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Fernando Pessoa: An den ersten Tagen des plötzlich herangekommenen Herbstes

Montags=Text

Fernando Pessoa
übersetzt von Werner Wanitschek


Nos primeiros dias do outono subitamente entrado

An den ersten Tagen des plötzlich herangekommenen Herbstes, wenn die Dunkelheit die Offenkundigkeit von etwas Vorzeitigem erhält und es scheint, als würden wir uns mit allem, was wir am Tag machen, verspäten, genieße ich, selbst unter der täglichen Arbeit, diese Vorwegnahme von Untätigkeit, die das Dunkel mit sich bringt, deswegen weil Nacht ist und die Nacht Schlaf, Heim, Befreiung ist. Wenn Licht gemacht wird im weiträumigen Büro, das nun nicht mehr dunkel ist, und wir Abend haben, ohne daß wir aufhörten, unsere Tagesarbeit zu machen, empfinde ich eine törichte Gemütlichkeit wie eine Erinnerung von jemand anderem, und ich bin beruhigt durch das, was ich schreibe, als würde ich lesen bis ich fühle ich werde schlafen gehen.

Wir alle sind Sklaven äußerer Umstände: ein Sonnentag eröffnet uns weite Felder inmitten eines Nebenstraßencafés; vor einem Schatten auf dem Feld verkriechen wir uns in unserem Inneren, und finden uns schlecht geschützt im türlosen Haus unserer selbst; der nahende Abend erweitert, selbst unter den Tagesangelegenheiten, wie ein sich langsam öffnender Fächer, das innere Bewußtsein, ruhen zu müssen.

Doch dadurch gerät die Arbeit nicht in Verzug: sie kommt in Schwung. Wir arbeiten nicht mehr; wir erholen uns bei der Sache, zu der wir verdammt sind. Und plötzlich, durch das gewaltige linierte Blatt meines beziffernden Schicksals, beherbergt das alte Haus der einstigen Tanten, gegen die Welt verschlossen, den schläfrigen Zehn-Uhr-Tee, und die Petroleumlampe meiner entschwundenen Kindheit, die nur auf dem Tisch mit dem Leinentuch strahlt, verdunkelt mir, mit ihrem Licht, die Sicht auf Moreira, der Unendlichkeiten von mir entfernt von einer schwarzen Elektrizität erleuchtet wird. Man bringt den Tee – es ist das Dienstmädchen, älter als die Tanten, das ihn mit den Resten des Schlafes und der geduldigen Übellaunigkeit der Zärtlichkeit alter Vasallenschaft bringt –, und ich schreibe fehlerlos einen Betrag oder eine Summe durch meine gesamte tote Vergangenheit hindurch. Ich versenke mich wieder in mich, verliere mich in mir, vergesse mich in fernen Nächten, von Pflicht und Welt unbefleckte Mysteriums- und Zukunftsjungfrauen.

Und so sanft ist die mich Soll und Haben entfremdende Empfindung, daß, wenn man zufällig eine Frage an mich richtet, ich sanft antworte, als hätte ich wirklich dieses hohle Sein, als wäre ich nichts anderes als eine mit mir geführte Schreibmaschine, tragbares geöffnetes Selbst. Die Unterbrechung meiner Träume verletzt mich nicht: sie sind so sanft, daß ich sie zu träumen fortfahre hinter all dem Sprechen, Schreiben, Antworten, sogar Unterhalten. Und durch all dies hindurch nimmt der entschwundene Tee sein Ende, und das Büro schließt … Ich erhebe von dem Buch, das ich langsam zumache, von ungeweinten Tränen müde Augen, und in einem Empfindungsgemisch ertrage ich es, daß beim Schließen des Büros sich auch mein Traum schließt; daß ich mit der das Buch schließenden Handbewegung die unwiederbringliche Vergangenheit zudecke; daß ich schlaflos ins Bett des Lebens gehe, ohne Begleitung und Ruhe, in der Ebbe und Flut meines vermischten Bewußtseins, wie zwei Gezeiten in dunkler Nacht, am Ende der Schicksale meiner Sehnsucht und Untröstlichkeit.
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