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Crauss: Schönheit

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Dirk Uwe Hansen

Schönheit ohne Grazie reizt, aber hält uns nicht fest, /
wie ein Köder, der im Wasser schwimmt, ohne Haken.
 (Kapiton, Anthologia Graeca 5,67)


Wie erfreulich: Die edition poeticon geht in die zweite Runde. Und wieder sind es große Themen, denen sich die Autoren je auf ihre eigene Art widmen.

Die „Schönheit“ hat sich dabei der Siegener Dichter Crauss vorgenommen und schränkt sogleich und zum Glück im Untertitel ein: „Eine Simultanabschweifung mit Grimm“ wird versprochen. Und geliefert. Denn Crauss unternimmt gar nicht erst den Versuch, eine systematische Abhandlung darüber zu verfassen, was denn Die Schönheit sei (eine Frage, an der seit Platons Hippias schon so mancher sich die Zähne ausgebissen hat), auch wenn natürlich die Klassiker von „Ein schönes Mädchen ist schön“ bis hin zum „Interesselosen Wohlgefallen“ in seinem Text auftauchen. Er schweift herum zwischen den Autoritäten von Theognis über Opitz bis Eco wie zwischen Küche (wo ein nicht ansprechbarer Gesprächspartner auf Esperanto deliriert), Bücherregal (das beneidenswert gut gefüllt zu sein scheint) und Balkon (zur dringend nötigen Erholung), vergleicht lustvoll Äpfel mit Birnen und teilt dabei fröhlich mit (ganze Passagen aus Grimms Wörterbuch etwa) und manchmal auch grimmig aus.

Es ist nicht immer einfach, dabei die Grenzen zwischen Zitierten und Zitierendem zu erkennen – und nicht immer nötig, bei einem Autor, der sich gern auch mal selbst zitiert; man wird hier und da ein paar Seiten zurückblättern wollen, um den Beginn einer Gedankenbewegung zu finden und sicher auch so manches Mal den Wunsch verspüren, sich mit Crauss auf eine Zigarettenlänge auf den Balkon zurückzuziehen, um die Stapel sedimentieren zu lassen und abzuwarten, dass Schönheit aus Irritation entsteht.


Diese Operation gelingt mir nicht immer und ich frage mich z.B., warum der schöne Spruch „Was schön ist, ist uns auch lieb“, den Theognis den Musen und Grazien in den Mund legt, hier Umberto Eco in den Mund gelegt wird. Oder ob in der Formulierung „nicht jede ausgedrückte kippe reicht als bild für ein gedicht“ ein (in meinen Augen ungerechtfertigter) Seitenhieb gegen Johanna Schwedes‘ Gedicht Warschauer Straße stecken soll – und, wenn ja, warum das nicht gesagt wird (denn mag Grimm auch erkenntnisfördernd sein, zähneknirschender Groll ist es sicher nicht).

Doch sei dem, wie es wolle, Crauss Text zu lesen bleibt ein Vergnügen, ein lehrreiches zudem und eines, bei dem der Leser allmählich merkt, dass dieses seltsame Ding der poetischen Schönheit nur in der Bewegung (nicht umsonst bezieht Crauss sich immer wieder auf Martina Hefter und ihre tänzerischen Gedichte) zu fassen ist.



Crauss: Schönheit. Simultanabschweifung mit Grimm. Berlin (Verlagshaus J. Frank - edition poeticon #05) 2014. 50 Seiten. 7,90 Euro.

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