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Florian Voß: In Flip-Flops nach Armageddon

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Jayne-Ann Igel


Streifzüge durch die Hölle


Vier Sätze zu Voß


I)

Florian Voß’ Armageddon ist komponiert aus vielerlei literatur- und kulturgeschichtlichen Zutaten – Nein, kein Gedanke an den gleichnamigen Film, eine der vielen Weltuntergangssagas oder eher -märchen, ohne die die Menschheit nicht auszukommen scheint und in denen letztendlich immer Rettung in Sicht, doch so läuft das Ding eben nicht. Mental beschäftigen wir uns schon über Jahrhunderte, wenn nicht gar seit Anbeginn bewußter Zeitwahrnehmung, der Geschichtsschreibung, mit Endzeitszenarien, wie sie in Johannis Offenbarung zugrundegelegt, nur daß in der Gegenwart nicht eine biblisch grundierte Prophetie den Anstoß dafür gibt, sondern die Faktizität der Langzeitfolgen menschlischen Wirkens auf Erden und eine vertiefte Kenntnis der Wechselwirkungen und Zusammenhänge für Beunruhigung sorgt. Von den Dürftigkeiten des Katastrophenschutzes einmal abgesehen, bereiten wir uns jedoch praktisch kaum darauf vor. In der Praxis drehen wir nur immer schneller am Rad, das uns dem Abgrund entgegen führt, mitsamt dieser rasanten Verwertungsmaschinerie, in der die Entwertung schon vorprogrammiert ...

II)

Tatsächlich gehen wir, die wir den Vorzug genießen, nicht in irgendeinem vergessenen Flecken in der sogen. Dritten Welt unser Leben fristen zu müssen, in Badelatschen nicht nur ins (Heim-) Kino, diverse Untergangsszenarien zu konsumieren, wir gehen derart wohlstandsgesättigt und beschuht in eine Katastrophe, die eher als Prozeß verstanden werden muß und wohl kommen wird, wenn wir der Erde auch noch das Letzte entreißen. „Fracking“, das Gewinnen von Schiefergas ohne genaue Kenntnis der Risiken für Mensch und Umwelt, ist dabei nur der letzte „Schrei“ ... Voß unternimmt mit Dante Streifzüge durch diese Hölle, und Fakt ist, daß die überall und zu jeder Zeit sich dartun und im Supermarkt, in einer Fußgängerzone (Hölle das war die Fußgängerzone der Stadt Kassel) oder in der Badeanstalt ihr höllisches Treiben entfalten kann. Das Alltägliche muß unter diesen Bedingungen grotesk erscheinen, surreal, als passiere man ein Panoptikum, spähe durchs Schlüsselloch in einen der Räume von Hesses Magischem Theater oder wäre in Arno Schmidts Elysium, einer Art Zwischenreich für Untote gelandet. Gewaltphantasien haben da ebenso Platz wie schwarzhumorige Konsumkritik oder die Verspottung all dessen, was dem Zeitgeist, am Massengeschmack orientiert, so unabdingbar erscheint. Und selbst das kindliche Ich bleibt nicht verschont von Einblicken in dieses Treiben, auch wenn es noch keinen Begriff davon hat, doch schon auf buntem Eispapier/ war ein Stahlstich von Doré/ der die Hölle zeigte. In seinem ironisierenden Spiel mit dem literaturhistorischen Erbe wie mit biblischen Anklängen könnte man Voß als neobarocke Dichternatur betrachten. Zudem läßt mich der doppelbödige Sprachgestus an Brants Gesellschaftssatire „Das Narrenschiff“ denken. Brant war ein Zeitgenosse Schedels, von dem wiederum das Motto für den Vorspruch zum ersten Kapitel des vorliegenden Bandes stammt. Aber Voß zielt nicht einschlägig oder eindeutig, wie es der Titel signalisieren könnte, auf einen finalen Punkt, sondern läßt Deutungshorizonte offen.

III)

Für Voß scheint es überhaupt kein Problem, die künstlichen (virtuellen) und Kunststoffwelten, die mittlerweile unsere Wirklichkeit dominieren, zu poetisch erfahrbaren zu machen resp. sie in diese sprachliche Verdichtung einzubeziehen. Das entsprechende zeitgenössische Vokabular kommt in einer Selbstverständlichkeit, als wäre es schon immer Bestandteil poetischen Sprechens wie sinnlicher Erfahrung gewesen. Da ist die Nacht aus E-Ink gemacht oder der neueste und beste KINDLE so dunkel wie das All. Gern zeiht die Literaturkritik die jüngeren zeitgenössischen Dichterinnen und Dichter einer dominierenden Ich- und allzu wenig Weltbezogenheit, doch auf Voß trifft das überhaupt nicht zu. Wenn man in diesem Band blättert, tauchen Seite für Seite immer neue Facetten und Aspekte auf, die einen in ganz andere Richtungen führen, so auch im Kapitel „Ghostbook“, das vielleicht als das persönlichste bezeichnet werden kann und in dem sich autobiographische Bezüge mit geschichtlichen vermischen. Wir werden mit der Seife auf schulischen Toiletten konfrontiert, ihrem Talggeruch, durchstreifen Mietskasernenhöfe, begegnen auf Zeitreisen Rimbaud als Waffenhändler in Aden oder geraten nach Kierling, einem Ort nahe Wien.

IV)

Großartig erscheint mir der Zyklus Nacht/ Nukleus. Nacht erschöpft sich für Voß nicht in Finsternis oder als Sphäre, in der (Alb)Träume generiert werden. Wenn er von ihr als Mutterleib spricht, oder Muttermund, der im Dunkeln sichtbar, wird rasch klar, daß in diesem Zeit-Raum auch die Möglichkeit des Werdens, Lebens inbegriffen ...


Florian Voß: In Flip-Flops nach Armageddon. Gedichte. Berlin (Verlagshaus J. Frank) 2013. 100 Seiten. 13, 90 Euro.

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