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Ezra Pound: Der Geist der Romantik

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Jan Kuhlbrodt

Zu Pounds Geist der Romantik


1

Schon seit einiger Zeit lese ich Ezra Pound hinterher. Einerseits aus Gründen musikalischer Erbauung, gepaart mit politischer Abscheu, andererseits aber auch, weil ich in Pound und Brecht Antipoden ausgemacht zu haben glaube, zwischen denen sich zumindest die ersten beiden Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts aufspannen wie ein zwar durchlöcherter, aber doch wie ein Schirm.     Und auch in diesem Buch finde ich wieder Koinzidenzen, dieses Mal am besten festzumachen an beider Rezeption des Werkes Villons, der Pound wie in ABC des Lesens auch hier ein eigenes Kapitel wert ist – und Brecht zur Selbststilisierung in Villons Manier.
    Brecht und Pound, der frühe Link ist also Villon. sie zitieren fast die gleichen Verse, im Gedicht der eine und im Vortrag der andere:
    Pound zitiert Villons „Ballade der toten Dame“ in Geist der Romantik

She whose Beauty was more than human?
But where are the snows of yester-year!
 
Und Brecht in „Lied eines Freudenmädchens„

Wo sind die Tränen von gestern Abend?
Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?


2

Es handelt sich bei „Der Geist der Romantik“ um ein frühes theoretisches Werk Ezra Pounds. Er selbst würde es als Prosa bezeichnen, was es wohl auch ist, auch wenn er sich in einem Brief an die Eltern, den er während der Arbeit an dem Buch schrieb, zur Lyrik bekennt und aufatmend gesteht, dass Prosa ihm nicht liegt.
Entstanden jedenfalls ist das nun erstmal in deutscher Übersetzung vorliegende Buch (warum hat Eva Hesse sich das entgehen lassen?) auf der Grundlage einiger Vorlesungen, die Pound vertretungsweise 1909/10 an der London Politechnic hielt.
    Das Manuskript erfuhr in den Jahren mehrere Erweiterungen und Umarbeitungen, am wichtigsten vielleicht das Einfügen eines Kapitels im Jahre 1930: Psychologie und Troubadours – Eine Abschweifung von Fragen der Technik. Hier finden sich einige Anmerkungen, die zentral sein dürften für Pounds Kunstverständnis überhaupt:

Die interpretierende Funktion ist die höchste Auszeichnung der Künste, und deshalb finden wir, dass eine Art von hyper-szientifischer Präzision der Prüfstein der Kraft des Künstlers ist, seiner Ehrwürdigkeiten, seiner Authentizität.


3

Man kann durchaus annehmen, Zeuge zu sein, bei der Herausbildung von Pounds dichterischem Selbstverständnis. Im Zentrum dabei steht die Rezeption der Göttlichen Komödie.
    Pound marschiert durchs Purgatorium wie ein Zoologe durch einen botanischen Garten und freut sich am Ende wie selbiger, der einen Ameisenhaufen entdeckt hat.

Schelling schreibt in einem Aufsatz, der 1803 im von ihm und Hegel betriebenen Kritischen Journal der Philosophie erschien, über Dante: „Im Allerheiligsten/ Wo Philosophie und Poesie verbündet,/ steht Dante als Hohepriester und weiht die ganze Moderne Kunst für ihre Bestimmung ein. Nicht ein einzelnes Gedicht, sondern die ganze Gattung der neueren Poesie repräsentierend und selbst eine Gattung für sich steht die Göttliche Komödie so ganz abgeschlossen, so dass die von einzelnen Formen abstrahierte Theorie für sie ganz unzureichend ist und sie als ihre eigene Welt auch ihre eigene Theorie fordert.“ Dass Schelling hier in einem philosophischen Aufsatz unvermittelt mit einem Zeilenbruch arbeitet, scheint der Danteschen Strahlkraft geschuldet. Und auch für Pound steht die Commedia im Zentrum seiner Untersuchung über den Geist der Romantik. Aber genauso wichtig scheint mir ihm die Aufnahme des Troubadours Daniel zu sein. (Als kleiner Tipp am Rande: Es lohnt sich sehr, hier mit Marcel Beyers Rezeption des Minnesängers Muskatblut zu vergleichen.)


4

Pound ist nicht sparsam mit Zitaten, so dass mit dem Geist der Romantik auch ein Lesebuch vorliegt, und zwar dreisprachig. Mittelalterliche Texte ins englische übertragen, von Rossetti zuweilen, aber auch von Pound selbst, und deren deutsche Übersetzung aus verschiedenen Quellen. Dazu  Übersetzungen des Herausgebers Florian Scherübl, an denen man sich abarbeiten kann, das es nur so eine Freude ist, weil Zufriedenheit und Übersetzung sich im Grunde immer notwendig ausschließen, aber sich eben einklinken in einen unendlichen Diskurs.


Ezra Pound: Der Geist der Romantik. Übersetzt von Florian Scherübl. Berlin (Wolff Verlag) 2018. 334 Seiten. 19,90 Euro.
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