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Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte

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Jan Kuhlbrodt

Das Rätsel Christine Lavant



Ich habe einmal einen Nachmittag in der Wohnung eines Lektors in Göttingen verbracht. Es gab ein treffen der Jungen Magazine in der Stadt und ich war als Redakteur der Leipziger Literaturzeitschrift Edit angereist. Und wie es so ist, wenn man die Wohnungen von Leuten besucht, durchstöbert man auch das Bücherregal. Ich fand zwei Bändchen mit Gedichten von Christine Lavant, die ich bis dahin nur vom Namen her kannte (allerdings so, dass im Namen schon ein magischer Klang mitschwang.) Jedenfalls war der Nachmittag für mich gelaufen, es gab wohl auch Kuchen, und ich hoffe, ich blieb dem Lektor nicht in allzu unangenehmer Erinnerung, denn ich hatte mich für die Zeit des Besuchs in Lavants Bänden festgelesen.

Dabei handelte es sich bei der Art dieser Dichtung eigentlich nicht um die Weise des Schreibens, die ich bis dato besonders gern las. Metrisch korrekte Texte, zuweilen mit Endreim. Sachen, die man unter Umständen als altbacken bezeichnen würde, und die Themen entsprachen auch nicht gerade jenen, die mich zum Zeitpunkt berührten. Und auch heute treffen sie nicht gerade den Zeitnerv.
Was war es also, das mich seinerzeit begeisterte und, da ich die Texte wiederum lese, begeistert.


Die Möglichkeit zur erneuten Lektüre gibt mir der Göttinger Wallstein Verlag in dem ein voluminöser Band mit Lavants zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichten herausgekommen ist, der jetzt seit gut einer Woche auf meinem Schreibtisch liegt.
Meine Begeisterung trägt allerdings bei der erneuten Lektüre andere Züge als damals, ich lese mich nicht mehr wie im Rausch durch den ganzen Band, sondern gehe langsam von Gedicht zu Gedicht und bin nach einiger Zeit auch erschöpft.
Das Sprachmaterial ist doch, fällt mir jetzt auf, in einer bestimmten Art eingeschränkt.


Ein stählernes Band hält die lose
Wurzel der Zunge im Zaum und versetzt
Deinen Namen als Auge in neunerlei Rinden.
Bald wirst du in dir einen Segenbaum finden,
Einen Dorn über Dornen der alles verletzt
Was dich heilt, um das Heil zu verhindern.


Man kann, denke ich, Lavants Verse auf zweierlei Art lesen. Zum einen aus der Biografie der Autorin heraus.

Lavant wurde 1915 als Christine Habernig als neuntes Kind in einer Bergarbeiterfamilie im Lavanttal geboren. Sie war ein kränkliches Kind, gebeutelt von Lungenentzündung und später von Tuberkolose. Es ist höchstwahrscheinlich der aufopfernden Zuneigung in ihrer Familie zu verdanken, dass sie die Kindheit überhaupt überlebte. Initial zur lyrischen Produktion war wohl die Begegnung mit einigen Texten Rilkes. Und bis zu ihrem Tod (1973) wurde sie von Schwäche und Krankheiten geplagt. Ein Leben, wie ein Plot zu einem zweiteiligen Geschichtsschinken des ZDF.

Liest man die Texte unter diesem biografischen Aspekt verwandeln sie sich in eine Beschwörung des Lebens und eine Bitte um Trost. Dem korrespondiert ein Brief, der im Nachwort zum Band zitiert wird:

Solange ich schreibe, bin ich glücklich, wenn es auch oft mit solchen Schwierigkeiten verbunden ist, von denen sich wenige eine Vorstellung machen können. Aber das Schreiben ist halt das einzige, was ich habe.

Damit würde man aber wohl weder der Autorin, noch ihren Texten gerecht werden, wie wohl sie durchaus als Trost- und Erbauungstexte herhalten könnten. Aber wenn sie nur das wären, hätten sie mir seinerzeit nicht derart die Sprache verschlagen und ich hätte mir in Göttingen einen netten Nachmittag bei Kaffee und Kuchen gemacht. Und tatsächlich liegt einiges mehr in diesen Gedichten, und ein Geheimnis liegt wohl auch in der Auffächerung eigentlich karger Themen.

Lavant lebt und schreibt auch in einer Zeit, in der traditionelle Werte und Normen ihre Gültigkeit verlieren und mit ihnen auch die Formen der Literatur, zumindest so lang sie sich nicht ins Widerständige wenden. Jüdische und widerständische Autoren wie Kramer oder Krakauer werden ins Exil getrieben, andere wie Grün werden im KZ ermordet. Viele verstummten. Übrig geblieben im Land, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, war ein Bodensatz nationalistischen Stumpfsinns. Was ist es, was Lavant vor diesem bewahrte, denn ihre Texte sind frei von derart Gedöns?

Im Nachwort zum Band zitiert Fabjan Hafner einen weiteren Brief Lavants:

Ich bin halt ein Kuriosum u. meine geistige Situation liegt außerhalb jeder Norm, und ist so schwer begreiflich, daß ich selbst nur mittels Mystik oder Humor manchmal einen blitzartigen Überblick bekomme.

Und vielleicht liegt im Verweis auf die Mystik, wenn man sie als Formenspiel begreift, ja der Schlüssel zu meiner Faszination, im Mandalahaften der Texte und ihrem plebejischen Katholizismus. In jedem Fall sind sie eine einzigartige Leseerfahrung.


Christine Lavant: Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte. Göttingen (Wallstein Verlag) 2014. 720 Seiten. 38,00 Euro.

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