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Fernando Pessoa: (É uma oleografia sem remédio)

Montags=Text

Fernando Pessoa
übersetzt von Werner Wanitschek

É uma oleografia sem remédio

Es ist ein unrettbarer Farbdruck. Ich schaue ihn unverwandt an, ohne zu wissen, ob ich ihn sehe. Im Schaufenster gibt es noch andere und diesen. Er befindet sich in der Mitte des Schaufensters unter der Treppe.

Sie drückt den Frühling an die Brust, und die Augen, mit denen sie mich unverwandt anschaut, sind traurig. Sie lächelt mit Papierglanz, und die Farbe ihrer Wangen ist rot. Der Himmel hinter ihr ist vom Blau heller Stoffe. Sie hat einen feingezeichneten, fast kleinen Mund, über dessen Postkartenlächeln hinweg mich die Augen immer noch mit großem Kummer anblicken. Der Arm, der die Blumen festhält, erinnert mich an den von jemandem. Das Kleid oder Bluse öffnet sich zu einem eingefaßten Dekolleté. Die Augen sind wirklich traurig: sie blicken aus dem Hintergrund der lithographischen Realität mit einer gewissen Wahrheit auf mich. Sie kam mit dem Frühling. Ihre traurigen Augen sind groß, aber nicht deswegen. Ich trenne mich von dem Schaufenster mir gegenüber durch große Gewaltanwendung auf die Füße. Ich überquere die Straße und drehe mich um in ohnmächtiger Auflehnung. Sie hält noch immer den Frühling fest, den man ihr gab, und ihre Augen sind traurig, wie das, was ich nicht habe im Leben. Aus der Ferne gesehen hat das Ölbild dann doch mehr Farben. Sie trägt ein ihr Haar oben umgebendes kräftig-rosafarbenes Band; ich hatte es nicht bemerkt. In Menschenaugen, selbst lithographischen, ist etwas Furchtbares: die unvermeidliche Ankündigung des Bewußtseins, der heimliche Schrei vom Vorhandensein der Seele. Mit großer Mühe erhebe ich mich aus dem Schlaf, in den ich eingetaucht bin, und schüttele wie ein Hund die Feuchtigkeiten des Nebeldunkels ab. Und über meiner Flucht, in einem Abschied von irgend etwas anderem, blicken mich unverwandt die traurigen Augen des Lebens insgesamt, dieses von uns aus der Entfernung betrachteten metaphysischen Farbdruckes, an, als wüßte ich etwas von Gott. Unten an dem Kupferstich ist ein Kalender. Eingerahmt ist er oben und unten von zwei schwarzen, leicht gewölbten schlecht gemalten Leisten. Zwischen dem oberen und unteren Rand, über der mit altertümlicher Schönschriftvignette den unvermeidlichen ersten Januar bedeckenden 1929, lächeln mich die traurigen Augen ironisch an.

Es ist merkwürdig, woher ich das Bild eigentlich kannte. Im Büro hängt hinten in der Ecke ein gleicher Kalender, den ich oft angesehen habe, aber aus einem geheimnisvollen Grund, der im Farbdruck oder in mir liegt, hat die Gleiche aus dem Büro keine leidvollen Augen. Es ist nur ein Farbdruck. (Er ist von Glanzpapier und schläft über dem Kopf des linkshändigen Alvos sein verblassendes Leben.)

Ich möchte über all dies lächeln, doch empfinde ich ein großes Unbehagen. Ich fühle die Kälte einer plötzlichen Krankheit in der Seele. Ich habe nicht die Kraft, mich gegen diesen Widersinn aufzulehnen. Welchem Fenster zu welchem nur Gott bekannten Geheimnis habe ich mich da ohne es zu wollen genähert? Wohin führt das Schaufenster unter den Treppen? Welche Augen blickten mich an auf dem Farbdruck? Ich zittere fast. Ich erhebe unwillkürlich die Augen zu dem entfernten Winkel des Büros, wo sich der wirkliche Farbdruck befindet. Ich halte meine Augen ständig nach dort oben gerichtet.

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