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Dichter in der Münchner Räterepublik: Erich Mühsam

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Erich Mühsam



Eine zentrale Figur der Münchner Räterepublik war der Dichter und Publizist Erich Mühsam. Seine Tagebücher aus der Zeit der Münchner Räterepublik sind leider verschollen. Sie setzen erst mit Reflexionen in der Festungshaft wieder ein. Überliefert sind eine Reihe von Schriften und Reden, denen zu entnehmen ist, dass sich der Anarchist Mühsam ganz in den Dienst dieses Unternehmens gestellt hat. Er formuliert Flugblätter wie dieses:


Bayern ist Räterepublik
Ohne Rücksicht auf Streitigkeiten ihrer Führer hat sich die werktätige Bevölkerung im Willen zusammengeschlossen, den Sozialismus, den Kommunismus zu verwirklichen!

Aus dem Rätesystem wird die sozialistische Gesellschaft herauswachsen, die keinen arbeitslosen Wohlstand und keine Armut des Fleißigen mehr kennen wird.
...


Erich Mühsam


Hier ist natürlich der Wunsch Vater des Gedankens, wie die ganze Räterepublik natürlich auf tönernen Füßen stand. Aber ihr und Mühsam aus diesem Grund Blauäugigkeit zum Vorwurf zu machen, resultiert aus einer Effizienzlogik, die letztlich dem Verwertungssystem geschuldet ist, das die Räterepublik überwinden wollte. Und dass ein von Dichtern und Theoretikern geführtes Staatsgebilde keinen langen Bestand haben kann, wissen wir zumindest seit Platons hilflosen Versuch in Syrakus. Aber Vergeblichkeit war Mühsam kein Argument. Und vor allem entsteht aus dem Widerspruch von Anspruch und Vergeblichkeit eine Politische Publizistik, wie sie ihres Gleichen sucht. Es ist nach wie vor eine Freude in den von Mühsam herausgegebenen Zeitschriften Fanal und Kain zu lesen. Und seine Tagebücher formulieren den Roman der ersten dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Selbst ihre Auslassungen haben dramaturgischen Wert.

Am 12. Juli 1919 notiert er:

Nachmittags (gegen 6 Uhr). Nun wissen wir also Bescheid. Wenn es nach dem Willen des Standgerichts geht, habe ich die nächsten 15 Jahre meines Lebens in Festungshaft zu verbringen.

Mitglieder der ersten bayerischen Räteregierung
in der Festungsanstalt:
stehend (v.l.n.r.): n.n., Toni Waibl, Rudolf Hartig, Valentin Hartig, n.n.,
sitzend (v.l.n.r.): August Hagemeister,
Erich Mühsam, Olschewski - um 1920


Er wird 5 Jahre absitzen, aber ziemlich genau fünfzehn Jahre nach dem Richtspruch von Nazis erschlagen.

Wie soll man Mühsam gedenken, der am 10. Juli 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet wurde? Vielleicht holen wir uns Hilfe bei ihm selbst, und schauen zu, wie er Freunden und Kollegen gedenkt. So schreibt er in einem Nachruf auf Peter Hille:


Schönheit war Peter Hille alles; und Schönheit, Dichtung und Leben war ihm eins. Und doch sah er auch die grausamen Abgründe, an deren Rand man ihn stieß. Und doch kannte auch er Minuten der Bitterkeit, in denen er der Häßlichkeit Ausdruck gab. Wie schmerzlich ist dieser Aphorismus: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wer nicht arbeitet, soll speisen; wer aber gar nichts tut, darf tafeln.“


Mühsam zitiert Hille hier an dem Punkt, wo sich die Werke beider treffen, die unterschiedlicher nicht sein können. Während Hille seinen Vers gewissermaßen kosmologisch schweifen ließ, fokussierte Mühsam auf politische Gegebenheit. Das macht die Mühsamverse zeitanfälliger, sie sind gewissermaßen nur aus dem Moment ihrer Entstehung heraus zu genießen und zu verstehen.
Denn so sind die meisten von ihnen auch entstanden, sie sind Reaktionen auf Bewegungen der Politik und zuweilen auch programmatische Formulierungen. Und diese Anbindung an die zeitlichen Umstände lässt sie natürlich altern.

Ein Gedicht aber gibt es, was diesen Umstand auf grandiose Art und Weise aufhebt:


Ich bin ein Pilger ...


Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt ¬ weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.

Jan Kuhlbrodt


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