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Franz Grillparzer: Über Poesie

Poeterey




Franz Grillparzer: Aus seinen Schriften

Über Poesie




Die Enunziationen und Eindrücke des Lebens in ihrer Fülle sind der Gegenstand der Poesie. Alles, was den Menschen im Gefühl einer Realität über sich selbst, das heißt über seinen gewöhnlichen Zustand erhebt, hat ihn begeistert, und diese Begeisterung ist die Poesie. Jede Realität nimmt hieran teil. Die Vorstellung oder Darstellung einer Idee erweckt das Gefühl des Ähnlichen im Menschen, bringt ihn für länger oder kürzer seinem Ursprunge, dem Urbilde der Menschheit, näher, macht ihn sich wesenhaft fühlen, und der Genuß dieser Wesenhaftigkeit ist die Poesie. Die moralische Kraft gehört auch in den Kreis der Poesie, aber nicht mehr als jede andere Kraft, und nur insofern sie Kraft, Realität ist; als Negation. Als Schranke liegt sie außer der Poesie; und gerade um die Lebensgeister von den ewigen Nörgeleien, dieser lästigen Hofmeisterin, etwas zu erfrischen, dem innern Menschen neue Spannkraft zu geben, flüchtet man von Zeit zu Zeit aus der Werkstube des Geistes in seinen Blumengarten.

Die Poesie ist die Aufhebung der Beschränkungen des Lebens.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1833)


Das, was aller Poesie zugrunde liegt, womit sie anfängt, ist etwas, was dem geistigen Wissen gar nicht zur Ehre gereicht. Sie fängt nämlich an mit dem Bilde, dem Gleichnis. Worin liegt es denn nun, daß das poetische Bild, der Tropus, das Gleichnis einen Eindruck macht, den die zugrunde liegende Wahrheit ewig nimmer machen würde? Darin – worüber sich eben die Metaphysik die Haare ausraufen sollte –, daß ein wirklich existierendes Staubkörnchen mehr Überzeugung mit sich führt als all die erhabenen Ideen, die unserer geistigen Bildung zugrunde liegen sollen oder wirklich liegen.

Die ganze Poesie ist nur ein Gleichnis, eine Figur, ein Tropus des Unendlichen.

Der Geist der Poesie ist zusammengesetzt aus dem Tiefsinn des Philosophen und der Freude des Kindes an bunten Bildern.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1838)



Die Gewalt des bildlichen, also uneigentlichen Ausdrucks in der Poesie kommt daher, daß wir bei dem eigentlichen Ausdruck schon längst gewohnt sind, nichts mehr zu denken oder vorzustellen. Das Bild und weiter fortgesetzt das Gleichnis nötigt uns aber aus dieser stumpfen Gewohnheit heraus, und die entsprechende Bezeichnung wirkt stärker als die völlig gemäße.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen,  1849)



Inhalt! Inhalt! Was kann der Dichter für einen Inhalt geben, den ihm der denkende, fühlende Leser nicht überbietet? Aber die Form ist göttlich. Sie schließt ab wie die Natur, wie die Wirklichkeit. Über das wahrhaft Vorhandene geht kein Gesundorganisierter hinaus. Durch die Form beruhigt die Kunst und ist allem Wissen überlegen.

Allerdings ist es falsch, daß die Form das Höchste in der Kunst sei; aber das Höchste ist in der Kunst nur insofern Etwas, als es in der Form erscheint; das heißt: insofern es der Künstler nicht bloß gedacht und empfunden, sondern das Vorgestellte auch adäquat dargestellt hat.

(Aesthetische Studien, Die Kunstverderber, 1820)



Die Kunst ist keine Frucht der Bildung. Denn das Wesen der Bildung ist Vielseitigkeit, die Kunst aber beruht auf einer Einseitigkeit. Ihr muß nämlich ein Stoff und ein Gedanke im Augenblicke des Schaffens und des Genießens an die Stelle der ganzen übrigen Welt treten.

(Aesthetisches Studien, Allgemeines, 1836)



Nicht der Gedanke macht das Kunstwerk, sondern die Darstellung des Gedankens. Das bei den Deutschen so beliebte Vorherrschen der Idee hat den Nachteil, daß dabei leicht die Nachahmung der Natur als untergeordnet erscheint; ohne Naturgemäßheit aber gibt es in der Kunst keine Wahrheit und ohne Wahrheit keinen Eindruck. Worüber ist denn der reiche Zacharias Werner zugrunde gegangen als durch diese immerwährende Unterordnung der Natur unter den Begriff? Alle unsere Vorstellungen von Existenz sind nur vom Existierenden abgezogen, und wenn man das letztere aus den Augen verliert, so gibt es nur Träume und keine Wesen, logische Möglichkeiten, aber keine Wirklichkeiten, nicht einmal den Schein davon. Die Kunst soll aber eine, wenn auch höhere Welt mit Wesen sein, ein erhöhtes Wachen mit glänzenden Gestalten; nicht ein Schlaf voll Träume.

(Aesthetische Studien, Form der Zweckmäßigkeit, 1821)



In der Kunst ist der Gedanke nicht jenes Produkt des Denkvermögens, das in der Prosa mit diesem Namen bezeichnet wird, sondern ein in sich abgeschlossener Kunstorganismus, dem ein Gedanke oder eine Empfindung zugrunde liegt.

(Aesthetische Studien, Form der Zweckmäßigkeit, 1839)



Nicht die Ideen machen den eigentlichen Reiz der Poesie aus; der Philosoph hat deren vielleicht höhere; aber daß die kalte Denkbarkeit dieser Ideen in der Poesie eine Wirklichkeit erhält, das setzt uns in Entzücken. Die Körperlichkeit der Poesie macht sie zu dem, was sie ist, und wer sie wie die Neuern zu sehr vergeistigt, hebt sie auf. – Hierher gehört der Reiz des Bildes, der Metapher, der Vergleichung und warum zum Beispiel eine Fabel mehr überzeugt als der ihr zugrunde liegende moralische Satz.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1822)



Den Gedanken festzuhalten auch in einem größern poetischen Werke ist nicht schwer, wenn man die Teile über der Idee des Ganzen vernachlässigen will. Aber mannigfaltig und lebendig bis ins kleinste sein und dabei doch nie den Grundgedanken aus den Augen zu verlieren, das ist die Schwierigkeit.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1837)



Denn die vollendete Form ist es, wodurch die Poesie ins Leben tritt, ins äußere Leben. Die Wahrheit der Empfindung gibt nur das Innere; es ist aber Aufgabe aller Kunst, ein Inneres durch ein Aeußeres darzustellen.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen,  1836)



Ein Werk nenne ich eine Hervorbringung, die soviel inneres Leben oder innere Wahrheit hat, um wenigstens mehrere der wandelbaren Gefühls- und Meinungsphasen der Zeit zu überdauern. Was aus einer Zeitrichtung entsteht und mit ihr untergeht, ist eine Flugschrift, und wenn es dreißig Bände stark wäre.

(Studien zur Literatur, 1. Allgemeines zur Litteraturgeschichte, 1837)



Nichts ist abgeschmackter, als von schönen Wissenschaften zu sprechen. Die Poesie ist eine bildende Kunst, wie die Malerei.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836)



Was der Mensch forscht und weiß, ist die Wissenschaft; was der Mensch fühlt und wünscht, ist die Poesie.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1830)



Es besteht nämlich die Poesie aus zwei Teilen: Poesie der Auffassung und Poesie der Darstellung; der Roman ist deshalb auch nur höchstens halbe Poesie.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1834)



Was die Poesie ausmacht, ist denn doch die Lebendigkeit der Darstellung, der Schwung der Gedanken und der Rhythmus der Sprache.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1834)



Warum man in der Poesie die Gattungen nicht mischen soll? Weil jede ihren eigenen Standpunkt der Anschauung, einen anderen Grad der Verkörperung mit sich führt und erfordert, welche, gemischt, sich stören und aufheben: Lyrik, Epos, Drama, Aussicht, Umsicht, Ansicht.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836)



Die komische Poesie strebt dem Ideal ebenso nach, wie die ernsthafte. Nur spricht letztere das Ideal aus, indes erstere dasjenige angreift und verspottet, was dem Ideal entgegensteht.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1840)



Was die Lebendigkeit der Natur erreicht und doch durch die begleitenden Ideen sich über die Natur hinaus erhebt, das, und auch nur das ist Poesie.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1821)



Ein Kunstwerk muß sein wie die Natur, deren verklärtes Abbild es ist: für den tiefsten Forscherblick noch nicht ganz erklärbar; und doch schon für das bloße Beschauen etwas und zwar etwas Bedeutendes. Wer etwas schafft, das der gemeinmenschlichen Fassungskraft nichts ist und erst der tiefsinnigen Reflexion sich gestaltet, hat vielleicht ein philosophisches Problem glücklich in poetischer Einkleidung gelöst, aber er hat kein Kunstwerk gebildet.

(Aesthetische Studien, Allgemeines, 1822)


Man hat die Nachahmung der Natur als das höchste Gesetz der Kunst aufgestellt. Ich frage aber: kann man die Natur nachahmen? – Die Bildhauerkunst gibt Formen, aber des höchsten Reizes, der Bewegung, der Farbe entbehrt sie. Die Malerei stellt Landschaften dar, und das Höchste, was sie erreichen kann, ist, daß sie das äußere Ansehen des Baumschlages, der Gräser, der Wolken so täuschend als möglich darstellt; kann sie uns aber auch das Rauschen dieser Bäume, das Wallen dieser Gräser, das Ziehen dieser Wolken, was gerade in einer wirklichen Landschaft den Hauptreiz ausmacht, wiedergeben? . . . Wie kommt es nun, daß das matte Abbild stärker anspricht als das lebendige Urbild? Denn die technische Vollendung der Nachahmung kann doch keine Rührung hervorbringen, höchstens ein Erstaunen, wie es die Kunststücke eines sogenannten starken Mannes oder die unzähligen Gesichter in den Kirschkernen unserer Kunstkammer erregen . . . Was liegt denn in der Röte der Wolken, im Verglimmen des Lichtes, im Hereinbrechen der Schatten beim Untergange der Sonne Rührendes, daß mir darüber die Tränen in den Augen stehen? Warum gehe ich die frischen, grünenden Bäume vorüber und bleibe stehen und kehre mich zuletzt mit einem Seufzer ab? Was beseufze ich? Den Baum? Er fühlt seine Verletzung nicht. Oder beseufze ich halb unbewußt das Fallen alles Großen, das Verblühen des Blühenden, das Los des Schönen auf der Erde? Trage ich meine Empfindung auf den Baum über und ist er mir nur ein Bild dessen, was ich dabei denke? Wenn es nun so ist, und es ist so, so wird es auch begreiflich, warum die Natur bloß tiefer denkende und empfindende Menschen bewegt, indes die andern, durch zufällige Nebendinge zerstreut, gar nicht zum Bewußtsein des eigentlich Wirksamen kommen.
Wenn nun aber der zum Auffassen und Wiedergeben des Gemütansprechenden in der Natur Fähige sich hinsetzt, um seine Empfindung bleibend darzustellen, und er demnach aus dem beobachteten Naturgegenstande, mit Hinweglassung des für die Wirkung Gleichgültigen oder Störenden, dasjenige aufzeichnet, was die gefühlte Wirkung auf ihn hervorgebracht hat, so wird nun auch der flachere Beschauer auf diese Art zur Aufmerksamkeit angeregt und durch das Wegschneiden der gleichgültigen Nebendinge auf den eigentlichen Punkt gefesselt, die vorher ihm entzogene Beziehung deutlich werden, und er wird vor dem Kunstwerke fühlen, was er an dem Naturgegenstande weder bemerkte noch ohne den Künstler je bemerkt hätte, da es weniger der Gegenstand dem Beschauer als vielmehr der Beschauer dem Gegenstande mitgeteilt hat. Er wird die Idee des Künstlers erkennen, und die Nachahmung des Gegenstandes wird nur das Mittel der Verständlichung gewesen sein.

(Aesthetische Studien, Nachahmung der Natur, 1819)


Die Kunst verhält sich zur Natur wie der Wein zur Traube.  

(Aesthetische Studien, Allgemeines, 1839)


Die Poesie stellt die Naturverhältnisse wieder her, welche die konventionellen Verhältnisse gestört, und sie ist daher notwendig um so unmoralischer, je verwickelter diese Verhältnisse im Gange der Civilisation werden. Das Verhältnis Achills zur Briseis, das unschuldigste zur Zeit Homers, würde revoltant im Munde eines neuern Dichters sein, eben weil die neue Civilisation das Verhältnis zwischen Mann und Weib ...  

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1833)



Ihr habt die Poesie zu etwas Menschlichem gemacht, sie ist aber ein Göttliches: sie ist nicht die Prosa mit einer Steigerung, sondern das Gegenteil der Prosa.

Die Prosa ist des Menschen Speise, die Poesie sein Trank, der nicht nährt, sondern erquickt. Man kann aber auch, wie die neuesten Deutschen, Bier trinken, in dem Nahrungsstoffe zur Gärung gebracht sind, wovon man fett wird und noch dazu einen schweren Dusel in den Kopf bekommt.  

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1839)



Jedes Streben ist prosaisch, das einer Realität nachgeht. Kants Definition wird ewig wahr bleiben: Schön ist dasjenige, was ohne Interesse gefällt. Aller Poesie liegt die Idee einer höhern Weltordnung zum Grunde, die sich aber vom Verstande nie im ganzen auffassen, daher nie realisieren läßt, und von welcher nur dem Gefühl vergönnt ist, dem Gleichverborgenen in der Menschenbrust, je und dann einen Teil ahnend zu erfassen. Zweckmäßigkeit ohne Zweck hat es Kant ausgedrückt, tiefer schauend, als vor ihm und nach ihm irgend ein Philosoph.

Die Prosa der neueren Zeit besteht besonders darin, daß sie das Symbolische der poetischen Wahrheit nicht anerkennen wollen und nichts zulassen, was nicht eine Realität ist.

Das Symbolische der Poesie besteht darin, daß sie nicht die Wahrheit an die Spitze ihres Beginnens stellt, sondern, bildlich in allem, ein Bild der Wahrheit, eine Inkarnation derselben, die Art und Weise wie sich das Licht des Geistes in dem halbdunkeln Medium des Gemütes färbt und bricht.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836)


Wissenschaft und Kunst oder, wenn man will: Poesie und Prosa, unterscheiden sich voneinander, wie eine Reise und eine Spazierfahrt. Der Zweck der Reise liegt im Ziel, der Zweck der Spazierfahrt im Weg.

Die prosaische Wahrheit ist die Wahrheit des Verstandes, des Denkens. Die poetische ist dieselbe Wahrheit, aber in dem Kleide, der Form, der Gestalt, die sie im Gemüte annimmt. Man hat die poetische Wahrheit auch die subjektive genannt. Unrichtig: denn die Grundlage ist ebenso objektiv als die andere, denn alle Wahrheit ist objektiv. Aber die Gestalt, das Bild, die Erscheinung ist aus dem Subjekt genommen. Man würde sie am besten die symbolische Wahrheit nennen. Warum nimmt denn aber die Wahrheit Gestalt? Weil alle Kunst auf Gestaltung, Formgebung, Bildung beruht und die nackte Wahrheit ihr Reich ohnehin in der – Prosa hat.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836-1838)


Es geht der Poesie gerade so oder vielmehr umgekehrt wie der Philosophie. Letztere ist bei ihrem Entstehen mit der Religion vereinigt und umfaßt das gesamte Schauen, Ahnen und Denken des Volkes, bis sie sich endlich von ihr scheidet und sich auf das durch den Verstand Erweisbare beschränkt. Ebenso ist die Poesie anfangs das Organ für den Gesamtinhalt des menschlichen Geistes. Später, nach Erfindung der Prosa, überläßt sie dieser das Lehrhafte und behält für sich die Darstellung, die Empfindung, statt der Einsicht die Aussicht.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen,  1847)


Es ließe sich sehr gut durchführen, daß der Poesie die natürliche Ansicht der Dinge zugrunde liege, der Prosa aber die gesellschaftliche. Die Poesie würdigt Personen und Zustände nach ihrer Übereinstimmung mit sich selbst oder der ihnen zugrunde liegenden Idee; die Prosa nach ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen. Sie sind daher wesentlich voneinander getrennt, zwei abgesonderte Welten: und wer poetische Ideen in die wirkliche Welt einführt, steht in Gefahr, mit prosaischen die Poesie zu verfälschen.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1841)


Die Gegenwart ist nie poetisch, weil sie dem Bedürfnis dient, das Bedürfnis aber ist die Prosa.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1841)



Es ist das Grundübel der Poesie (der lyrischen besonders) aller neueren (neuesten) Nationen, daß sie sich zur Prosa hinneigt. Nicht dadurch, daß sie trivial wird (das geschah eher in früheren Zeiten), sondern gerade, wenn sie sich erhebt. Ihre höchste Erhebung ist nämlich bis zum Gedanken, indes nichts poetisch ist als die Empfindung.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1835)



Diese neuere Lyrik ist kein Fluß, in dem man schwimmen kann; sie ist ein Weiher, in dem sich zwar auch Sonne und Sterne spiegeln, der aber durchrankt von Wasserpflanzen ist, gestockt von Gedankenstämmen, besandet mit Niederschlag aller Art, so daß es ohne Waten nicht abgeht. Man kann darin allerdings noch baden, aber schwimmen nicht. Und es schwimmt sich so erquicklich in Gottes freier Luft ohne Arg und besonders Nachdenken!

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1835)



Dieses matte Schaukeln zwischen Himmel und Erde, Prosa und Poesie, das die neuere Lyrik charakterisiert, macht mir Uebelkeit; will ich einmal den Boden verlassen, so gescheh' es im Luftball steilrecht in die Wolken hinauf.

Vortreffliche Bausteine, diese Legion wahrgefühlter deutscher Gedichte, aber ich sehe kein Gebäude.

Andere Nationen suchen in der Kunst Befriedigung, die Deutschen Anregung, Aufregung vielmehr, ein unbestimmtes, endloses Vibrieren gehört unter ihre Genüsse.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1835)



Das ist das prosaische Element der neuesten deutschen Poesie: sie bespricht die Gegenstände, statt sie darzustellen.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836)


Was nun mein Vorsatz ist: Der Verstandes- und Meinungspoesie unserer Zeit nicht nachzugeben. Das Bild, die Gestalt, Gefühl und Phantasie festzuhalten und der Unmittelbarkeit der Anschauung zu gehorchen, die splitterrichtende Kritik mag dazu sagen, was sie will.

(Brief 1838)



Die älteren lyrischen Dichter der Deutschen unterscheiden sich von den neueren besonders darin: jenen war das lyrische Ganze das Höchste. Um die Kontinuität des schwellenden Zuges nicht zu unterbrechen, nahmen sie es mitunter mit dem Gedankenreichtum nicht zu genau. Der Gedanke mußte sich dem Ausdruck fügen. Die Neuern setzen sich den Gedanken vor und suchen dann die Einkleidung. Ausdruck und Gedanken sollen aber zugleich geboren werden; wenigstens darf keines vorherrschen.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1836)



Das Heer der deutschen Poesie hat schwere und leichte Reiterei, wie jede Kriegsmacht. Die schwere ist Mann und Roß dichtgepanzert, unangreifbar und undurchdringlich. Das Rüstzeug besteht zwar nur aus vielfältig verdoppeltem Papier und Pappdeckel; aber man weiß, daß ein Buch, Druckpapier oder Makulatur, selbst einer Flintenkugel widersteht. Leider hindert sie das Gewicht des Apparats, weiter zu kommen. Selbst unangreifbar, sind sie auch nicht im stande, zu ergreifen, zu bewegen, zu erobern, zu gewinnen. Unbeweglich stehen sie und schwingen den Flamberg ins Blaue. Was freiwillig in ihre Nähe kommt, wird ihre sichere Beute.

Die leichte Reiterei ist ebenso leicht, als die andere schwer ist. Ihre Armatur klafft von allen Seiten. Unfähig, den Wind zu durchschneiden, werden sie vielmehr vom Windzuge vor sich hergetrieben. Sie besiegen alles, was im jeweiligen Strich der Windrose von ihnen überritten wird.

Der größte Teil der Dichter aber gehört zum Fußvolk. Sie sind zwar wie die Reiter und noch dazu meistens schwer gerüstet, haben aber keine Pferde. Sie begnügen sich daher, mit den Füßen zu treppeln, und dazu in die hohle Faust Schnetterdeng, Schnetterdeng zu blasen. Die gefeiertsten Dichternamen der neuern Zeit gehören zu dieser Abteilung. In ihrer Fahne führen sie eine Rose mit einem ganz kleinen p davor.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1835-1836)


Wenn man von einem goldenen Zeitalter der Litteratur spricht, so meint man gewöhnlich den Gipfelpunkt, den die Redekünste, namentlich die Poesie eines Landes erreicht haben. Und mit Recht. Einesteils ist die Poesie der Ausdruck und die Zusammenfassung der litterarischen und menschlichen Bildung einer Nation; ihr Einfluß ist der durchgreifendste und weitgreifendste, und solange es keine Wissenschaften im strengsten Verstande gibt, wird die Poesie immer an der Spitze der geistigen Bestrebungen stehen, da sie das ist oder wenigstens sein kann, was sie sein soll, ein Ziel, das den Wissenschaften entweder für immer, oder doch für jetzt streng versagt ist. Wenn die letzteren einmal demonstrativ werden sollten, wenn sie je die erstletzten Gründe ihrer Folgerungen angeben könnten, würde die Poesie zu einem angenehmen Spielzeug herabsinken, für jetzt aber hat sie den Vorzug, wie die Natur sagen zu können: Das ist, und wenn das Gemüt die Wahrheit empfunden hat, ist von einem Erweis oder Zweifel weiter nicht die Rede.

(Aesthetische Studien, Zur Poesie im allgemeinen, 1857-1858)


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