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Daniel Bayerstorfer: Vom Schallen ferner Hörner

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay

Alfred Victor, Comte de Vigny
Foto: Félix Nadar



Daniel Bayerstorfer
Foto: U. Schäfer-Newiger



Daniel Bayerstorfer



Vom Schallen ferner Hörner.
Alfred de Vignys Le Cor




In einem Gespräch mit Alexander Kluge zitierte Pierre Boulez einen Vers:

Dieu! que le son du Cor est triste au fond des bois


Die Zeile fiel ihm ein, nachdem er gefragt wurde, wie Wagner Wald komponiere. Zwar sprach er ein wenig über Siegfried und sein Horn, mit dem er dem Vögelchen im sog. Waldweben eine Melodie ablauscht, aber warum er einen Vers zitierte, der das Wort “triste” enthält und wieder von der Siegfriedszene wegführt, blieb unkommentiert, hatte er doch das Gefühl, alles weitere zu diesem Thema hinzugefügt zu haben. Man redete nun über etwa anderes. Ich wollte sofort überprüfen, was es mit dem Gedicht auf sich hat, das Vigny 1826 in dem Band Poèmes antiques et modernes veröffentlichte und das anscheinend auf knappen Raum so viel sagt, das man ein Thema abschloss, über das jemand wie Boulez noch eine gefühlte Ewigkeit hätte weiterreden können.

Aufgefordert, bei der Übersetzung der Zeile zu helfen, musste Boulez Kluge korrigieren, der “cor” mit “coeur”, also Herz verwechselte. Natürlich ist diese Verwechslung von Vigny angelegt. Nicht nur bei ihm. Auch den Deutschen, diesen Wunderhornlern, war diese Verbindung bekannt und sie werden auch unter anderem ans Herz gedacht haben und nicht an die Hörner, welche Mozart am Höhepunkt von Figaros Arie A prite un po’ quegli’ occhi dem Gesang und dem Kopf seines Protagonisten aufgesetzt hatte. Dass im zweiten Vers von Vignys Gedicht eine Hirschkuh (la biche) vorkommt, ist aber freilich auch kein Zufall.

Also Boulez. Mich faszinierte sofort die hörnerne Linie Wagner - Vigny, die zwar sicher nicht direkt, also biograpfisch oder rezeptionell, gezogen werden kann, aber sofort die Qualia hüpfen lässt. Neben Siegfried, drängt sich v.a. der zweite Akt von Tristan und Isolde auf: Im Vorspiel hört man aus dem Hintergrund (hinter der Bühne) die Hörner der Jäger, die im schlimmsten Fall nicht nur Hirsche und Hirschkühe erwischen werden. Brangäne warnt Isolde, doch die ist schon wieder am Verklären:

Nicht Hörnerschall / tönt so hold, / des Quelles sanft / rieselnde Welle / rauscht so wonnig daher. / Wie hört' ich sie, / tosten noch Hörner? / Im Schweigen der Nacht / nur lacht mir der Quell. / Der meiner harrt / in schweigender Nacht, / als ob Hörner noch nah dir schallten, / willst du ihn fern mir halten?


Die Hörner werden zur Quelle. Zur tatsächlichen und dem Zeichen, dass Tristan sich naht. Wie bei Vigny wird das Horn sofort umgedeutet und setzt ein Füllhorn Assoziationen frei, wird zur auditiven Fata Morgana. Das gibt es auch bei Mahler oder Bruckner, der bei den Hörnern zu Beginn des Scherzos seiner vierten Symphonie, der Romantischen, an den zweiten Tristan-Akt dachte und ebenfalls eine Ritterszene vor Augen hatte. Auch bei Vigny rittert es gewaltig. Doch eins nach dem andern.

J’aime le son de Cor, le soir, au fond des bois
Soit qu’il chante les pleurs de la biche aux abois,
Ou l’adieu du chasseur que l’écho faible accueille,
Et que le vent du nord porte de feuille en feuille.


So beginnt das Gedicht. Die O-Laute und das finale, sich öffnende “bois” der ersten und das “aux abois” (in äußerster Bedrängnis) des zweiten Verses ahmen wundervoll musikalisch den Klang eines Horns nach und binden ihn zunächst an den Wald. Die Themen werden, wie in einer Ouvertüre noch unkonnotiert ausgestellt. Noch wird das Gedicht behaust von Hirschen, Jägern und Blech. Doch schon das “écho” deutet neben dem akustischen Widerhall innerhalb der Szene an, dass wir dem sprachlichen Personal der ersten Strophe noch einige Male begegnen werden.

Den letzten Vers kennen wir bereits. Boulez hat ihn uns verraten. Etwas Trauriges (triste) muss sich auf der Strecke zwischen dieser Klammer ereignet haben. Das “adieu” des dritten Verses ist zu einem Mitleid erheischenden Anruf Gottes (“Dieu!”) geworden. Was ist passiert?

Que de fois, seul, dans l’ombre, à minuit, demeuré,
J’ai souri de l’entendre, et plus souvont pleuré!
Car je croyais ouir de ces bruits prophétiques
Qui précédaient la mort des Paladines antiques.


“À minuit” (um Mitternacht), zur Geisterstunde, zu der das lyrische Ich schon oft weinen musste, vernahm es die Melodien der Hörner, die ihm den Tod von altertümlichen Paladinen verhießen. Es verortet das Gedicht in den Pyrenäen, ruft die Natur und die Jahreszeiten an, erwähnt Wanderer, Wasserfälle, Lämmer und Hirten. Die Hirschkuh aus der ersten Strophe ist vorerst entkommen und flüchtig (Une biche attentive, au lieu de se cacher), steht auf einem Felsengrat und lauscht dem chant de la romance:

Ames des Chevaliers, revenezvous encor?
Est-ce vous qui parlez avec la voix du Cor?
Roncevaux! Roncevaux! Dans ta sombre vallée
L’ombre du grand Roland n’est donc pas consolée!


Roncevaux! Roncevaux! Ein Ortsname wie eine Fanfare, die Stimme des Horns: tatatá, tatatá. Und dann wird die Hauptfigur präsentiert: Roland. Ariosts Orlando furioso, der Rasende Roland, Rolandsliedroland. Zwar wird er noch “sombre” genannt, doch ändert sich schlagartig im nun beginnenden zweiten Teil, der den letzten Kampf von Hruotland, wie der in einer einzigen Urkunde erwähnte Ritter wohl hieß, darstellt. Vignys Gewährsmänner sind wie so oft Literaten, von denen er Rolands Feinde übernimmt: die Mauren, Muselmänner, Sarazenen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eigentlich christliche Basken waren. Der harmlose Nordwind aus der ersten Strophe ist zu erschlagenen Recken (Tous les preux ètaient morts) aus dem Norden geworden. Nun ist Roland der gejagte Hirsch, der zusammen mit seinem treuen Freund Olivier mit letzter Kraft gegen die Feinde kämpft. Ein herunterbrechender Felsbrocken verschafft ihnen etwas Zeit, auf den Roland zum Schutz vor dem feindlichen Heer klettert, nachdem er ihn mit ganzer Kraft gegen die Bergwand gewuchtet hat. Das Horn ist im Text vorläufig zu Fels erstarrt: “Le roc” (rückwärts gelesen “le cor”) wird zum echoartigen Symbol des Überlebenswillens. Der Soldat, Royalist und Napoleonsgegner Vigny, wie viele Romantiker angesteckt vom auflebenden Nationalismus, interessiert sich für den Moment in der Geschichte, als das Herz von Frankreich zu schlagen begann, und lässt Karl den Großen auftreten, der mit seinem Heer aus dem Norden naht. Aus der Ferne vernimmt der Frankenkaiser ein Horn (Ici l’on entendit le son lointain du Cor) und wird selbst zum Schallexegeten:

“Entendezvous? dit-il. - Oui, ce sont des pasteurs
Rappelant les troupeaux épars sur les hauteurs,
Répondit l’archeveque, ou la voix ètouffée
Du nain vert Obéron qui parle avec sa Fée.”


Ein Hirte, der seine Herde ruft? Oder ist das kein jammervoll pastorales Agnus Dei, sondern am Ende Oberon, der mit seinen Feen in strahlendem Dur spricht wie in der gleichnamigen Oper von Weber? Aber da geht der Klang schon in Moll über … et, tandis qu’il y songe, / Le Cor éclate et meurt, renait et se prolonge ... und Karl erkennt in dem Horn das von Roland. Der “roc” ist mittlerweile rückwärts gerollt, über das “cor” und die beiden ausharrenden Kämpfer hinweg. Das “coeur” Rolands schlägt bald nicht mehr, und der Atem reicht kaum zum Blasen aus, nur zu einem letzten Hauch, einem Diminuendo mit lethalem Ausgang:

“...Tous deux sont écrasés sous une roche noire;
Le plus fort, dans sa main, élève un Cor d’ivoire,
Son ame en s’exhalant nous appela deux fois”

Dieu! que le son de Cor est triste au fonde des bois!


Alle Reimwörter zieht es zu “bois”, die wie ein Echo den Klang des Wortes “Wald” widerhallen lassen. “Eine Stimme”, um mit Zagajewski zu sprechen “von der wir nicht wissen, ob sie noch dem Körper gehört oder vielleicht schon der Luft.”

Mit dem Tod Rolands in den Pyrenäen steckt Vigny auch die französische Landkarte ab, verbindet das Schicksal eines Individuums mit dem seiner Nationalität, zeigt ein weiteres Mal die gefährliche Verbindung von Naturbeschwörung und Politik in der Romantik: der politische Wald, die Nationalität der Blätter, gottgegeben. Das eigentümliche Fragezeichen in diesem Gedicht ist die Tatsache, dass Roland durch eine Naturgewalt, nämlich dem schwarzen Felsen (“roche noire”) umkommt. Wer die vielen Schönheiten dieser Alexandriner genießen möchte, muss dabei zusätzlich schlucken, dass mit dem schwarzen Felsen auch das Heer der Mauren gemeint ist.

“Auch in seinen ruhigen Gedichten bleibt Vigny geheimnisvoll, und der Ursprung dieser Ruhe und ihrer unsagbaren Schönheit bleibt uns verborgen”, schreibt Marcel Proust, der Vigny, zusammen mit Baudelaire, als den plus grand poète des 19. Jahrhunderts betrachtet hat und der sich seiner Madeleine oder der Sonate von Venteuil und keiner Blasinstrumente bedient hat, um eine Geschichte heraufzubeschwören. Prousts Lieblingskomponist war Wagner.

In der Götterdämmerung treffen Siegfrieds und Hagens Hörner totbringend aufeinander. Tristan muss sich zu Beginn des dritten Akts unter höllischen Schmerzen, im Todeskampf das Englischhorn eines Hirten anhören. Wagner lässt es zur Strafe beim letzten, erlösenden H-Dur-Akkord der Oper als einziges Instrument schweigen. Boulez konnte das wunderbar dirigieren.

__________

Alfred de Vigny: Le cor

I

J'aime le son du Cor, le soir, au fond des bois,
Soit qu'il chante les pleurs de la biche aux abois,
Ou l'adieu du chasseur que l'écho faible accueille,
Et que le vent du nord porte de feuille en feuille.

Que de fois, seul, dans l'ombre à minuit demeuré,
J'ai souri de l'entendre, et plus souvent pleuré !
Car je croyais ouïr de ces bruits prophétiques
Qui précédaient la mort des Paladins antiques.

O montagnes d'azur ! ô pays adoré !
Rocs de la Frazona, cirque du Marboré,
Cascades qui tombez des neiges entraînées,
Sources, gaves, ruisseaux, torrents des Pyrénées ;

Monts gelés et fleuris, trône des deux saisons,
Dont le front est de glace et le pied de gazons !
C'est là qu'il faut s'asseoir, c'est là qu'il faut entendre
Les airs lointains d'un Cor mélancolique et tendre.

Souvent un voyageur, lorsque l'air est sans bruit,
De cette voix d'airain fait retentir la nuit ;
A ses chants cadencés autour de lui se mêle
L'harmonieux grelot du jeune agneau qui bêle.

Une biche attentive, au lieu de se cacher,
Se suspend immobile au sommet du rocher,
Et la cascade unit, dans une chute immense,
Son éternelle plainte au chant de la romance.

Ames des Chevaliers, revenez-vous encor?
Est-ce vous qui parlez avec la voix du Cor ?
Roncevaux ! Roncevaux ! Dans ta sombre vallée
L'ombre du grand Roland n'est donc pas consolée !

II

Tous les preux étaient morts, mais aucun n'avait fui.
Il reste seul debout, Olivier prés de lui,
L'Afrique sur les monts l'entoure et tremble encore.
"Roland, tu vas mourir, rends-toi, criait le More ;

"Tous tes Pairs sont couchés dans les eaux des torrents."
Il rugit comme un tigre, et dit : "Si je me rends,
"Africain, ce sera lorsque les Pyrénées
"Sur l'onde avec leurs corps rouleront entraînées."

"Rends-toi donc, répond-il, ou meurs, car les voilà."
Et du plus haut des monts un grand rocher roula.
Il bondit, il roula jusqu'au fond de l'abîme,
Et de ses pins, dans l'onde, il vint briser la cime.

"Merci, cria Roland, tu m'as fait un chemin."
Et jusqu'au pied des monts le roulant d'une main,
Sur le roc affermi comme un géant s'élance,
Et, prête à fuir, l'armée à ce seul pas balance.

III

Tranquilles cependant, Charlemagne et ses preux
Descendaient la montagne et se parlaient entre eux.
A l'horizon déjà, par leurs eaux signalées,
De Luz et d'Argelès se montraient les vallées.

L'armée applaudissait. Le luth du troubadour
S'accordait pour chanter les saules de l'Adour ;
Le vin français coulait dans la coupe étrangère ;
Le soldat, en riant, parlait à la bergère.

Roland gardait les monts ; tous passaient sans effroi.
Assis nonchalamment sur un noir palefroi
Qui marchait revêtu de housses violettes,
Turpin disait, tenant les saintes amulettes :

"Sire, on voit dans le ciel des nuages de feu ;
"Suspendez votre marche; il ne faut tenter Dieu.
"Par monsieur saint Denis, certes ce sont des âmes
"Qui passent dans les airs sur ces vapeurs de flammes.

"Deux éclairs ont relui, puis deux autres encor."
Ici l'on entendit le son lointain du Cor.
L'Empereur étonné, se jetant en arrière,
Suspend du destrier la marche aventurière.

"Entendez-vous ! dit-il. - Oui, ce sont des pasteurs
"Rappelant les troupeaux épars sur les hauteurs,
"Répondit l'archevêque, ou la voix étouffée
"Du nain vert Obéron qui parle avec sa Fée."

Et l'Empereur poursuit ; mais son front soucieux
Est plus sombre et plus noir que l'orage des cieux.
Il craint la trahison, et, tandis qu'il y songe,
Le Cor éclate et meurt, renaît et se prolonge.
"Malheur ! c'est mon neveu ! malheur! car si Roland
"Appelle à son secours, ce doit être en mourant.
"Arrière, chevaliers, repassons la montagne !
"Tremble encor sous nos pieds, sol trompeur de l'Espagne !

IV

Sur le plus haut des monts s'arrêtent les chevaux ;
L'écume les blanchit ; sous leurs pieds, Roncevaux
Des feux mourants du jour à peine se colore.
A l'horizon lointain fuit l'étendard du More.

"Turpin, n'as-tu rien vu dans le fond du torrent ?
"J'y vois deux chevaliers : l'un mort, l'autre expirant
"Tous deux sont écrasés sous une roche noire ;
"Le plus fort, dans sa main, élève un Cor d'ivoire,
"Son âme en s'exhalant nous appela deux fois."

Dieu ! que le son du Cor est triste au fond des bois !

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