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Gerhard Falkner: Schorfheide

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Jan Kuhlbrodt

Bei der Lektüre von Falkners Schorfheide


Über dieses Buch ist schon einiges geschrieben worden. Die Reaktionen sind breit, von strikter Ablehnung bis tiefe Bewunderung, und das ist verständlich, denn formal bewegen sich die Texte auf Messers Schneide, wie man so schön sagt, denn sie blenden Gegenwärtiges aus, oder verstecken es hinter Floralem. Man könnte meinen, er reanimiere zum tausendsten Mal das Naturgedicht. Aber das lag noch nie wirklich im Sterben.

Falkner zitiert oder imitiert, und manchmal imitiert er Zitate. Das ist vielleicht die Postmoderne, die sich lange angeschickt hat, das Originale aufzulösen. Das könnte eine Befreiung sein, eine Befreiung zum Spiel hin. Vielleicht. Aber es ist mehr, denn wie in der Sprache ist in der Landschaft Geschichte sediert. Die Ablagerungen, die Ruinen, die Erinnerungen an Bauwerke.

...
Kloster Chorin und Carinhall sind nur die Brückenköpfe
der vorbeijagenden Zeit. Köstlich zerbrechen die Wälder
...

und schon im Prolog klingt das Volkslied an:

Ging heut Morgen übers Feld
ging wie ein Ägypter
hielt ein Messer in der Hand
wie man Messer halt so hält
     
Wir begleiten den Dichter also bei einer Wanderung durch die Schorfheide, durch eine Gegend halt, die mich weniger an die Romantik erinnert, als vielmehr an meinen letzten NVA-Urlaub vor der Entlassung, als ich aus Trotz oder Angst in voller Montur in die Havel gesprungen bin, oder einen angrenzenden Zufluss. So genau wollte ich das gar nicht wissen.

Aber ich bin ja auch Sachse und kein Franke wie Falkner. Und vorher noch bin ich die Gegend mit meinen Eltern auf der Suche nach Wiesenchampignons und Pfifferlingen durchwandert. Man liest also nie ohne Ballast. Nur ist der Ballast des Lesers ein sehr persönlicher zuweilen, und der des Lyrikers ist eher formal und historisch. Er, der Lyriker, und im Konkreten Gerhard Falkner, wandert also durch eine schon beschriebene Gegend, und findet zuweilen das, was er gelesen hat oder auch etwas, das Wissen ist, aber nicht zu sehen.
    Und er findet einen Ton.
    Falkners Ton variiert. Er hört sich den des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts ab, zwischen Klassik und Romantik, zwischen Goethe und Eichendorff, wobei er in Eichendorffs Singsang durchaus das Vergiftete findet, den Knollenblätterpilz sozusagen, der sich als Champignon tarnt. Die Klassik allerdings scheint dem Autoren eher zu liegen, hörbar ist eine gewisse Goethesche Musik. Deshalb vielleicht auch die Hinwendung zu naturwissenschaftlicher Betrachtung, die es beim Wunder belässt, aber es eben auch für erklärbar hält.

...
Umsonst bieten die Armleuchteralgen ihre Assimilationspigmente
Die Kerzenleuchterzellen bleiben hart, keine Botschaften in
diese Richtung. Der Ruf, der uns vorauseilt, ist entgeistert“

Eine Entzauberung, ohne den Zauber nachhaltig zu zerstören. Warum auch bräuchte man Lyrik sonst. Literatur, Kunst überhaupt. So ganz scheint der Dichter der Dichtung jedoch nicht zu trauen, weil er das Lied immer wieder mit Störgeräuschen versieht, ähnlich einem DJ, der einen Popsong scratcht.


Gerhard Falkner: Schorfheide. Gedichte en plein air, Berlin (Berlin Verlag) 2019. 128 S. 22,00 Euro.
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