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Christoph Michels: im gelb & weiter

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Christoph Michels


im gelb & weiter



& es ist: gefasel & klimpernde kaffeetassen: vorbeifahrende autos: wind in den bäumen: als ein handy klingelt: „oui – bonjour“ & mädchenlachen & irgendwo eine sirene: vielleicht ein krankenwagen: sind es mädchenschuhe & verzögert: der geruch von parfum - - - den espresso runterkippend: reißt’s die augen auf: und das mädchen: nur noch von hinten: verschwindet sie zwischen anderen: zwischen touristen: - - : & sonne auf dem asphalt: diese schornsteine & eine weiße gardine aus einem der fenster gegenüber hängend: weht sie: hin und zurück.
& was denken - - - & sie - -
& die hände: rote flecken: bläschen: sind stechen: sind - -
als zwei braunhaarige – mit: kurzen röcken: hinter schwarzen sonnenbrillen: die eine ohne bh - - kommen sie über die straße: diskutierend auf die beiden letzten freien tische zeigend: setzen sie sich dann an den grünen metalltisch: genau neben mich - - sitzen sie nah: ihr parfum: zu nah - - & ohne mich zu beachten: in der karte blätternd: ohne die sonnenbrillen abzusetzen: die überkreuzten beine - : sind es solche mädchen, denen alles um sie herum egal ist - - - als dann eine dritte: blonde: ohne sonnenbrille: winkend: über die straße kommt: sie sich lachend umarmen: dann wieder setzen: schaut sie mich kurz an - - und: lächelt – aber dann: bin ich mir nicht mehr sicher - - sie fangen an zu rauchen und rauchen: wie solche mädchen eben rauchen – & die blonde: ihre kippe lässig in den asphalt haltend: ihre rot lackierten fingernägel - - und ihren nachdenklichen blick dann auf einmal durch lautes lachen unterbrechend - - und ich zwinge mich wegzuschauen.
„stell dir das mal vor“ : zwei deutsche, die mir erst jetzt auffallen: wahrscheinlich mutter und tochter: blond: mit ihren perlenohrringen & ihren weißen blusen: am nachbartisch auf der anderen seite: an ihren kaffeetassen herumfingernd: „es klingt so simpel & blöd: mit einem lkw in menschen fahren - - sie konnten ihn erst nach zwei kilometern stoppen – zwei kilometer! - - über sechzig tote - - “ - - & kann ich dann nicht mehr - - - kann nicht mehr hinhören - -
wieder aufs handy schauend: nichts – nichts von ihr & dass -
als ein heruntergekommener: vielleicht algerier: in braunem: zertragenem mantel: fleckiges shirt: vorbei humpelt: auf eine krücke gestützt: einen alten pappbecher in die sitzenden haltend: ohne dass jemand hochschaut - - & schweiß & pisse - - lehnt er sich dann am ende des cafés an die hauswand.
& sie schaut nicht her - -
der heruntergekommene mit resignierendem blick weitergehend.
die mädchen lachen – für sich.
die mutter und die tochter faseln monoton: die junge sagt „nice“ & „ach was“.
& dass es sinnlos ist - - fünf euro auf den tisch legend: gehe ich: ohne mich umzudrehen: noch einmal aufs handy - - : nichts - - bevor das signal dann weg ist - -
an einem dieser kleinen kioske: kaufe ich rote gauloises: stecke sie ein ohne die packung zu öffnen: die glatte folie: immer wieder in der tasche hin und her drehend: werde ich ruhiger.
eine straße wie die andere. die fassaden sind hoch und weit.
- - die hitze drückt in die gassen und ich: von schatten zu schatten: ohne irgendwohin zu wollen - - aber trotzdem müssend – irgendwie.
eines dieser beschissenen pärchen: sein lachen: ihr lachen - - drehe ich mich in die bröckelnde fassade - -
& immer wieder der boulevard: die autos: die steinerne kirche: das deux magots & wie sie alle heißen & dass es nur noch touristenattraktionen sind - - muss ich dann umdrehen: nach neuen gassen suchend: gehe ich langsam: als eine mädchenstimme von hinten: „excuse me“ und ich mich umdrehe: eine blonde in einem weißen shirt von irgendsoeiner band: die verwaschene kurze jeans: mit einem braunen hut: lächelt sie: mit gesenkten augen: „do you have some money? i don’t know where to go - - “ : mich dann direkt anschauend: ihre augen: braun & irgendwas - - so was - - gebe ich ihr zwei euro: - - : „thank you so much: merci“ : aber sie geht dann nicht: und steht da und: „where are you from?“: „germany“ : steht sie mit gekreuzten beinen: leicht wippend und lacht: „ich spreche deutsch – von der schule“ - - & dass ich gehen sollte - - fragt sie dann mit schiefem kopf: „was machst du? möchtest du spazieren?“: ruhig & verraucht: und irgendwie weit weg & irgendwie egal: „klar – gerne“: geht sie: ohne auf mich zu achten: fängt sie an zu pfeiffen: dann eine melodie: und der boulevard: diese touristencafés: die autos im feierabendverkehr: leute kommen nervös aus der metro: und dieses - - diese unruhe - - - ein alter am boden sitzend: hält er den dreckigen stumpf seines einen beines in die vorbeigehenden und sie bleibt stehen: nimmt dann einen apfel aus ihrer tasche: - - : sagt irgendetwas und sein lächeln - - und ich kann nicht denken – und sie fängt einfach an zu reden: „ich bin aus toulouse – ich wollte meinen freund besuchen – aber er ist aufs land gefahren – weil er mit einem anderen kämpfen muss“: „kämpfen? warum? deinetwegen?“:  „ich weiß nicht – aber jetzt bin ich alleine und ich komme nicht in die wohnung - - und dann habe ich meine kreditkarte verloren - - “ - - ich kann nicht mehr zuhören - - die schatten sind länger geworden -  - es muss nach fünf sein - - ein radfahrer: schimpfend: weicht einem auto aus - - eine zeitung wird über die straße geweht - - bis sie vor eines der autos klatscht - - & ihre haare: wellen sich unter dem hut: bei jedem schritt mehr und sie trägt keine ohrringe: und setzt sich dann auf eine der holzbänke: „komm“ : ihre arme auf ihren braunen beinen: sind vernarbt: schnitte: vernarbte schnitte überall – ihren hut neben sich legend: „hast du eine zigarette?“ : und mir fallen die gauloises ein  - - & ihr silbernes feuerzeug & wir rauchen: - : ihre lippen sind roter & die augen dann müde: als sie den rauch - - „ich will schriftstellerin werden“ : ihr leerer blick an mir vorbei: „ich fand dieses buch: bei meinen großeltern: die zeit war ein schaukelstuhl & dann: dieses buch: übers meer – ich habe es verbrannt – mit meinen notizen – im winter – ich musste - “ : & dass sie - - & wie sie: schaukelstuhl sagt - - & die augen weiter in den asphalt: mit der halb aufgerauchten kippe in der rechten: wird ihr gesicht schwer: - - : „ich hab es noch mal gelesen - im krankenhaus - - “ & nur das rauschen der autos & - - „was ist denn passiert?“ – und sie schaut auf die kippe und anders als vorher: dann: „how do you say that? - - depressionen - - ja“: lacht sie dann auf einmal: ihre knie ans kinn ziehend: kaut sie an ihren fingernägeln und die sinkende sonne und der langsame abend über den boulevard: dieser boulevard & auch die touristen werden langsamer - & sie wirft die kippe auf den asphalt: ins gelb & ich meine hinterher: und dann schaut sie mich an: „warum bist du nach paris gekommen? im august?“ - - und meine hände: die roten bläschen - - wie von jemand anderem - : „einfach so“ & weiß, dass sie es nicht - - - „gibt es etwas, ohne das du nicht leben kannst?“ - - & dass es nichts mehr zu sagen gibt: „ich weiß nicht“ : fühle ich mich dann dumm neben ihr und sie mit weiten augen: „schreiben – ich muss schreiben - - diese meer war wie so ein japanisches bild - - dieses blaue meer – verstehst du?“ - - und ich nicke & sie sagt dann so etwas wie: „man muss verrückt sein“ & „ich habe nicht mehr viel zeit“ & zeit: zeit: schießt’s ins hirn - - als sie auf einmal: „wie spät ist es?“: schaut sie dann auf ihre uhr: „ich muss gehen - - hast du noch eine zigarette?“ : und ich gebe ihr zwei kippen – die sie : ihren hut aufsetzend: in ihre tasche steckt: „au revoir“: lächelnd: ins gelb: die gehwegplatten: die bäume: vorbeilaufende: ihre haare: ihr hut: alles in diesem gelb & langsam & ich sitze, ohne mich bewegen zu können - - sie dreht sich nicht um & sieht einsam aus: und geht: bis sie in der metro verschwindet - -
wohin sie will - - - & ihr gesicht: ihre augen: weg: alles weg.
es ist kurz nach sechs.
das gefühl länger nicht aufs handy geschaut zu haben.
einen vorbeigehenden nach feuer fragend: zünde ich mir dann noch eine an.
und das deux magots: die kellner in ihren weißen hemden & diese beschissenen touristen - -
& was es war, als ich aus dem zug stieg - - & es ist nur noch: versiffte zugtoiletten: grauer bahnhofsbeton: touristen: tote hausfassaden & diese beschissenen pärchen.
mehr gestern als heute.
ein jucken an den händen: zerkratzend: die roten flecken: schuppig: dann blutig: fängt es wieder an - - -
den abgegriffenen camus: aus der tasche ziehend: das braune vergilbte papier: dieser geruch: und die worte in dickem schwarz: „aujourd’hui maman est morte. Ou peut-être hier, je ne sais pas“ - - -
diese beschissenen worte & dass es egal ist, ob sie sich meldet & wut & die hände weiter aufkratzend: läuft es blutig: ohne dass es besser wird und ich reiße die erste seite aus dem buch: dann die nächste und weiter & das vergilbte papier im wind: auf dem gehweg: auf dem boulevard: die blicke der touristen: bis nur noch der einband - -  und nervös und mit schweren beinen und kaputtem hirn in richtung metro: als es nicht mehr geht & dieses gelb: irgendwie weit weg: und der harte beton: ist warm: die kippe langsam wegrollend und worte durchs hirn: durchs hirn im krampf: schießt’s ineinander:

Z-E–I-T: es ist zeit
                 weil gestern
                                & morgen
                 & sag: grau - - sag es
                                        verfickte scheiße: sag es

                   & das blaue meer
                                                               die straßen
                                                                let’s go
                                                               der boulevard
                                                               zerfickt
                                                              & zeit: ist es: dann
und ich liege einfach. bleibe liegen.     
und die sprünge im asphalt: zwischen den schnellen beinen: der zersprungene asphalt: ist dann alles.



(Christoph Michels gewann am 29. April 2017 mit im gelb & weiter den Haidhauser Werkstattpreis des Münchner Literaturbüros.)

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