man, wenn sie vorüber ist, nur hoffen kann, dass sie erst nach geraumen Jahren an fremden Orten unter ähnlichen Umständen vielleicht wieder aufquellen werde.

Aber auch das Kalifat war von kurzer Dauer; das ungeheure Reich erhielt sich kaum vierhundert Jahre; die entfernteren Statthalter machten sich nach und nach mehr und mehr unabhängig, indem sie den Kalifen als eine geistliche, Titel und Pfründen spendende Macht allenfalls gelten ließen.


Fortleitende Bemerkung


Physisch-klimatische Einwirkung auf Bildung menschlicher Gestalt und körperlicher Eigenschaften leugnet niemand, aber man denkt nicht immer daran, dass Regierungsform eben auch einen moralisch-klimatischen Zustand hervorbringe, worin die Charaktere auf verschiedene Weise sich ausbilden. Von der Menge reden wir nicht, sondern von bedeutenden, ausgezeichneten Gestalten.

In der Republik bilden sich große, glückliche, ruhig-rein tätige Charaktere; steigert sie sich zur Aristokratie, so entstehen würdige, konsequente, tüchtige, im Befehlen und gehrochen bewunderungswürdige Männer. Gerät ein Staat in Anarchie, sogleich tun sich verwegene, kühne, Sitten verachtende Menschen hervor, augenblicklich gewaltsam wirkend, bis zum Entsetzen alle Mäßigung verbannend. Die Despotie dagegen schafft große Charaktere; kluge, ruhige Übersicht, strenge Tätigkeit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Eigenschaften, die man braucht, um den Despoten zu dienen, entwickeln sich in fähigen Geistern und verschaffen ihnen die ersten Stellen des Staats, wo sie sich zu Herrschern ausbilden. Solche erwuchsen unter Alexander dem Großen, nach dessen frühzeitigem Tod seine Generale sogleich als Könige dastanden. Auf die Kalifen häuft sich ein ungeheures Reich, das sie durch Statthalter mussten regieren lassen, deren Macht und Selbständigkeit gedieh, indem die Kraft der obersten Herrscher abnahm. Ein solcher trefflicher Mann, der ein eigenes Reich sich zu gründen und zu verdienen musste, ist derjenige, von dem wir nun zu reden haben, um den Grund der neueren persischen Dichtkunst und ihre bedeutenden Lebensanfänge kennen zu lernen.


Mahmud von Gasna


Mahmud, dessen Vater im Gebirge gegen Indien ein starkes Reich gegründet hatte, indessen die Kalifen in der Fläche des Euphrats zur Nichtigkeit versanken, setzte die Tätigkeit seines Vorgängers fort und machte sich berühmt wie Alexander und Friedrich. Er lässt den Kalifen als eine Art geistlicher Macht gelten, die man wohl, zu eigenem Vorteil, einigermaßen anerkennen mag; doch erweitert er erst sein Reich um sich her, dringt sodann auf Indien los, mit großer Kraft und besonderem Glück. Als eifrigster Mahometaner beweist er sich unermüdlich und streng in Ausbreitung seines Glaubens und Zerstörung des Götzendienstes. Der Glaube an den einigen Gott wirkt immer geisterhebend, indem er den Menschen auf die Einheit seines eignen Innern zurückweist. Näher steht der Nationalprophete, der nur Anhänglichkeit und Förmlichkeiten fordert und eine Religion auszubreiten befiehlt, die, wie eine jede, zu unendlichen Auslegungen und Missdeutungen dem Sekten- und Parteigeist Raum lässt und dessen ungeachtet immer dieselbige bleibt.

Eine solche einfache Gottesverehrung musste mit dem indischen Götzendienste im herbsten Widerspruch stehen, Gegenwirkung und Kampf, ja blutige Vernichtungskriege hervorrufen, wobei sich der Eifer des Zerstörens und Bekehrens noch durch Gewinn unendlicher Schätze erhöht fühlte. Ungeheure, fratzenhafte Bilder, deren hohler Körper mit Gold und Juwelen ausgefüllt erfunden ward, schlug man in Stücke und sendete sie, gevierteilt, verschiedene Schwellen mahometanischer Heilorte zu pflastern. Noch jetzt sind die indischen Ungeheuer jedem reinen Gefühle verhasst; wie grässlich mögen sie den bildlosen Mahometaner angeschaut haben!

Nicht ganz am unrechten Orte wird hier die Bemerkung stehen, dass der ursprüngliche Wert einer jeden Religion erst nach Verlauf von Jahrhunderten aus ihren Folgen beurteilt werden kann. Die jüdische Religion wird immer einen gewissen starren Eigensinn, dabei aber auch freien Klugsinn und lebendige Tätigkeit verbreiten; die mahometanische lässt ihren Bekenner nicht aus einer dumpfen Beschränktheit heraus, indem sie, keine schweren Pflichten fordernd, ihm innerhalb derselben alles Wünschenswerte verleiht und zugleich, durch Aussicht auf die Zukunft, Tapferkeit und Religionspatriotismus einflößt und erhält.

Die indische Lehre taugte von Haus aus nichts, so wie denn gegenwärtig ihre vielen tausend Götter, und zwar nicht etwa untergeordnete, sondern alle gleich unbedingt mächtige Götter, die Zufälligkeiten des Lebens nur noch mehr verwirren, den Unsinn jeder Leidenschaft fördern und die Verrücktheit des Lasters als die höchste Stufe der Heiligkeit und Seligkeit, begünstigen.

Auch selbst eine reinere Vielgötterei, wie die der Griechen und Römer, musste noch zuletzt auf falschem Wege ihre Bekenner und sich selbst verlieren. Dagegen gebührt der christlichen das höchste Lob, deren reiner, edler Ursprung sich immerfort dadurch bestätigt, dass nach den größten Verirrungen, in welche sie der dunkle Mensch hineinzog, eh’ man sich’s versieht, sie sich in ihrer ersten lieblichen Eigentümlichkeit, als Mission, als Hausgenossen- und Brüderschaft, zur Erquickung des sittlichen Menschenbedürfnisses immer wieder hervortut.

Billigen wir nun den Eifer des Götzenstürmers Mahmud, so gönnen wir ihm die zu gleicher Zeit gewonnenen unendlichen Schätze und verehren besonders in ihm den Stifter persischer Dichtkunst und höherer Kultur. Er, selbst aus persischem Stamme, ließ sich nicht etwa in die Beschränktheit der Araber hineinziehen, er fühlte gar wohl, dass der schönste Grund und Boden für Religion in der Nationalität zu finden sei; diese ruhet auf der Poesie, die uns älteste Geschichte in fabelhaften Bildern überliefert, nach und nach sodann ins Klare hervortritt und ohne Sprung die Vergangenheit an die Gegenwart heranführt.

Unter diesen Betrachtungen gelangen wir also in das zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf die höhere Bildung, die sich dem Orient, ungeachtet der ausschließenden Religion, immerfort aufdrang. Hier sammelten sich, fast wider Willen der wilden und schwachen Beherrscher, die Reste griechischer und römischer Verdienste und so vieler geistreichen Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche ausgestoßen worden, weil auch diese, wie der Islam, auf Eingläubigkeit losarbeiten musste.

Doch zwei große Verzweigungen des menschlichen Wissens und Wirkens gelangten zu einer freiern Tätigkeit!

Die Medizin sollte die Gebrechend es Mikrokosmos heilen und die Sternkunde dasjenige dolmetschen, womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedrohen möchte; jene musste der Natur, diese der Mathematik huldigen, und so waren beide empfohlen und versorgt.

Die Geschäftsführung sodann unter despotischen Regenten blieb, auch bei größter Aufmerksamkeit und Genauigkeit, immer gefahrvoll, und ein Kanzleiverwandter bedurfte so viel Mut, sich in den Divan zu bewegen, als ein Held zur Schlacht; einer war nicht sicherer, seinen Herd wieder zu sehn, als der andere.

Reisende Handelsleute brachten immer neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnissen herbei, das Innere des Landes, vom Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt von Gegenständen dar. Eine Masse widereinander streitender Völkerschaften, vertriebene, vertreibende Herrscher stellten überraschenden Wechsel von Sieg zur Knechtschaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit nur gar zu oft vor Augen und ließen geistreiche Männer über die traumartige Vergänglichkeit irdischer Dinge die traurigsten Betrachtungen anstellen.

Dieses alles und noch weit mehr, im weitesten Umfang unendlicher Zersplitterung und augenblicklicher Wiederherstellung, sollte man vor Augen haben, um billig gegen die folgenden Dichter, besonders gegen die persischen zu sein; denn jedermann wird eingestehen, dass die geschilderten Zustände keineswegs für ein Element gelten können, worin der Dichter sich nähren, erwachsen und gedeihen dürfte. Deswegen sei uns erlaubt, schon das edle Verdienst der persischen Dichter des ersten Zeitalters als problematisch anzusprechen. Auch diese darf man nicht nach dem Höchsten messen, man muss ihnen manches zugeben, indem man sie liest, manches verzeihen, wenn man sie gelesen hat.


Dichterkönige


Viele Dichter versammelten sich an Mahmuds Hofe, man spricht von vierhunderten, die daselbst ihr Wesen getrieben. Und wie nun alles im Orient sich unterordnen, sich höheren Geboten fügen muss, so bestellte ihnen auch der Fürst einen Dichterfürsten, der sie prüfen, beurteilen, sie zu Arbeiten, jedem Talent gemäß, aufmuntern sollte. Diese Stelle hat man als eine der vorzüglichsten am Hofe zu betrachten: Er war Minister aller wissenschaftlichen, historisch-poetischen Geschäfte; durch ihn wurden die Gunstbezeigungen seinen Untergebenen zuteil, und wenn er den Hof begleitete, geschah es in so großem Gefolge, in so stattlichem Aufzug, dass man ihn wohl für einen Wesir halten konnte.


Überlieferungen


Wenn der Mensch daran denken soll, von Ereignissen, die ihn zunächst betreffen, künftigen Geschlechtern Nachricht zu hinterlassen, so gehört dazu ein gewisses Behagen an der Gegenwart, ein Gefühl von dem hohen Werte derselben. Zuerst also befestigt er im Gedächtnis, was er von Vätern vernommen, und überliefert solches in fabelhaften Umhüllungen; denn mündliche Überlieferung wird immer märchenhaft wachsen. Ist aber die Schrift erfunden, ergreift die Schreibseligkeit ein Volk vor dem andern, so entstehen alsdann Chroniken, welche den poetischen Rhythmus behalten, wenn die Poesie der Einbildungskraft und des Gefühls längst verschwunden ist. Die späteste Zeit versorgt uns mit ausführlichen Denkschriften, Selbstbiographien unter mancherlei Gestalten.

Auch im Orient finden wir gar frühe Dokumente einer bedeutenden Weltausbildung. Sollten auch unsere heiligen Bücher später in Schriften verfasst sein, so sind doch die Anlässe dazu als Überlieferungen uralt und können nicht dankbar genug beachtet werden. Wie vieles musste nicht auch in dem mittlern Orient, wie wir Persien und seine Umgebungen nennen dürfen, jeden Augenblick entstehen und sich trotz aller Verwüstung und Zersplitterung erhalten! Denn wenn es zu höherer Ausbildung großer Landstrecken dienlich ist, dass solche nicht einem Herrn unterworfen, sondern unter mehrere geteilt seien, so ist derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung nütze, weil das, was an dem einen Ort zugrunde geht, an dem andern fortbestehen, was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in jene flüchten kann.

Auf solche Weise müssen, ungeachtet aller Zerstörung und Verwüstung, sich manche Abschriften aus früheren Zeiten erhalten haben, die man von Epoche zu Epoche teils abgeschrieben, teils erneuert. So finden wir, dass unter Jesdedschird, dem letzten Sassaniden, eine Reichsgeschichte verfasst worden, wahrscheinlich aus alten Chroniken zusammengestellt, dergleichen sich schon Ahasverus in dem Buch Esther bei schlaflosen Nächten vorlesen lässt. Kopien jenes Werkes, welches Bastan Nameh betitelt war, erhielten sich: Denn vierhundert Jahre später wird unter Mansur I., aus dem Hause der Samaniden, eine Bearbeitung desselben vorgenommen, bleibt aber unvollendet, und die Dynastie wird von den Gasnewiden verschlugen. Mahmud jedoch, genannten Stammes zweiter Beherrscher, ist von gleichem Triebe belebt und verteilt sieben Abteilungen des Bastan Nameh unter sieben Hofdichter. Es gelingt Ansari, seinen Herrn am meisten zu befriedigen; er wird zum Dichterkönig ernannt und beauftragt, das Ganze zu bearbeiten. Er aber, bequem und klug genug, weiß das Geschäft zu verspäten und mochte sich im Stillen umtun, ob er nicht jemand fände, dem es zu übertragen wäre.


Ferdusi
Starb 1030.


Die wichtige Epoche persischer Dichtkunst, die wir nun erreichen, gibt uns zur Betrachtung Anlass, wie große Weltereignisse nur alsdann sich entwickeln, wenn gewisse Neigungen, Begriffe, Vorsätze hie und da, ohne Zusammenhang, einzeln ausgesät, sich bewegen und im stillen fortwachsen, bis endlich früher oder später ein allgemeines Zusammenwirken hervortritt. In diesem Sinne ist es merkwürdig genug, dass zu gleicher Zeit, als ein mächtiger Fürst auf die Wiederherstellung einer Volks- und Stammesliteratur bedacht war, ein Gärtnersohn zu Tus gleichfalls ein Exemplar des Bastan Nameh sich zueignete und das eingeborene schöne Talent solchen Studien eifrig widmete.

In Absicht über den dortigen Statthalter wegen irgendeiner Bedrängnis zu klagen, begibt er sich nach Hofe, ist lange vergebens bemüht, zu Ansari durchzudringen und durch dessen Fürsprache seinen Zweck zu erreichen. Endlich macht eine glückliche, gehaltvolle Reimzeile, aus dem Stegreife gesprochen, ihn dem Dichterkönige bekannt, welcher, Vertrauen zu seinem Talente fassend, ihn empfiehlt und ihm den Auftrag des großen Werkes verschafft. Ferdusi beginnt das Schah Nameh unter günstigen Umständen; er wird im Anfang teilweis hinlänglich belohnt, nach dreißigjähriger Arbeit hingegen entspricht das königliche Geschenk seiner Erwartung keineswegs. Erbittert verlässt er den Hof und stirbt, eben da der König seiner mit Gunst abermals gedenkt. Mahmud überlebt ihn kaum ein Jahr, innerhalb welches der alte Effedi, Ferdusis Meister, das Schah Nameh völlig zu Ende schreibt.

Dieses Werk ist ein wichtiges, ernstes, mythisch-historisches Nationalfundament, worin das Herkommen, das Dasein, die Wirkung alter Helden aufbewahrt wird. Es bezieht sich auf frühere und spätere Vergangenheit, deshalb das eigentlich Geschichtliche zuletzt mehr hervortritt, die früheren Fabeln jedoch manche uralte Traditionswahrheit verhüllt überliefern.

Ferdusi scheint überhaupt zu einem solchen Werke sich vortrefflich dadurch zu qualifizieren, dass er leidenschaftlich am Alten, echt Nationellen festgehalten und auch in Absicht auf Sprache frühe Reinigkeit und Tüchtigkeit zu erreichen gesucht, wie er denn arabische Worte verbannt und das alte Pehlewi zu beachten bemüht war.


Enweri
Stirbt 1152.


Er studiert zu Tus, einer wegen bedeutender Lehranstalten berühmten, ja sogar wegen Überbildung verdächtigen Stadt; und als er, an der Türe des Kollegiums sitzend, einen mit Gefolge und Prunk vorbereitenden Großen erblickt, zu seiner großen Verwunderung aber hört, dass es ein Hofdichter sei, entschließt er sich, zu gleicher Höhe des Glücks zu gelangen. Ein über Nacht geschriebenes Gedicht, wodurch er sich die Gunst des Fürsten erwirbt, ist uns übrig geblieben.

Aus diesem und aus mehreren Poesien, die uns mitgeteilt worden, blickt ein heiterer Geist hervor, begabt mit unendlicher Umsicht und scharfem, glücklichem Durchschauen. Er beherrscht einen unübersehbaren Stoff. Er lebt in der Gegenwart, und wie er vom Schüler sogleich zum Hofmann übergeht, wird er ein freier Enkomiast und findet, dass kein besser Handwerk sei, als mitlebende Menschen durch Lob zu ergetzen. Fürsten, Wesire, edle und schöne Frauen, Dichter und Musiker schmückt er mit seinem Preis und weiß auf einen jeden etwas Zierliches aus dem breiten Weltvorrate anzuwenden.

Wir können daher nicht billig finden, dass man ihm die Verhältnisse, in denen er gelebt und sein Talent genutzt, nach so viel hundert Jahren zum Verbrechen macht. Was sollt’ aus dem Dichter werden, wenn es nicht hohe, mächtige, kluge, tätige, schöne und geschickte Menschen gäbe, an deren Vorzügen er sich auferbauen kann? An ihnen, wie die Rebe am Ulmenbaum, wie Efeu an der Mauer, rankt er sich hinauf, Auge und Sinn zu erquicken. Sollte man einen Juwelier schelten, der, die Edelgesteine beider Indien zum herrlichen Schmuck trefflicher Menschen zu verwenden, sein Leben zubringt? Sollte man von ihm verlangen, dass er das freilich sehr nützliche Geschäft eines Straßenpflasterers übernähme?

So gut aber unser Dichter mit der Erde stand, ward ihm der Himmel verderblich. Eine bedeutende, das Volk aufregende Weissagung: Als werde an einem gewissen Tage ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten, traf nicht ein, und der Schah selbst konnte gegen den allgemeinen Unwillen des Hofes und der Stadt seinen Liebling nicht retten. Dieser floh. Auch in entfernter Provinz schützte ihn nur der entschiedene Charakter eines freundlichen Statthalters.

Die Ehre der Astrologie kann jedoch gerettet werden, wenn man annimmt, dass die Zusammenkunft so vieler Planeten in einem Zeichen auf die Zukunft von Dschengis Chan hindeute, welcher in Persien mehr Verwüstung anrichtete, als irgendein Sturmwind hätte bewirken können.


Nisami
Stirbt 1180.


Ein zarter, hochbegabter Geist, der, wenn Ferdusi die sämtlichen Heldenüberlieferungen erschöpfte, nunmehr die lieblichsten Wechselwirkungen innigster Liebe zum Stoffe seiner Gedichte wählt. Medschnun und Leila, Chosru und Schirin, Liebespaare, führt er vor; durch Ahnung, Geschick, Natur, Gewohnheit, Neigung, Leidenschaft füreinander bestimmt, sich entschieden gewogen; dann aber durch Grille, Eigensinn, Zufall, Nötigung und Zwang getrennt, ebenso wunderlich wieder zusammengeführt und am Ende doch wieder auf eine oder die andere Weise weggerissen und geschieden.

Aus diesen Stoffen und ihrer Behandlung erwächst die Erregung einer ideellen Sehnsucht. Befriedigung finden wir nirgends. Die Anmut ist groß, die Mannigfaltigkeit unendlich.

Auch in seinen andern, unmittelbar moralischem Zweck gewidmeten Gedichten atmet gleiche liebenswürdige Klarheit. Was auch dem Menschen Zweideutiges begegnen mag, führt er jederzeit wieder ans Praktische heran und findet in einem sittlichen Tun allen Rätseln die beste Auflösung.

Übrigens führt er, seinem ruhigen Geschäft gemäß, ein ruhiges Leben unter den Seldschugiden und wird in seiner Vaterstadt Gendsche begraben.


Dschelâl-eddîn Rumi
Stirbt 1262.


Er begleitet seinen Vater, der wegen Verdrießlichkeiten mit dem Sultan sich von Balch hinweg begibt, auf dem langen Reisezug. Unterwegs nach Mekka treffen sie Attar, der ein Buch göttlicher Geheimnisse dem Jünglinge verehrt und ihn zu heiligen Studien entzündet.

Hierbei ist so viel zu bemerken: Dass der eigentliche Dichter die Herrlichkeit der Welt in sich aufzunehmen berufen ist und deshalb immer eher zu loben als zu tadeln geneigt sein wird. Daraus folgt, dass er den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht und, wenn er alles durchgegangen, endlich sein Talent am liebsten zu Preis und Verherrlichung Gottes anwendet. Besonders aber liegt dieses Bedürfnis dem Orientalen am nächsten, weil er immer dem Überschwänglichen zustrebt und solches bei Betrachtung der Gottheit in größter Fülle gewahr zu werden glaubt, so wie ihm denn bei jeder Ausführung niemand Übertriebenheit schuld geben darf.

Schon der so genannte mahometanische Rosenkranz, wodurch der Name Allah mit neunundneunzig Eigenschaften verherrlicht wird, ist eine solche Lob- und Preis-Litanei. Bejahende, verneinende Eigenschaften bezeichnen das unbegreiflichste Wesen; der Anbeter staunt, ergibt und beruhigt sich. Und wenn der weltliche Dichter die ihm vorschwebenden Vollkommenheiten an vorzügliche Personen verwendet, so flüchtet sich der gottergebene in das unpersönliche Wesen, das von Ewigkeit her alles durchdringt.

So flüchtete sich Attar vom Hofe zur Beschaulichkeit, und Dschelâl-eddîn, ein reiner Jüngling, der sich soeben auch vom Fürsten und der Hauptstadt entfernte, war um desto eher zu tieferen Studien zu entzünden.

Nun zieht er mit seinem Vater nach vollbrachten Wallfahrten durch Kleinasien; sie bleiben zu Ikonium. Dort lehren sie, werden verfolgt, vertrieben, wieder eingesetzt und liegen daselbst mit einem ihrer treusten Lehrgenossen begraben. Indessen hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu berühren.

Nach obiger Darstellung wird man diesem großen Geiste nicht verargen, wenn er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke sehen etwas bunt aus: Geschichtchen, Märchen, Parabeln, Legenden, Anekdoten, Beispiele, Probleme behandelt er, um eine geheimnisvolle Lehre eingängig zu machen, von der er selbst keine deutliche Rechenschaft zu geben weiß. Unterricht und Erhebung ist sein Zweck, im ganzen aber sucht er durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo nicht zu erfüllen, doch aufzulösen und anzudeuten, dass im göttlichen Wesen zuletzt alles untertauche und sich verkläre.


Saadi
Stirbt 1291, alt 102 Jahre.


Gebürtig von Schiras, studiert er zu Bagdad, wird als Jüngling durch Liebesglück zum unsteten Leben eines Derwisch bestimmt. Wallfahrtet fünfzehn Mal nach Mekka, gelangt auf seinen Wanderungen nach Indien und Kleinasien, ja als Gefangener der Kreuzfahrer ins Westland. Er übersteht wundersame Abenteuer, erwirbt aber schöne Länder- und Menschenkenntnis. Nach dreißig Jahren zieht er sich zurück, bearbeitet seine Werke und macht sie bekannt. Er lebt und webt in einer großen Erfahrungsbreite und ist reich an Anekdoten, die er mit Sprüchen und Versen ausschmückt. Leser und Hörer zu unterrichten, ist sein entschiedener Zweck.

Sehr eingezogen in Schiras, erlebt er das hundertundzweite Jahr und wird daselbst begraben. Dschengis’ Nachkommen hatten Iran zum eignen Reiche gebildet, in welchem sich ruhig wohnen ließ.


Hafis
Stirbt 1389.


Wer sich noch, aus der Hälfte des vorigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den Protestanten Deutschlands nicht allein Geistliche, sondern auch wohl Laien gefunden wurden, welche mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht, dass sie, als lebendige Konkordanz, von allen Sprüchen, wo und in welchem Zusammenhange sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich geübt haben, die Hauptstellen aber auswendig wussten und solche zu irgendeiner Anwendung immerfort bereit hielten: der wird zugleich gestehen, dass für solche Männer eine große Bildung daraus erwachsen musste, weil das Gedächtnis, immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt, dem Gefühl, dem Urteil reinen Stoff zu Genuss und Behandlung aufbewahrte. Man nannte sie bibelfest, und ein solcher Beiname gab eine vorzügliche Würde und unzweideutige Empfehlung.

Das, was nun bei uns Christen aus natürlicher Anlage und gutem Willen entsprang, war bei den Mahometanern Pflicht: Denn indem es einem solchen Glaubensgenossen zum größten Verdienst gereichte, Abschriften des Korans selbst zu vervielfältigen oder vervielfältigen zu lassen, so war es kein geringeres, denselben auswendig zu lernen, um bei jedem Anlass die gehörigen Stellen anführen, Erbauung befördern, Streitigkeit schlichten zu können. Man benannte solche Personen mit dem Ehrentitel Hafis, und dieser ist unserm Dichter als bezeichnender Hauptname geblieben.

Nun ward, gar bald nach seinem Ursprunge, der Koran ein Gegenstand der unendlichsten Auslegungen, gab Gelegenheit zu den spitzfindigsten Subtilitäten, und indem er die Sinnesweise eines jeden aufregte, entstanden grenzenlos abweichende Meinungen, verrückte Kombinationen, ja die unvernünftigsten Beziehungen aller Art wurden versucht, so dass der eigentlich geistreiche, verständige Mann eifrig bemüht sein musste, um nur wieder auf den Grund des reinen, guten Textes zurück zu gelangen. Daher finden wir denn auch in der Geschichte des Islam Auslegung, Anwendung und Gebrauch oft bewundernswürdig.

Zu einer solchen Gewandtheit war das schönste dichterische Talent erzogen und herangebildet; ihm gehörte der ganze Koran, und was für Religionsgebäude man darauf gegründet, war ihm kein Rätsel. Er sagt selbst:

„Durch den Koran hab’ ich alles,
Was mir je gelang, gemacht.“


Als Derwisch, Sofi, Scheich lehrte er in seinem Geburtsorte Schiras, auf welchem er sich beschränkte, wohl gelitten und geschätzt von der Familie Mosaffer und ihren Beziehungen. Er beschäftigte sich mit theologischen und grammatikalischen Arbeiten und versammelte eine große Anzahl Schüler um sich her.

Mit solchen ernsten Studien, mit einem wirklichen Lehramte stehen seine Gedichte völlig im Widerspruch, der sich wohl dadurch heben lässt, wenn man sagt: Dass der Dichter nicht geradezu alles denken und leben müsse, was er ausspricht, am wenigsten derjenige, der in späterer Zeit in verwickelte Zustände gerät, wo er sich immer der rhetorischen Verstellung nähern und dasjenige vortragen wird, was seine Zeitgenossen gerne hören. Dies scheint uns bei Hafis durchaus der Fall. Denn wie ein Märchenerzähler auch nicht an die Zaubereien glaubt, die er vorspiegelt, sondern sie nur aufs beste zu beleben und auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer sich daran ergötzen, ebenso wenig braucht gerade der lyrische Dichter dasjenige alles selbst auszuüben, womit er hohe und geringe Leser und Sänger ergötzt und beschmeichelt. Auch scheint unser Dichter keinen großen Wert auf seine so leicht hinfließenden Lieder gelegt zu haben; denn seine Schüler sammelten sie erst nach seinem Tode.

Nur wenig sagen wir von diesen Dichtungen, weil man sie genießen, sich damit in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt eine fortquellende, mäßige Lebendigkeit. Im Engen genügsam, froh und klug, von der Fülle der Welt seinen Teil dahin nehmend, in die Geheimnisse der Gottheit von fern hineinblickend, dagegen aber auch einmal Religionsübung und Sinnenlust ablehnend, eins wie das andere; wie denn überhaupt diese Dichtart, was sie auch zu befördern und zu lehren scheint, durchaus eine skeptische Beweglichkeit behalten muss.


Dschami
Stirbt 1494, alt 82 Jahre.


Dschami fasst die ganze Ernte der bisherigen Bemühungen zusammen und zieht die Summe der religiösen, philosophischen, wissenschaftlichen, prosaisch-poetischen Kultur. Er hat einen großen Vorteil, dreiundzwanzig Jahre nach Hafis’ Tode geboren zu werden und als Jüngling abermals ein ganz freies Feld vor sich zu finden. Die größte Klarheit und Besonnenheit ist sein Eigentum. Nun versucht und leistet er alles, erscheint sinnlich und übersinnlich zugleich; die Herrlichkeit der wirklichen und Dichterwelt liegt vor ihm, er bewegt sich zwischen beiden. Die Mystik konnte ihn nicht anmuten; weil er aber ohne dieselbe den Kreis des Nationalinteresses nicht ausgefüllt hätte, so gibt er historisch Rechenschaft von allen den Torheiten, durch welche stufenweise der in seinem irdischen Wesen befangene Mensch sich der Gottheit unmittelbar anzunähern und sich zuletzt mit ihr zu vereinigen gedenkt; da denn doch zuletzt nur widernatürliche und widergestige, grasse Gestalten zum Vorscheine kommen. Denn was tut der Mystiker anders, als dass er sich an Problemen vorbei schleicht oder sie weiter schiebt, wenn es sich tun lässt?


Übersicht


Man hat aus der sehr schicklich geregelten Folge der sieben ersten römischen Könige schießen wollen, dass diese Geschichte klüglich und absichtlich erfunden sei, welches wir dahin gestellt sein lassen, dagegen aber bemerken, dass die sieben Dichter, welche von dem Perser für die ersten gehalten werden, und innerhalb eines Zeitraums von fünfhundert Jahren nach und nach erschienen, wirklich ein ethisch-poetisches Verhältnis gegeneinander haben, welches uns erdichtet scheinen könnte, wenn nicht ihre hinterlassenen Werke von ihrem wirklichen Dasein das Zeugnis gäben.

Betrachten wir aber dieses Siebengestirn genauer, wie es uns aus der Ferne vergönnt sein mag, so finden wir, dass sie alle ein fruchtbares, immer sich erneuendes Talent besaßen, wodurch sie sich über die Mehrzahl sehr vorzüglicher Männer, über die Unzahl mittlerer, täglicher Talente erhoben sahen, dabei aber auch in eine besondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo sie eine große Ernte glücklich wegnehmen und gleich talentvollen Nachkommen sogar die Wirkung auf eine Zeitlang verkümmern durften, bis wieder ein Zeitraum verging, in welchem die Natur dem Dichter neue Schätze abermals aufschließen konnte.

In diesem Sinne nehmen wir die Dargestellten einzeln nochmals durch und bemerken: Dass

Ferdusi die ganzen vergangenen Staats- und Reichsereignisse, fabelhaft oder historisch aufbehalten, vorwegnahm, so dass einem Nachfolger nur Bezug und Anmerkung, nicht aber neue Behandlung und Darstellung übrig blieb.

Enweri hielt sich fest an der Gegenwart. Glänzend und prächtig, wie die Natur ihm erschien, freund- und gabenvoll erblickt’ er auch den Hof seines Schahs; beide Welten und ihre Vorzüge mit den lieblichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht und Behagen. Niemand hat es ihm hierin gleich getan.

Nisami griff mit freundlicher Gewalt alles auf, was von Liebes- und Halbwunderlegende in seinem Bezirk vorhanden sein mochte. Schon im Koran war die Andeutung gegeben, wie man uralte lakonische Überlieferungen zu eigenen Zwecken behandeln, ausführen und in gewisser Weitläufigkeit könne ergötzlich machen.

Dschelâl-eddîn Rumi
findet sich unbehaglich auf dem problematischen Boden der Wirklichkeit und sucht die Rätsel der innern und äußern Erscheinungen auf geistige, geistreiche Weise zu lösen; daher sind seine Werke neue Rätsel, neuer Auflösungen und Kommentare bedürftig. Endlich fühlt er sich gedrungen, in die Alleinigkeitslehre zu flüchten, wodurch so viel gewonnen als verloren wird, und zuletzt das so tröstliche als untröstliche Zero übrig bleibt. Wie sollte nun also irgendeine Redemitteilung poetisch oder prosaisch weiter gelingen? Glücklicherweise wird

Saadi, der Treffliche, in die weite Welt getrieben, mit grenzenlosen Einzelheiten der Empirie überhäuft, denen er allen etwas abzugewinnen weiß. Er fühlt die Notwendigkeit sich zu sammeln, überzeugt sich von der Pflicht zu belehren, und so ist er uns Westländern zuerst fruchtbar und segenreich geworden.

Hafis, ein großes heiteres Talent, das sich begnügt, alles abzuweisen, wonach die Menschen begehren, alles beiseite zu schieben, was sie nicht entbehren mögen, und dabei immer als lustiger Bruder ihresgleichen erscheint. Er lässt sich nur in seinem National- und Zeitkreise richtig anerkennen. Sobald man ihn aber gefasst hat, bleibt er ein lieblicher Lebensgeleiter. Wie ihn denn auch noch jetzt, unbewusst mehr als bewusst, Kamel- und Maultiertreiber fortsingen, keineswegs um des Sinnes halben, den er selbst mutwillig zerstückelt, sondern der Stimmung wegen, die er ewig rein und erfreulich verbreitet. Wer konnte denn nun auf diesen folgen, da alles andere von den Vorgängern weggenommen war, als

Dschami, allem gewachsen, was vor ihm geschehen und neben ihm geschah. Wie er nun dies alles zusammen in Garben band, nachbildete, erneuerte, erweiterte, mit der größten Klarheit die Tugenden und Fehler seiner Vorgänger in sich vereinigte, so blieb der Folgezeit nichts übrig, als zu sein wie er, insofern sie sich nicht verschlimmerte; und so ist es denn auch drei Jahrhunderte durch geblieben. Wobei wir nur noch bemerken, dass, wenn früher oder später das Drama hätte durchbrechen und ein Dichter dieser Art sich hervortun können, der ganze Gang der Literatur eine andere Wendung genommen hätte.

Wagten wir nun mit diesem wenigen fünfhundert Jahre persischer Dicht- und Redekunst zu schildern, so sei es, um mit Quintilian, unserm alten Meister, zu reden, von Freunden aufgenommen in der Art, wie man runde Zahlen erlaubt, nicht um genauer Bestimmung willen, sondern um etwas Allgemeines bequemlichkeitshalber annähernd auszusprechen.


Allgemeines


Die Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit der persischen Dichter entspringt aus einer unübersehbaren Breite der Außenwelt und ihrem unendlichen Reichtum. Ein immer bewegtes öffentliches Leben, in welchem alle Gegenstände gleichen Wert haben, wogt vor unserer Einbildungskraft, deswegen uns ihre Vergleichungen oft so sehr auffallend und missbeliebig sind. Ohne Bedenken verknüpfen sie die edelsten und niedrigsten Bilder, an welches Verfahren wir uns nicht so leicht gewöhnen.

Sprechen wir es aber aufrichtig aus: Ein eigentlicher Lebemann, der frei und praktisch atmet, hat kein ästhetisches Gefühl und keinen Geschmack; ihm genügt Realität im Handeln, Genießen, Betrachten, ebenso wie im Dichten; und wenn der Orientale, seltsame Wirkung hervorzubringen, das Ungereimte zusammenreimt, so soll der Deutsche, dem dergleichen wohl auch begegnet, dazu nicht scheel sehen.

Die Verwirrung, die durch solche Produktionen in der Einbildungskraft entsteht, ist derjenigen zu vergleichen, wenn wir durch einen orientalischen Basar, durch eine europäische Messe gehen. Nicht immer sind die kostbarsten und niedrigsten Waren im Raume weit gesondert, sie vermischen sich in unsern Augen, und oft gewahren wir auch die Fässer, Kisten, Säcke, worin sie transportiert worden. Wie auf einem Obst- und Gemüsemarkt sehen wir nicht allein Kräuter, Wurzeln und Früchte, sondern auch hier und dort allerlei Arten Abwürflinge, Schalen und Strunke.

Ferner kostet’s dem orientalischen Dichter nichts, uns von der Erde in den Himmel zu erheben und von da wieder herunter zu stürzen, oder umgekehrt. Dem Aas eines faulenden Hundes versteht Nisami eine sittliche Betrachtung abzulocken, die uns in Erstaunen setzt und erbaut.

„Herr Jesus, der die Welt durchwandert,
Ging einst an einem Markt vorbei;
Ein toter Hund lag auf dem Wege,
Geschleppet vor des Hauses Tor;
Ein Haufe stand ums Aas umher,
Wie Geier sich um Äser sammeln.
Der eine sprach: „Mir wird das Hirn
Von dem Gestank ganz ausgelöscht.“
Der andre sprach: „Was braucht es viel,
Der Gräber Auswurf bringt nur Unglück.“
So sang ein jeder seine Weise,
Des toten Hundes Leib zu schmähen.
Als nun an Jesus kam die Reih’,
Sprach, ohne Schmähn, er guten Sinns,
Er sprach aus gütiger Natur:
„Die Zähne sind wie Perlen weiß.“
Dies Wort macht den Umstehenden,
Durchglühten Muscheln ähnlich, heiß.“


Jedermann fühlt sich betroffen, wenn der so liebevolle als geistreiche Prophet nach seiner eigensten Weise Schonung und Nachsicht fordert. Wie kräftig weiß er die unruhige Menge auf sich selbst zurück zu führen, sich des Verwerfens, des Verwünschens zu schämen, unbeachteten Vorzug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid zu betrachten! Jeder Umstehende denkt nun an sein eigen Gebiss. Schöne Zähne sind überall, besonders auch im Morgenland, als eine Gabe Gottes hoch angenehm. Ein faulendes Geschöpf wird durch das Vollkommene, was von ihm übrig bleibt, ein Gegenstand der Bewunderung und des frömmsten Nachdenkens.

Nicht ebenso klar und eindringlich wird uns das vortreffliche Gleichnis, womit die Parabel schließt; wir tragen daher Sorge, dasselbe anschaulich zu machen.

In Gegenden, wo es an Kalklagern gebricht, werden Muschelschalen zu Bereitung eines höchst nötigen Baumaterials angewendet und, zwischen dürres Reisig geschichtet, von der erregten Flamme durchglüht. Der Zuschauende kann sich das Gefühl nicht nehmen, dass diese Wesen, lebendig im Meere sich nährend und wachsend, noch kurz vorher der allgemeinen Lust des Daseins nach ihrer Weise genossen und jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern, durchgeglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrieben ist. Nehme man nunmehr an, dass die Nacht hereinbricht und diese organischen Reste dem Auge des Beschauers wirklich glühend erscheinen, so lässt sich kein herrlicheres Bild einer tiefen, heimlichen Seelenqual vor Augen stellen. Will sich jemand hievon ein vollkommenes Anschauen erwerben, so ersuche er einen Chemiker, ihm Austerschalen in den Zustand der Phosphoreszenz zu versetzen, wo er mit uns gestehen wird, dass ein siedend heißes Gefühl, welches den Menschen durchdringt, wenn ein gerechter Vorwurf ihn, mitten in dem Dünkel eines zutraulichen Selbstgefühls, unerwartet betrifft, nicht furchtbarer auszusprechen sei.

Solcher Gleichnisse würden sich zu Hunderten auffinden lassen, die das unmittelbarste Anschauen des Natürlichen, Wirklichen voraussetzen und zugleich wiederum einen hohen sittlichen Begriff erwecken, der aus dem Grunde eines reinen ausgebildeten Gefühls hervorsteigt.

Höchst schätzenswert ist bei dieser grenzenlosen Breite ihre Aufmerksamkeit aufs einzelne, der scharfe liebevolle Blick, der einem bedeutenden Gegenstand sein Eigentümlichstes abzugewinnen sucht. Sie haben poetische Stillleben, die sich den besten niederländischer Künstler an die Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber erheben dürfen. Aus ebendieser Neigung und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblingsgegenstände nicht los; kein persischer Dichter ermüdet, die Lampe blendend, die Kerze leuchtend vorzustellen. Ebendaher kommt auch die Eintönigkeit, die man ihnen vorwirft; aber genau betrachtet, werden die Naturgegenstände bei ihnen zum Surrogat der Mythologie, Rose und Nachtigall nehmen den Platz ein von Apoll und Daphne. Wenn man bedenkt, was ihnen abging, dass sie kein Theater, keine bildende Kunst hatten, ihr dichterisches Talent aber nicht geringer war als irgendeins von jeher, so wird man, ihrer eigensten Welt befreundet, sie immer mehr bewundern müssen.


Allgemeinstes


Der höchste Charakter orientalischer Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist nennen, das Vorwaltende des oberen Leitenden; hier sind alle übrigen Eigenschaften vereinigt, ohne dass irgendeine, das eigentümliche Recht behauptend, hervorträte. Der Geist gehört vorzüglich dem Alter oder einer alternden Weltepoche. Übersicht des Weltwesens, Ironie, freien Gebrauch der Talente finden wir in allen Dichtern des Orients. Resultat und Prämisse wird uns zugleich geboten; deshalb sehen wir auch, wie großer Wert auf ein Wort aus dem Stegreif gelegt wird. Jene Dichter haben alle Gegenstände gegenwärtig und beziehen die entferntesten Dinge leicht aufeinander, daher nähern sie sich auch dem, was wir Witz nennen; doch steht der Witz nicht so hoch, denn dieser ist selbsttüchtig, selbstgefällig, wovon der Geist ganz frei bleibt, deshalb er auch überall genialisch genannt werden kann oder muss.

Aber nicht der Dichter allein erfreut sich solcher Verdienste; die ganze Nation ist geistreich, wie aus unzähligen Anekdoten hervortritt. Durch ein geistreiches Wort wird der Zorn eines Fürsten erregt, durch ein anderes wieder besänftigt. Neigung und Leidenschaft leben und weben in gleichem Elemente; so erfinden Behramgur und Dilaram den Reim, Dschemil und Boteinah bleiben bis ins höchste Alter leidenschaftlich verbunden. Die ganze Geschichte der persischen Dichtkunst wimmelt von solchen Fällen.

Wenn man bedenkt, dass Nuschirwan, einer der letzten Sassaniden, um die Zeit Mahomets mit ungeheuren Kosten die Fabeln des Bidpai und das Schachspiel aus Indien kommen lässt, so ist der Zustand einer solchen Zeit vollkommen ausgesprochen. Jene, nach dem zu urteilen, was uns überliefert ist, überbieten einander an Lebensklugheit und freieren Ansichten irdischer Dinge. Deshalb konnte vier Jahrhunderte später, selbst in der ersten, besten Epoche persischer Dichtkunst, keine vollkommene reine Naivität stattfinden. Die große Breite der Umsicht, die vom Dichter gefordert ward, das gesteigerte Wissen, die Hof- und Kriegsverhältnisse, alles verlangte große Besonnenheit.


Zu Teil 3

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