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Fundstücke - 2014

Poetik / Philosophie > Fundstücke

"Die Moderne ist von der Ideen-Welt in die Innenwelt gezogen und von der Innenwelt dann in die Umwelt. Dort herrscht Zerstörung, Verseuchung, Verschwendung, dieses Reich gibt es nur als vom Kollaps bedroht. Und darin haust der verfügte Verfüger, das ökopathetische "Wir". Verstrickt in zahllose Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, müßte dieses Wesen die Eigenschaft eines selbstkritischen Adlers besitzen, Raubvogel und Zweifler in einem, gleich scharfsinnig."

Botho Strauß:
Lichter des Toren.
Der Idiot und seine Zeit
(2013)



28.12.2014

Erinnere Dich daran, wie es war, als Du in den Schlaf gesungen wurdest. Wenn Du Glück hast, brauchst Du deswegen nicht bis in die Kindheit zurückzudenken. Die wiederholten Zeilen von Worten und Musik sind wie Pfade. Die Pfade sind kreisförmig, sie bilden Ringe, die ineinanderhängen wie die Glieder einer Kette. Du gehst diese Pfade entlang und wirst im Kreis herum-gefüht, vom einen zum andern, weiter und weiter weg. Das Feld, auf dem Du gehst, das Feld, auf dem die Kette liegt, ist das Lied.

John Berger:
Das Leben der Bilder oder die Kunst
des Sehens
(Feld), 1980 (dt.: 1982)



24.12.2014

"Denn schmutzig wird der Maschinenmensch,
ehe er blutig wird."

Karl Kraus:
Die letzten Tage der Menschheit
(5. Akt, 53. Szene)

13.12.2014

DER OPTIMIST: Und daraus wird wohl das ganze Drama entstanden sein. Aus diesem Hang, die kleinen Erscheinungen und die großen Tatsachen zu verbinden.
DER NÖRGLER: Ganz gemäß dem satanischen Verhängnis, das uns von den kleinen Tatsachen zu den großen Erscheinungen der realen Tragödie geführt hat.

Karl Kraus:
Die letzten Tage der Menschheit
(4. Akt, 29. Szene)
1915 (- 1917)

11.12.2014

"Das Menschenwerk! diese Explosion, die meinen Abgrund von Zeit zu Zeit aufhellt."

Arthur Rimbaud:
Eine Zeit in der Hölle
(Der Blitz) 1873
30.11.2014

"Was ich          Poesie nenne       wird oft              Inhalt genannt.
Ich selbst         habe es                        Form genannt."

John Cage:
Vortrag über nichts.
1959
23.11.2014

"Solange ich schreibe, stellt sich die Frage nicht, warum ich schreibe. So gesehen ist das Schreiben von Gedichten eine der Sucht nahe Lebensform, bei der die Gefahr besteht, auf einer bestimmten Art des Schreibens von Gedichten hängen zu bleiben, indem man sich beispielsweise auf einen gedichtversprechenden Weg verlässt und in Serie produziert oder einen spezifischen Aspekt weiterentwickelt, um in Bewegung zu bleiben. Damit würde das Schreiben von Gedichten aber auch zu einer Art von Kulissenschieberei."

Norbert Lange:
Das Geschriebene mit der Schreibhand
(Einwürfe) 2010





16.11.2014

"Dich zu meinen, heißt, an deinen Körper zu denken. In meinem Mund sind keine Fische."

Rosmarie Waldrop:
Objektbeziehungen
(Mütze #8, 2014)
08. 11. 2014

"Du magst mir glauben, daß es mir nicht leicht fällt und niemals leicht fallen wird, mich bedingungslos dem Darzustellenden unterzuordnen, und ich werde mich immer und immer wieder berichtigen müssen, um der Wahrheit zu geben, was der Wahrheit ist."

Georg Trakl:
Brief an Erhard Buschbeck,
Datum unbekannt
(1949)
02. 11. 2014

"Das Gedicht verkleidet sich als dreckige Göre und versteckt sich unter einem Dreifuß. Dort murmelt es Orakelsprüche vor sich hin, wirft Knöchelchen als I-Ging (String-, Theorie- G-Punkt etc.) und legt Tarot-Karten mit seinen kleinen, schmutzigen Händchen für die Passanten aus."

Swantje Lichtenstein:
Geschlecht
Schlagen vom Schlage des Gedichts
2013
26.10.2014

"Ich möchte dir nur kurz ein neues Gedicht von mir schicken, noch ohne Titel, mit der Frage, was du davon hältst. Ich weiß es selbst nicht genau. Dieses Poem ist seltsam, zieht mich magisch in seinen Bann. So ringen wir beide, einmal schreibt mich das Gedicht, dann ich es. Und dann wieder wird es ein bedeutungsloses Stück Papier. Kurz: Es kippt mir ständig hinweg. Gut, daß etwas über mich lacht, wahrscheinlich ich selbst."

Jürgen Dziuk:
Brief, ca. 1989
(aus: "was bleibt ist Ferne", 2007)




19.10.2014

"Es war im Sinne eines solchen Außenseitertums - und deutlich in "dieser christlichsten der Welten" angesiedelt -, daß Marina Zwetajewa von allen Dichtern als Juden sprach (ganz wie Norman Mailers "White Negro" der 1950er Jahre), und zwar in ihrem Gedicht "Poem vom Ende": Das Zitat wurde später von Paul Celan als kyrillischer Epigraph seines eigenen Gedichtes "Und mit dem Buch aus Tarussa" und von mir in A Big Jewish Book angeführt, wo es zu einer zentralen Behauptung des Standpunktes wurde, den ich damals einnahm. Ich argumentierte hier nicht für irgendeine jüdische Exklusivität, sondern in Richtung einer Anerkennung, daß es solche Widerstände dort und sonstwo gab und daß meine Ansprache, im Sinne von Zwetajewa, an "alle Dichter" gerichtet war oder an alle Dichter, welche die Haltung des Außenseiters teilen, oder an alle, Dichter und andere, die der Herrschaft totalisierender Staaten und einschnürender Religionen Widerstand leisten."

Jerome Rothenberg:

Säkulare jüdische Kultur / Radikale poetische Praxis

(in: Schreibheft 82)
2004 (2014)










12.10.2014

"Reden ist übersetzen - aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heist, Gedanken in Worte, - Sachen in Namen, - Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch, oder symbolisch oder hieroglyphisch - - und philosophisch oder charakteristisch seyn können. Diese Art der Übersetzung (verstehe Reden) kommt mehr, als irgend eine andere, mit der verkehrten Seite von Tapeten überein,

And shews the stuff, but not the workman's skill;

oder mit einer Sonnenfinsternis, die in einem Gefäße voll Wassers in Augenschein genommen wird."

Johann Georg Hamann:
Aesthetica in nuce
1760








05. 10. 2014

"Das "Ding an sich" (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswert. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hilfe. Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue."

Friedrich Nietzsche:

Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne
1873




27.09.2014

"Was ist "suspendiert" im Gedanken? Denken, in der Sprache, können wir nur deshalb, weil die Sprache unsere Stimme sowohl ist als auch nicht ist. Es gibt ein ausgesetztes Urteil, eine unbeantwortete Frage in der Sprache. Ob sie unsere Stimme ist oder nicht; wie das Iah die Stimme des Esels ist und das Zirpen die Stimme der Grille. Deshalb können wir, wenn wir sprechen, nicht umhin zu denken, die Worte in der Schwebe zu halten. Der Gedanke ist die Unentschiedenheit der Stimme in der Sprache."

Giorgio Agamben:
Die Sprache und der Tod.
(Epilog)
1982



21.09.2014

"Vielleicht ist die Zeit absoluter Sagbarkeit, deren extremen nihilistischen Furor wir heute verspüren, die Zeit, in der alle Figuren des Unsagbaren und alle Masken der Onto-theo-logik liquidiert, das heißt in Worte aufgelöst, mit Worten vergolten sind, die nun lediglich das Nichts sichtbar machen, auf dem sie gründen; die Zeit, in der die gesamte menschliche Spracherfahrung auf die letzte negative Wirklichkeit eines Wollens, das nichts sagen will, zurückgeführt worden ist, auch jene, in der die in-fantile (in-fantil, das heißt ohne Wollen und ohne STIMME und trotzdem ethisch, gewohnt) Bleibe des Menschen in der Sprache wieder in den Blick treten kann."

Giorgio Agamben:
Die Sprache und der Tod
(Achter Tag)
1982






14.09.2014

"Wahrscheinlich wird das lyrische Ich immer in zwei Formen erlebt, einer zersprengenden und einer sammelnden, einer brutalen und einer stillen, die Rauschmethode kennen beide, man sinkt ins Bodenlose, ins Blutlose, und dann kommen die Andränge mit der Eprobung der Vision. Vorstudien liegen vielfach vor, aber die hätten auch anders verwertet werden können, nun aber kommt die Stunde und belädt sich mit den Bildern."

Gottfried Benn:
Das lyrische Ich
in: Lebensweg eines Intellektualisten
1934



07.09.2014

"Gefesselte Poesie fesselt das Menschengeschlecht. Völker werden vernichtet oder blühen im Verhältnis wie ihre Poesie, die Malerei und Musik vernichtet wird oder blüht! Der Urzustand des Menschen war Weisheit, Kunst und Wissenschaft."

William Blake:
Jerusalem - The Emanation of the Giant Albion, To the Public,
1821

31.08.2014

"Den Realismus zu einer Formsache zu machen, ihn mit einer, nur einer (und zwar einer alten) Form verknüpfen heißt: ihn sterilisieren. Realistisches Schreiben ist keine Formsache. Alles Formale, was uns hindert, der sozialen Kausalität auf den Grund zu kommen, muß weg; alles Formale, was uns verhilft, der sozialen Kausalität auf den Grund zu kommen, muß her."

Bertolt Brecht:
Die Expressionismusdebatte
ca. 1938


23. 08. 2014

"Niemand kann sich selbst zum Dichter bekehren. Aber «der Dichter, der ich versuche zu sein» ist asymptotisch und angewiesen auf eine Veröffentlichung dementsprechender Gedichte. «Nenn mich nicht länger Dichter» oder «Nenn mich Dichter, der eine Seinsart sucht.» Eine schöne Übung für eine undefinierte Definition."

Martin Rueff:
Die Nicht-Poesie der Nicht-Poeten
- Rückversicherung (Glosse 10)
2014

16. 08. 2014


"Falls die Poesie eine Gattung ist, dann gibt es auch solche Gedichte, die nicht zur Gattung beitragen. Und das sind die großen Gedichte – diejenigen, die sich von der Gattung losreißen.
Jedes Mal, wenn ich eines lese oder an eines denke, tu ich das zum ersten und zugleich letzten Mal. Es ähnelt sich selbst nicht mehr, so dass es sich von sich selbst unterscheidet. Die Poesie ist dann nicht mehr die Bedingung für die Möglichkeit von Gedichten, sondern scheint mehr als die Bedingung ihrer Unmöglichkeit. Vielleicht gehört es zu jedem großen Gedicht, dass es die Gedichtgattung durch den Einsatz der poetischen Kraft selbst mitträgt."

Martin Rueff:
Die Nicht-Poesie der Nicht-Poeten
- Rückversicherung (Glosse 2 b)
2014








09. 08. 2014

"Altertum, Mittelalter waren Bezeichnungen für die kategorischen Schubladen der Theoretiker, ablenkend von der Tatsache, daß alles in der Kunst neu und gegenwärtig war. Seit jeher hatte es das Wirklichkeitsnahe und das Abstrakte, das Rituelle und das Phantastische gegeben, zur einen Zeit wurde Klarheit erlangt durch Flächigkeit, zur andern durch Tiefenwirkung, die Zentralperspektive war nicht als Verbeßrung zu werten, sondern nur als veränderte Mitteilungsart des Illusorischen. Immer gehörte das Zweckmäßige zur Kunst und das Eigenwillige, das streng Gebundne und der Sprung zum Überraschenden. Auch die Geschichte der Kunst glich einer Spirale, in deren Verlauf wir immer in der Nähe des Früheren waren, und alle Bestandteile ständig aufs neue moduliert und variiert sahn, und wenn sich eine für uns bedeutsame Verändrung ergab, so lag sie darin, daß wir den anfänglichen Wert der Kunst wiederentdeckt hatten, denn sie war, seitdem es ein Denken gab, Eigentum aller, verwachsen mit unsern Impulsen und Reflexen. Ebensowenig wie wir die Vorstellung akzeptierten von einer exklusiven Kunst, die für spezifisch Gebildete geschaffen war, konnten wir uns damit begnügen, daß es eine auf die arbeitende Klasse besonders zugeschnittne künstlerische Sprache geben müsse, eine Sprache, die leicht verständlich, solide und tatkräftig zu sein hatte. Für uns konnte die Kunst nicht vielseitig und erfinderisch genug sein."

Peter Weiss:
Die Ästhetik des Widerstands, I
1975




















02.08.2014

"Burtts 'Metaphysische Grundlagen der modernen Wissenschaft' lagen offen auf seinen Knien; er nahm das Buch auf und suchte die Stelle, wo er stehngeblieben war. Oder gab es am Ende gar kein Ich? fragte er sich. Nein, nein, das war unhaltbar, das widersprach der unmittelbaren Erfahrung. Er blickte über den Rand des Buchs in den ungeheuern blauen Glanz des Meeres. Der wesentliche Charakter des Ich bestand in genau ebendiesem flüssigen und undeformierbaren Überallsein ; in der Fähigkeit, sich jeder Kontur vermählen zu können und doch in jeder Form unfixiert zu bleiben, Eindrücke aufzunehmen und sie mit gleicher Leichtigkeit auszulöschen. Solchen Formen, wie sein Geist sie von Zeit zu Zeit ausfüllte, solchen harten und brennenden Hindernissen, die er umfloß und überflutete, denen er, selber kalt, ins feurige Herz drang, schuldete man keine Treue. Die Formen ließen sich ebenso leicht entleeren, wie sie gefüllt worden waren; die Hindernisse wurden umgangen. Aber dieses im innersten Wesen Flüssige, das hinströmen konnte, wohin es wollte, dieser kühle, gleichgültige Fluß der intel-lektuellen Neugier - der blieb, und ihm schuldete man Treue."

Aldous Huxley:
Kontrapunkt des Lebens, 14
1928















26.07.2014

»Alles Geschriebene«, erwiderte der Gehilfe höflich, »hat Anspruch auf Dauer. Es fixiert den Augenblick. Jedoch darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß oft Wille, Ehrgeiz, Geltungsbedürfnis die Triebfedern für den Schreibenden sind, oft ein unklares Anempfinden an das Rauschhafte des Lebens, ein Bekenntnisdrang, ein Affekt oder eine Ansammlung des Wissens. Das Private, das Subjektive hat nirgends eine Unsterblichkeit oder nur eine kurz bemessene. Lediglich wenn die Stimmen der Mächte sich eines Menschen bedienen, werden seine Worte schöpferische Kraft entfalten. Nur das Anonyme hat eine Art von Unsterblichkeit. Ob indessen der Mensch ein Werkzeug der guten oder der bösen Mächte ist, ein Gefäß des Göttlichen oder des Dämonischen, das entzieht sich der Erkenntnis der Irdischen. Die Mitwelt, mein Herr Doktor, befindet sich darüber gern im Irrtum, und die Nachwelt ist auch nicht immer auf rechte Weise beraten. Aber gleichviel – für das, was gültig ist, und über welche Spannen hin die Gültigkeit sich erstreckt, gibt es eine Instanz. Eine einzige verantwortliche Instanz, in deren Mitte Sie eben eintraten: das Archiv.«

Hermann Kasack:
Die Stadt hinter dem Strom,
Kap. V.
1949














24.07.2014

Der Dichter ist in meinen Augen an seinen Idolen kenntlich sowie an den Freiheiten, die er sich nimmt und die nicht die der Menge sind. Die Dichtung unterscheidet sich darin von der Prosa, daß ihr zwar nicht die gleichen Beschränkungen auferlegt, aber auch nicht die gleichen Freiheiten gestattet sind. Das Wesen der Prosa ist es, unterzugehen - das heißt ‚erfaßt‘, aufgelöst, unwiederbringlich zerstört, durch das Bild oder den Impuls völlig ersetzt zu werden, deren Ausdruck sie nach der Übereinkunft des Sprachgebrauches ist. Die Prosa nämlich setzt immer das Universum der Erfahrung und des Handelns voraus – ein Universum, in dem - oder dank dem – unsere Wahrnehmungen und Tätigkeiten oder Emotionen sich letztlich in einer einzigen - uniformen – Weise aufeinander beziehen und einander entsprechen müssen. Das Universum der Praxis ist letztlich auf eine Gesamtheit von Zwecken beschränkt. Ist dieser oder jener Zweck erreicht, so stirbt die Sprache. Dieses Universum schließt Doppeldeutigkeiten aus, es eliminiert sie ganz einfach; es fordert ein Fortschreiten auf dem kürzesten Wege und erstickt so bald wie möglich die harmonischen Schwingungen jeglichen Geschehens, das innerhalb seiner Bezirke sich im Geiste vollzieht.

Die Dichtung hingegen erfordert oder suggeriert ein ganz anderes ‚Universum‘: ein Universum wechselseitiger Beziehungen, analog dem der Töne, in welchem der musikalische Gedanke entsteht und sich bewegt. In diesem poetischen Universum hat die Resonanz mehr Gewicht als die Kausalität, und die ‚Form‘, weit davon entfernt, sich mit ihrer Wirkung zu verflüchtigen, wird von dieser vielmehr zurückverlangt. 'Die Idee fordert ihre Stimme.

Paul Valéry:
Zur Theorie der Dichtkunst
1914 / 1962


























20.07.2014


"Vor den zu lebhaften ausbrüchen der kraft im kunstwerke muss man auf der hut sein .. hinter ihnen steht oft gar nicht des empfindens wahrheit und tiefe: sondern nur schwärende unreife oder die anstrengung sich durch die eigenen schreie in etwas einzureden was nicht vorhanden ist. Durch bezwingen dieser ausbrüche zeigt sich wahre kraft."

Stefan George:
Über Kraft
(in: Tage und Taten)
1925

12.07.2014

"Die Lage ist folgende: Der Autor besitzt:
1. einen dumpfen schöpferischen Keim, eine psychische Materie.
2. Worte, die in seiner Hand liegen, zu seiner Verfügung stehen, mit denen er umgehen kann, die er bewegen kann, er kennt sozusagen seine Worte. Es gibt nämlich etwas, was man die Zuordnung der Worte zu einem Autor nennen kann. Vielleicht ist er auch an diesem Tag auf ein bestimmtes Wort gestoßen, das ihn beschäftigt, erregt, das er leitmotivisch glaubt verwenden zu können.
3. besitzt er einen Ariadnefaden, der ihn aus dieser bipolaren Spannung herausführt, mit absoluter Sicherheit herausführt, denn - und nun kommt das Rätselhafte: das Gedicht ist schon fertig, ehe es begonnen hat, er weiß nur seinen Text noch nicht. Das Gedicht kann gar nicht anders, als es eben lautet, wenn es fertig ist."

Gottfried Benn:
Probleme der Lyrik
1951












07.07.2014

"Die Ära der literarischen Weltausstellungen und Biennalen, auf denen Land für Land, säuberlich geschieden, mit einem eigenen Pavillon erscheint, ist fortan vorbei. Das Gedicht trägt nicht länger die Landesfarben auf der Brust. Die großen Meister der modernen Poesie, zwischen Chile und Japan, sie haben miteinander mehr gemein als jeder mit seiner nationalen Herkunft."

Hans Magnus Enzensberger:
Weltsprache der modernen Poesie
1962



05.07.2014

"Versuche, eine künstlerische Parallele zu außerkünstlerischen Weltanschauungen zu schaffen, gelingen nur mühsam. Das Kunstwerk krümmt oder begradigt die Linie nach seinen eigenen Gesetzen. Mitunter vermag der Autor selbst nicht zu sagen, was da entstand."

Viktor Schklowski:
Ornamentale Prosa
1929


28. 06. 2014

"Im Wissen um das, was im Leben stets verfällt,
Wenn alle Wege zu verschlossenen Kammern führen"

Michel Houellebecq:
Gestalt des letzten Ufers
2013/14


22.06.2014

"Das Wort ist der Sturm von zerschmolzenen Rhythmen des klingenden Sinnes ... das Bild ist der Prozess der Lautzerstörung, und die Bedeutungen des gewöhnlichen Wortes - das Gras! - beginnen aus ihm zu wachsen, - so: Einfallswinkel der phonetischen Frequenz ist die Entwicklung einer dialektischen Üppigkeit und der Einfallswinkel von ihr ist ein Begriff, es ist der Herbst für den Gedanken."

Alexej Krutschonych:
Phonetik des Theaters
(Tönen der Revolution)
1925


15.06.2014

"Es ist vielleicht nicht ganz unnütz, anzumerken, daß kulturgeschichtliche Rückkopplungen (wie zum Beispiel die Renaissance sich ins klassische Altertum vertiefte; die Deutschromantik die Welt des Mittelalters wieder heraufrief; oder - auch das ist nicht ganz aus der Richtung - wie Gründergeist sein sentimentales Verhältnis zur Gotik in Zement ausdrückte) schon immer einen Hauptplatz im ideologischen Wertgefüge der Epochen eingenommen haben. Die Botschaft, die ein Zeitalter einem vergangenen, ihm vorausgegangenen entnimmt, muß freilich nicht unbedingt auch «Vergangenheit» heißen. Aus der bloßen Tatsache von Rückverweisen läßt sich noch lange nicht auf reaktionäre Denkmomente und Tendenzen schließen. Und selbst bei der viel verlästerten, leicht zu verlästernden Zeitflucht steht immer noch die Frage offen, ob etwas reaktionär Geheißenes nicht möglicherweise produktiver, weiter führend und für die Sache der schönen Künste ergiebiger war als ein ins Blaue projiziertes Ethos der Fortschrittlichkeit. Ich möchte aber doch glauben, daß solche feinen Vorbehalte gerade in unserm Fall kein Rettungsanker mehr sind."

Peter Rühmkorf:
Über das Volksvermögen.
Exkurse in den literarischen Untergrund
(Wurmstich und Wahrheit, A)
1969













08.06.2014

"Religion: Die Taube brütete solange darüber, bis der Kuckuck aus dem Ei schlüpfte."

Hans-Jost Frey und Franz Josef Czernin:
Sätze
2014



08.06.2014

"Moderne" Poesie, meine z.B., wäre sie verständlicher, wenn sie in einer "verständlichen" Sprache geschrieben wäre? Ich wage es zu bezweifeln."

Gunnar Ekelöf:
Gedankensammlung zu einer Moralphilosophie der Überlegenheit, 48.
1930

31.05.2014

"Nicht nur Wörter sind emblematisch, sondern auch die Dinge selbst sind es. Jede natürliche Tatsache ist ein Symbol einer geistigen Tatsache. Jede Erscheinung in der Natur entspricht einem Zustand des Geistes, der nur beschrieben werden kann, indem die natürliche Erscheinung als sein Bild aufgefasst wird."

Ralph Waldo Emerson:
Die Sprache
(In: Natur), 1849

24.05.2014

"Man sagt, im Gedicht seien die Wortbedeutungen schwankend, je nach dem Neigungswinkel des Lesers, seiner seelischen Inklination. Unter dem Druck des je eigenen Lebensproblems nehmen sie die teils gewünschte, teils auch gefürchtete Bedeutung an."

Durs Grünbein:
Lyrische Libration, 2014
(Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond)

18.05.2014

"Die Sprache nährt sich nur vom Tode der Einzelwesen."

Brice Parain:
Le langage et l'existence
(In: "L'existence", Paris) 1945

10.05.2014

"Es soll mir genügen, den Bildern nachzugehen, die ich habe von meinem Problem, mich dann jeweils, wörtlich, ins Bild zu setzen und dieses mit der Sprache, samt seinen Schwingungen und Windungen, zu umzirkeln, möglichst herzlos."

Peter Handke:
Versuch über die Müdigkeit
2012

03.05.2014

"Ich beherrsche die Sprache nicht; aber die Sprache beherrscht mich vollkommen. Sie ist mir nicht die Dienerin meiner Gedanken. Ich lebe in einer Verbindung mit ihr, aus der ich Gedanken empfange, und sie kann mit mir machen, was sie will. Ich pariere ihr aufs Wort. Denn aus dem Wort springt mir der junge Gedanke entgegen und formt rückwirkend die Sprache, die ihn schuf. Solche Gnade der Gedankenträchtigkeit zwingt auf die Knie und macht allen Aufwand zitternder Sorgfalt zur Pflicht. Die Sprache ist die Herrin der Gedanken, und wer das Verhältnis umzukehren vermag, dem macht sie sich im Hause nützlich, aber sie sperrt ihm den Schoß."

Karl Kraus:
Sprüche und Widersprüche
1909







28.04.2014

Rette mich, Kafka. Willst du mich nicht retten. Verachtest du mein Gewicht, meine Wollust, meinen Bauch? War Flaubert nicht so schwer wie ich, war seine Wollust geringer? - Wo sind deine Werke, hör ich dich sagen. Ach, nirgends, nirgends. Aber kann ich sie nicht noch finden? Ich bin nicht tot, denn ich liebe mit einer Glut, Leidenschaft und Hingabe, die du nie erlangt hast. Geht der Weg zur Wahrheit nur über Askese? Kierkegaard und Flaubert sind nie meine Vorbilder gewesen. Aber Stendhal und Gogol und Aristophanes, sie sind um nichts geringer.
Auch mir ist Schreiben ein Gebet, das einzige, das ich kenne. Mein Prozeß ist mit dem Tod, er ist noch nicht zu Ende. Diese Rechnung ist dir zu früh aufgegangen. Ich habe länger gelebt und trage mehr Tote als du. Sie sind es, die mir deine Askese verweigern. Damit, daß ich hungere, kann ich sie nicht abspeisen. Keinen wollte ich überleben, und so sind sie alle in mir. Welche Sprache find ich für sie, noch hab ich keine. Aber absehen kann ich von ihnen nicht, das ist meine Unfruchtbarkeit.

Elias Canetti:
Das Buch gegen den Tod
1968 (ungedruckt)
2014












26.04.2104

"Ohne Ordnung ist Abweichung nicht zu denken. Und ohne Abweichung ist nichts Neues zu denken. Jede Innovation braucht Ordnung und Abweichung gleichermaßen."

Michael Lentz:
Atmen Ordnung Abgrund.
Frankfurter Poetikvorlesungen, Kap. II.
2013

19.04.2014

"Wir müssen beim Lesen zumeist nicht traurig sein, um textvermittelte Trauer angemessen zu erfahren. Analog dazu gilt für Aussagen zumeist ein Verstehensbegriff, der nicht enthält, dass man jemals selbst die Erfahrung machen muss, die zur Bestätigung der Wahrheit einer Aussage beitragen kann, sei es anlässlich des Aussagens oder auch zu anderen Zeitpunkten.
Um zu verstehen, dass alle Menschen sterblich sind, muss man nicht selbst gestorben sein, und schon gar nicht dann, wenn man die Aussage für wahr hält. Im Gegenteil gelten vielleicht manche Aussagen deshalb zurecht als besonders gut verständlich, weil deine eigenen Erfahrungen für ihr Verständnis nicht notwendig sind, ja du selbst ihre Wahrheit gar nicht erfahren und damit bestätigen kannst."

Franz Josef Czernin:
Quidquid latet apparebit?
Zu einer Poetik der Vision
2014








13.04.2014

"Ich will dir also, lieber Hermes, sagen, welchen Eindruck ich von den Menschen und ihrem Leben habe. Hast du schon einmal gesehen, wie von einem Wasserfall Blasen aufgeworfen werden? Ich meine diese Luftkringel, aus deren Ansammlung der Schaum entsteht. Manche von ihnen sind klein und zerplatzen sofort, manche dauern länger, und wenn andere mit ihnen zusammenfließen, blähen sie sich zu gewaltigem Umfang auf. Einmal aber zerbersten auch sie. Es kann ja gar nicht anders kommen. Ebenso ist es mit dem Leben der Menschen. Alle sind mit Luft angefüllt, die einen größer, die andern kleiner. Und bei den einen hat die Aufblähung eine gewisse, wenn auch nur geringe Dauer, die andern verschwinden mit ihrem Entstehen. Zerplatzen aber müssen sie alle."

Lukian:
Charon oder Die Betrachtung der Welt
2. Jh.n.Chr.









06.04.2014

"Für den Intellektuellen  - und auch für den gewöhnlichen Menschen - ist die Inspiration ein Problem, ein Aberglaube oder eine Tatsache, die den Erklärungen der modernen Wissenschaft widersteht. In jedem Fall kann er die Angelegenheit mit einem Achselzucken abtun und aus seinem Bewußtsein verbannen, so wie jemand ein Stäubchen von seinem Anzug schnippt. Dagegen müssen die Dichter sich ihr stellen und den Konflikt austragen. Die Geschichte der modernen Dichtung ist die der ständigen Zerrissenheit des Dichters, der zwischen der modernen Auffassung von der Welt und der zuweilen unerträglichen Anwesenheit der Inspiration gespalten ist."

Octavio Paz:
Die dichterische Inspiration,
1956







29.03.2014

"Im Zentrum der Ästhetik eines jeden romantisch-symbolistischen Dichters finden wir also eine private Religion, eine religio poetae, die mit den Erfordernissen der politischen Welt unvereinbar ist."

Michael Hamburger:
Wahrheit und Poesie
(Absolute Dichtung und absolute Politik) 1969




23.03.2014

"Es gibt eine Weise, jene beiden Arten geistiger Tätigkeit, Vernunft und Imagination genannt, zu betrachten, wonach erstere als der Geist aufgefasst werden kann, der über die Beziehungen eines Gedankens zu anderen nachsinnt, unabhängig davon, wie sie hervorgebracht wurden; letztere dagegen als der Geist, der auf jene Gedanken einwirkt mit dem Ziel, ihnen die Farbe des eigenen Lichtes zu geben und aus ihnen, wie aus Elementen, andere Gedanken zu bilden, von denen jeder in sich das Prinzip seiner eigenen Ganzheit enthält."

Percy Bysshe Shelley:Verteidigung der Poesie
1821





23.03.2014

"Veröffentliche."

Stéphane Mallarmé:
Das Buch betreffend
(Beschränktes Handeln)
1892/95


18.03.2014

"Während des ersten Jahres, in dem Herr Wordsworth und ich Nachbarn waren, kreisten unsere Gespräche häufig um zwei Kardinalpunkte der Poesie: zum einen das Vermögen, das Mitgefühl des Lesers zu einem vertrauensvollen Festhalten an der Wirklichkeit der Natur zu bewegen, zum andern das Vermögen, einen Anteil von Neuem durch das Verändern der Imaginationsfarben zu geben. Ein plötzlicher Zauber, der sich zufällig durch Licht und Schatten, durch Mondlicht oder Sonnenuntergang über eine bekannte und familiäre Landschaft ausbreitet, scheint die Nützlichkeit zu schildern, beides miteinander zu verbinden. Sie sind die Poesie der Natur. Der Gedanke selber schlug vor – (wer von uns beiden ihn hatte, erinnere ich nicht mehr) – dass eine Serie von Gedichten verfasst werden sollte auf zwei Art und Weisen. In der einen sollten die Vorfälle und die Handelnden, zumindest zum Teil, übernatürlich sein; und das vortreffliche Ziel sollte ein Anteil an Gemütsbewegungen durch das dramatische Wirken solcher Gefühle sein, wie sie auf natürliche Weise solche Situationen begleiten, als seien diese real. Und real in diesem Sinne sind sie für jedes menschliche Wesen, das – von welcher Quelle der Täuschung heraus – irgendwann einmal sich selbst unter einem übernatürlichen Einfluss geglaubt hat. Und für die zweite Sorte sollten Themen aus dem gewöhnlichen Leben ausgewählt werden; die Charaktere und Vorfälle sollten solche sein, wie man sie in jedem Dorf und in der Nachbarschaft findet, wenn dort ein meditatives und einfühlsames Gemüt danach sucht, oder wie sie auffällig werden, wenn sie von selbst sich einstellen.


Mit dieser Idee entstand der Plan für lyrische Balladen, der zur Übereinkunft führte, dass meine Bemühungen gerichtet sein sollten auf übernatürliche Personen und Charaktere, oder zumindest romantische; aber trotzdem so, dass die innere Natur auf den menschlichen Anteil einen Schein von Wahrheit überträgt, und zwar ausreichend, um die Schatten der Imagination mit jener momenthaften willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit zu versehen, die ein Vertrauen in Dichtung schafft."

Samuel Taylor Coleridge:
Vorwort zur zweiten Auflage der Biographia Literaria, Kap. 14:
(Gelegenheit für lyrische Balladen)
1817

































15.03.2014

"Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie; und sie soll nur selten einige Züge des Witzes, zum Ausmalen, anwenden.
Es giebt Werke des Witzes, die Meisterstücke sind, ohne daß das Herz etwas dazu beygetragen hatte. Allein, das Genie ohne Herz, wäre nur halbes Genie.
Die lezten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen. Wir können hier einige Stufen der starken und der stärkern Empfindung hinaufsteigen. Dieß ist der Schauplatz des Erhabnen.
Wer es für einen geringen Unterschied hält, die Seele leicht rühren; oder sie ganz in allen ihren mächtigen Kräften, bewegen: der denkt nicht würdig genug von ihr.
Man fordert von demjenigen, der unsre Seele so zu bewegen unternimmt, daß er jede Saite derselben, auf ihre Art, ganz treffe. Sie bemerkt hier jeden Miston, auch den feinsten. Wer dieses recht überdacht hat, wird sich oft entschlossen haben, lieber gar nicht zu schreiben."

Friedrich Gottlieb Klopstock:
Von der heiligen Poesie
(Abhandlung anläßlich des Messias)
1755 - 1773












14.03.2014

"Die bekannte düstere Stimmung nach dem Liebesakt, die ersehnte Zigarette nach dem Orgasmus messen den Abstand aus zwischen Antizipation und Realität, zwischen Vorstellung und tatsächlichem Geschehen. Der menschliche Eros ist eng verwandt mit einer Trauer zum Tode. Wären unsere Denkprozesse weniger drängend, weniger plastisch, weniger hypnotisch (wie in den Anwandlungen von Selbstbefriedgung oder Tagträumerei), so wären unsere ständigen Enttäuschungen, der graue Klumpen Ekel im Herzen des Daseins keine so große Behinderung. Nervenzusammenbrüche, pathologisches Ausweichen in Irrealität, die Trägheit des psychisch Kranken mögen im wesentlichen Strategien sein, um der Enttäuschung zu begegnen, der ätzenden Säure durchkreuzter Hoffnung. Die mißlingende Beziehung zwischen Denken und Verwirklichung, zwischen Vorstellung und tatsächlicher Erfahrung ist so beschaffen, daß wir weder ohne Hoffnung leben können - Coleridges "Arbeit ohne Hoffnung leert Nektar in ein Sieb, Hoffnung ohne Objekt kann nicht überleben" - noch in der Lage sind, den herben Verlust, den Hohn zerschlagener Hoffnung zu verwinden. "Hoffen wider alle Hoffnung" ist eine machtvolle, aber letztlich niederdrückende Wendung für den Gifthauch, mit dem das Denken jegliches Ergebnis überzieht."

George Steiner:
Warum Denken traurig macht, 6.
2005




















08.03.2014

"Die Beziehung von Gehen und Denken, die Bewegung des Körpers, der Gedanken in Bewegung setzt. Rimbaud komponierte viele seiner Gedichte im Gehen. Edmond Jabès ebenso. Er geht den Raum einer Zeile, eines Satzes. Als ob er ihn finden würde. Eine Grammatik der Bewegung."

Rosmarie Waldrop:
Reicher Mangel: Edmond Jabès - Erinnerung und Wiederholung, Teil 2
(Mütze #6) 2014

01.03.2014

"Ich war einer von denen, die zu unvollkommener Leistung verdammt sind, als wären sie mit einem Fluch beladen, wie eine Vogelgattung, die unter dem Zwang steht, die für den Nestbau nötige Zeit mit dem Streit darüber zu verbringen, welches Moos, welche Zweige und Flechten mützlicher seien."

William Butler Yeats:
Autobiographie
(Das Beben des Vorhangs, 17)
1960

22.02.2014

"Nichts Grausameres und nichts Liebevolleres gibt es auf der Welt als Interesse. Hinüberkommen. Schauen. Schweigen."

Ann Cotten, Daniel Falb,
Hendrik Jackson, Steffen Popp,
Monika Rinck:
Helm aus Phox
(14. Schlechteste Werkzeuge) 2011

15.02.2014

"Ich muss mir über die Quellen und das Material im Klaren sein und eine Kontrolle über ihre Verarbeitungsschritte anstreben. Trotzdem wird diese Kontrolle nur relativ sein, da die Arten des Zugriffs auf fremden Text und auf Fremdmaterial - Übersetzung, Kontrafaktur, Pastiche, Parodie, Collage oder Remix - an einem bestimmten Punkt die Quellen fast zwangsläufig bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Möglicherweise darf man darin aber auch den Moment sehen, an dem das Gedicht zu etwas eigenem wird.
Ich spreche hier so selbstverständlich von Quellen, als kämen für mich dabei nur Texte, Gedichte, Zitate oder Umgangssprache in Frage. Dabei kann alles Erdenkliche zur Quelle werden - denn es ist für die Quellenkunde vor allem wichtig, auf welche Weise etwas ins Gedicht kommt."

Norbert Lange:
Das Geschriebene mit der Schreibhand
(Fortgesetzte Quellenkunde)
2010








08.02.2014

"Man muß eine niedere Weisheit verstehen, ehe  man eine höhere versteht. Man muß Euripides verstehen, ehe man Aristophanes versteht. Doch um einen Dunghaufen zu verstehen, chemisch und spirituell und mit erdhaftem Sinn, muß man zuerst einmal, spirituell und chemisch und erdhaft, die Textur der Rose verstehen, die darauf wächst.
Euripides ist eine weiße Rose, lyrisch, feminin, etwas Spirituelles. Aristophanes ist ein Satyr.
Ist der Satyr größer oder geringer als die weiße Rose, die er herzt? Ist die Erde größer oder geringer als die weiße Rose, die sie hervorbringt? Ist der Dunghaufen größer oder geringer als die Rose?"

H.D. (Hilda Doolittle):
Notizen über Denken und Schauen
1919








08.02.2014

"Ein lyrischer Vers ist das Ergebnis eines Brandes. Nur das Feuer verleiht ihm seine Dichte."

Max Jacob:
Ratschläge für einen jungen Dichter
1945 (dt. 1985)

01.02.2014

"Er holte einen Satz aus seinem Schatzbehalter und sprach ihn leise vor sich hin:
- Ein Tag gescheckter meergetragner Wolken.
Der Satz und der Tag und die Szenerie harmonierten in einem Akkord. Wörter. Waren es ihre Farben? Er ließ sie aufscheinen und wieder verblassen, Ton um Ton: das Gold des Sonnenaufgangs, das Rostbraun und Grün der Apfelgärten, Azur der Wellen, das graugesäumte Vlies der Wolken. Nein, es waren nicht ihre Farben: es war das Ebenmaß und die Balance der Periode selbst. Liebte er also die rhythmischen Hebungen und Senkungen von Wörtern mehr als ihre Assoziationen zu Legende oder Farbe? Oder war es, weil seine Augen so schwach waren wie sein Geist schüchtern, daß er darum weniger Vergnügen an der Reflektion der sichtbar aufscheinenden Sinnenwelt im Prisma vielfarbener und üppig verwobener Sprache hatte als an der Betrachtung einer inneren Welt privater Emotionen, die sich in klarer schmiegsamer periodischer Prosa perfekt spiegelten?"


James Joyce:
Ein Porträt des Künstlers als junger Mann
1916














01.02.2014

"Der Traum ist das zweite Leben."

Gérard de Nerval:
Aurelia
oder: Der Traum des Lebens, 1853/4

26.01.2014

"Ich dagegen ziehe es vor, mit der Wahl eines Effekts zu beginnen. Ohne die Forderung nach Originalität je aus dem Auge zu verlieren – denn wer es fertigbringt, auf eine so offenkundige und leicht erschließbare Quelle des Interesses zu verzichten, ist auf dem falschen Weg –, stelle ich mir zunächst die Frage: ‚Von welchem der zahllosen Effekte oder Eindrücke, denen das Herz, der Geist oder – noch allgemeiner – die Seele zugänglich ist, soll ich in diesem Falle Gebrauch machen?‘ Und wenn ich einen sowohl neuartigen als auch wirksamen Effekt gefunden habe, überlege im mir, ob er am besten durch die Handlung oder durch die Erzählweise hervorgebracht werden kann – durch gewöhnliche Begebnisse und besonderen Tonfall, oder umgekehrt, oder gar durch Besonderheit in Handlung und Ton; erst dann sehe ich mich um (oder suche in mir selbst), welche Kombination von Handlung und Erzählart mir am besten dazu verhilft, den Effekt zustande zu bringen."

Edgar Allan Poe:
Die Methode der Komposition
(The Philosophy of Composition)
1846












19.01.2014

"Die Erkenntnis, daß auch Bauwerke Individuen mit Gesichtern sind, nicht weniger int'ressant, langlebig, abbildungswert, (ja, abbildungspflichtig!) als die Typen, die man so abends aus'm Kino kommen sieht; diese Erkenntnis, meine Damen & Herren, unterscheidet den wirklichen Künstler vom wechselbärtigen >Abstrakten< einer-, sowie vom >feinsinnigen< Lyriker andererseits, (der sich z.B. einbildet, seine >erdachten Landschaften< überträfen jedwedes Naturschutzgebiet; dabei: wäre der Leser nicht >so freundlich< und täte derb aus seinem Bildervorrat hinzu ...?!)."

Arno Schmidt:
Die Großhauswelten
Robinson in New York
in: Text + Kritik, 1971






18.01.2014

"Silbe ist das, was unversehrt bleibt."

Roberto Calasso:
Die Literatur und die Götter,
2001

11.01.2014

"Du bist Lust bei jeder Woge, die geschieden ist von den nachfolgenden. Schließlich stürmen sie alle zugleich an. Es ist das Meer, das sich gründet, sich erfindet. Du bist Lust, Koralle in Zuckungen."

René Char:
Lettera Amorosa
(Das Wort als Inselgruppe,
in "Die Bibliothek in Flammen")
1956
04.01.2014

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