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Armin Steigenberger über William Butler Yeats

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Your mother Eire is always young

Essay über William Butler Yeats zum 75. Todestag am 28. Januar 2014


Armin Steigenberger



Wenn ich an Yeats denke, fällt mir zuallererst die irische Landschaft ein. Als eindrucksvollste Erinnerung taucht als erstes der Coole Lake auf: dort, im Thoor Ballylee Castle, hat William Butler Yeats 12 Jahre lang gelebt und geschrieben. Vom Dach des wuchtigen Turms hat man einen einzigartigen Blick auf den Cool Park. Im September 2007 habe ich in Irland Urlaub gemacht und einige Orte besucht, die in meinen Erinnerungen einen festen Platz haben. So tauchen viele Bilder auf: zuerst der Hain mit hohen Bäumen und ihren weit ausladenden Ästen, unter denen man hinuntergeht zum Coole Lake, der langgezogen daliegt in einer Märchenwelt aus großen grauen mit sanftem Moos bewachsenen Felsbrocken, verzückte Elfen und verschrobene Trolle.



Weg zum Coole Lake


Thoor Ballylee Castle

Coole Lake

THE WILD SWANS AT COOLE

THE trees are in their autumn beauty,
   The woodland paths are dry,
Under the October twilight the water
Mirrors a still sky;
Upon the brimming water among the stones
Are nine-and-fifty swans.

The nineteenth autumn has come upon me
Since I first made my count;
I saw, before I had well finished,
   All suddenly mount
   And scatter wheeling in great broken rings
Upon their clamorous wings.

I have looked upon those brilliant creatures,
And now my heart is sore.
All's changed since I, hearing at twilight,
The first time on this shore,
The bell-beat of their wings above my head,
Trod with a lighter tread.

Unwearied still, lover by lover,
   They paddle in the cold
Companionable streams or climb the air;
Their hearts have not grown old;
Passion or conquest, wander where they will,
Attend upon them still.

But now they drift on the still water,
Mysterious, beautiful;
Among what rushes will they build,
By what lake's edge or pool
Delight men's eyes when I awake some day
To find they have flown away?

DIE WILDEN SCHWÄNE BEI COOLE

Die Wege sind trocken, die Bäume im Herbst
    sind schön in ihrer Fülle,
unterm Oktober dämmert das Wasser, 

spiegelt Himmels Stille;

und mitten im Strom zwischen Steinen jene
neunundfünfzig Schwäne.



Der Herbst überkam mich das neunzehnte Mal,

da fing ich zu zählen an;

ich war noch nicht fertig, da flogen sie auf,
   ich sah es, und wie sie dann
   sich weit zerstreuten in großen gebrochenen Ringen 

auf schlagenden Schwingen.



Ich blickte auf diese prachtvollen Wesen,

nun tut das Herz mir weh.

Alles wird anders, bekomm ich im Dämmer

das erste Mal hier am See

den Glockenschlag ihrer Schwingen über mir mit,

getreten mit leichterem Tritt.



Unermüdlich, unzertrennlich
    paddeln sie in den kalten

sich findenden Strömen und fliegen empor;
ihr Herz hat sie jung gehalten;

Ersehnen oder Erringen, wohin sie wandern,
wohnt eines stets beim andern.



Nun treiben sie auf dem Wasser
, still,
seltsam, wunderschön;

wo wachsen die Binsen, in denen sie bauen?
an was für Teichen oder Seen 

erbauen sie die Augen? Erwache ich dann
und treffe sie nicht mehr an?

Günter Plessow, 04.02.2014


Von Irlands Südwesten erinnere ich weitläufige Landschaft, grüne mittelgebirgige Anhöhen, weite Felder und Wiesen mit wüst zerzausten Bäumen. Allüberall kurzgeschorenen englischen Rasen, Ruinen von Kirchen, die anheimeln, darüber schnell wechselndes Wetter, schnell her- und forthuschendes Weiß, steile Berghänge, scheckiges Vieh, Grün. Brombeersträucher mit riesigen Brombeeren die Straßen entlang. Uralte Friedhöfe. Unzählige Krähen. Grundstücksmauern aus Kalkstein. Wattlandschaft, Felsen, bizarre Klippen. Und immer wieder Küste. Seen, die einzigartig sich in die Landschaft betten und oft unverschämt blau sind.


Lake Isle of Innisfree

I will arise and go now, and go to Innisfree,
And a small cabin build there, of clay and wattles made;
Nine bean rows will I have there, a hive for the honey bee,
And live alone in the bee loud glade.

And I shall have some peace there, for peace comes dropping slow,
Dropping from the veils of the morning to where the cricket sings;
There midnight's all a glimmer, and noon a purple glow,
And evening full of the linnet's wings.

I will arise and go now, for always night and day
I hear lake water lapping with low sounds by the shore;
While I stand on the roadway, or on the pavements grey,
I hear it in the deep heart's core.


Man hört es, wie es in the bee loud glade durchdringend schwirrt und brummt, dort, wo das Ich im Gedicht Frieden sucht. Und dieser Frieden ist es, der sich im Schleier des Morgens auf bienendurchsummter Lichtung, dem Tau, der aus dem Frühnebel tropft, auf alles senkt – dropping from the veils. (Hierzu Yeats auf Hördatei ...)

Die eindringliche Intonation englischsprachiger Dichter macht etwas mit mir, sie rührt viel an. Sie lässt mich sogar ein wenig erschauern. Kennengelernt habe ich sie beim Waliser Dylan Thomas. Auch der Vortrag Double You Bee Yeats’ (wie er im Englischsprachigen häufig genannt wird) hat jenen mitreißenden, halbentrückten Ton (auch „keltischer Gesang“, in dem vielleicht ein Anklang an keltische Barden fortlebt), der mir sehr charakteristisch vorkommt. Er scheint mir auch ein Schlüssel zum Verständnis englischsprachiger Dichtung zu sein. Da fange ich plötzlich an zu begreifen, warum deutsche Lyrik ein wenig den Ruf hat, verkopft und tönern-erhaben, mehr Vorlese- als Sprechkunst zu sein. Bombastisch und grau. Faustisch und dunkel. Auch bei zeitgenössischer amerikanischer Poesie hatte ich schon häufig das Gefühl, die doch manchmal etwas schwarzweiße Welt plötzlich (wieder?) in Farbe zu sehen.

Literarisch begegneten mir in Irland hauptsächlich vier Namen: James Joyce, Samuel Beckett, Oscar Wilde und W. B. Yeats, auch „The Four Dubliners“ genannt. Vor allem letzterer wird als Nationalheld gefeiert – erhielt er doch so manche hochdotierte Auszeichnung, nicht zuletzt den Nobelpreis 1923. Hierzulande weiß man nicht wirklich viel über Yeats. Dabei zählt der irische Dichter William Butler Yeats zu den bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Man weiß vielleicht noch, dass er viele Jahre verliebt war in Maud Gonne, die seine Liebe nicht erwiderte – eine Liebe, die sich in diesem Zeitraum vielleicht als eine Art Motor seines Werks begreifen lässt.

Maud Gonne, in England geborene irische Freiheitskämpferin, Feministin und Schauspielerin.

W.B. Yeats


Geboren wurde Yeats 1865 in Sandymount bei Dublin als Sohn des Anwalts John Butler Yeats in eine protestantische Familie und wächst mit den religiösen Spannungen seines Landes auf. Er verbringt die Kindheit bei der Großmutter. Nach Schule und Studium entdeckt er die Literatur. Er befreundet sich mit Oscar Wilde, befasst sich mit französischem Symbolismus und sehr eindringlich mit der englischen Romantik, mit keltischen Mythen und dem Kulturerbe der Iren. Yeats tritt 1896 der Theosophischen Gesellschaft bei, einem intellektuellen Zirkel um die Jahrhundertwende, wo er Gedichte schreibt, die stark von Baudelaire und Verlaine beeinflusst sind. Kern dieser Gesellschaft ist das Bestreben, Religion, Wissenschaft und Philosophie zur Synthese zu bringen. In Sussex, wo Yeats um 1913 eine Zeitlang lebte, war Ezra Pound sein Sekretär. Yeats übte großen Einfluß auf ihn aus, während Pound ihn mit fernöstlicher Literatur bekannt machte. Sein The Lake Isle ist eine Parodie auf Yeats’ Lake Isle of Innisfree. Yeats gilt sowohl als Romantiker als auch als Modernisierer. Er begann mit der Intention, sein authentisches Ich, „his ‚very self‘“, in seine Gedichte zu legen. Yeats gilt als mystischer Träumer und führender Kopf der Irish Literary Revival. Zusammen mit der irischen Schriftstellerin Lady Isabella Augusta Gregory, Edward Martyn und anderen gründete er 1904 das Abbey Theatre, das er bis zu seinem Tod leitet. Es erlangte bald Bedeutung als Zentrum der Irisch-Keltischen Renaissance. 1917 heiratete Yeats die 25-jährige Georgie Hyde-Lee. Man sagt, sie sei medial veranlagt gewesen und habe damit Einfluss auf ihn und sein Spätwerk ausgeübt.

Yeats mit seiner jungen Frau.


Ich forste meine alten Fotos durch. Finde manches, was mich fast beben lässt. Damals habe ich viele Kirchen fotografiert. Kirchen wurden in Irland häufig zerstört im Zuge religiöser und politsicher Verwüstungen. Hierzulande würde angesichts der stetig verwitternden Pracht sofort der Denkmalschutz anspringen, um wenigstens den Stand zu retten; die efeuüberrankten Kirchen wären somit jahrzehntelang von einem Trupp Archäologen abgesperrt, würden wissenschaftlich aufbereitet oder hübsch zu Tode herausgeputzt. Die Iren haben hierbei das etwas andere Konzept. Es bleibt alles, wie es ist, von Erosion und natürlichem Verfall begleitet, der seit Jahrhunderten fortschreitet. Einzig der Rasen um die schön bemoosten Kirchenwracks ist zumeist 1A auf Streichholzlänge heruntergestutzt. Während in den USA – wo dieselbe Leidenschaft für ultrakurzen Rasen vorherrscht – aufheulende Maschinen allerorten schnell wie Go-Karts mit riesigen Sammelbehältern über die Wiesen fegen, habe ich in Irland nie eines gehört geschweige denn gesehen. Vermutlich besorgen das Herunterstutzen des Rasens nächtens die Geister der Sidhe.


THE HOSTING OF THE SIDHE

THE host is riding from Knocknarea
And over the grave of Clooth-na-Bare;
Caoilte tossing his burning hair,
And Niamh calling Away, come away:
Empty your heart of its mortal dream.
The winds awaken, the leaves whirl round,
Our cheeks are pale, our hair is unbound,
Our breasts are heaving, our eyes are agleam,
Our arms are waving, our lips are apart;
And if any gaze on our rushing band,
We come between him and the deed of his hand,
We come between him and the hope of his heart.
The host is rushing 'twixt night and day,
Caoilte tossing his burning hair,
And Niamh calling Away, come away.



Die alten ergrauten Kirchenschiffe bröckeln weiter unter den Naturgewalten, geisterhafte Hüllen in hellem Kalkstein, seit Jahrhunderten stille Ruinen unter dem sich ungestüm wandelnden Himmel, der für keine fünf Minuten bleibt, wie er ist. Dieser Himmel narrt den Kontinentaleuropäer, dessen Gesichtszüge sich verdüstern, wenn der Tag grau ist beim Aufwachen, und dessen Gesicht sich aufhellt, wenn schon vormittags ein hübscher blauer Glanz über allem liegt. Dass sich das Antlitz des Himmels tagsüber wandeln kann, ist keine Frage. Was sich hierzulande sehr träge entwickelt, über Stunden, vielleicht auf die Länge eines Nachmittags, ändert sich in Irland binnen halber Stunden. In Irland hatte ich den Eindruck, dass sich das tiefste, das trübste, schwärzeste Grau innerhalb von Minuten legen kann; wie weggeblasen ist nichts mehr davon da. Auf alles ist mehr Verlass als auf das Wetter.

Schon der junge Yeats vernimmt eine „deutliche Artikulation in der Luft“, er hört als Jugendlicher endlich die Stimme seines Gewissens und ist froh darüber. „Eines Tages erzählte mir jemand von der Stimme des Gewissens, und als ich über den Ausdruck nachdachte, kam mir der Gedanke, daß meine Seele verloren sei, weil ich keine deutliche Stimme vernahm.“, schreibt er in seiner Autobiografie. William betet und holt allabendlich die Fahne des Union Jack ein. Yeats' Großvater war ein tief orthodoxer Rektor in der Kirche von England, während sein Vater ein religiöser Skeptiker war. Dieser Konflikt ging durch den jungen William, ein Riss zwischen Glauben und Unglauben. Sein Streben ging dahin, Balance zu finden zwischen diesen beiden Polen. So fand er neben Buddhismus und andere Überzeugungen wie dem Hinduismus und den tibetischen Mysterien, mit denen er sich beschäftigte, den Okkultismus. Der junge Yeats hat sich mit Blakes Prophetischen Büchern beschäftigt und wurde später Mitglied der diskreten magischen Gesellschaft, der Hermetic Order of the Golden Dawn.

„(…) was Yeats von anderen Dichtern unterschiede, sei eben seine Vertiefung ins Übernatürliche (…) Bis zum heutigen Tag scheint doch sein Verlangen nach dem Okkulten, nach Geistern, Feen und nach uralten Halbgöttern vielen seiner Bewunderer unverständlich (…) Niemals gab er seinen frühen Entschluß wirklich auf, die dichterische Arbeit als seine Hauptaufgabe, die Welt der Magie aber als sein zweitwichtigstes Anliegen zu betrachten. Und mit Magie meinte er – wie wir wissen – das einzig Wahre: mühselige Auseinandersetzungen mit Geistern und regelmäßigen, systematischen, rituellen Umgang mit dem Reich des Übernatürlichen und Übersinnlichen“. (Ted Hughes, Wie Dichtung entsteht. Das poetische Ich: T.S. Eliot zum 100. Geburtstag.) Wo Yeats‘ Symbolismus für manche nicht wirklich verständlich ist, ist sein starkes Interesse für Magie für Rationalisten noch schwerer zugänglich.


THE BALLOON OF THE MIND

HANDS, do what you're bid:
Bring the balloon of the mind
That bellies and drags in the wind
Into its narrow shed.


Klippen, Felsen, schroffes, graues Gestein: in manchen Küstengegenden gibt es regelrechte Steinwüsten, die großen Charme besitzen. Mitten darin oft ein Gedenkstein, ein senkrecht stehender Fels, obeliskartig, oder mehrere, zu einem Monument aufgetürmt. Vor einigen Jahren hatte eine Mischung aus religiösem Bestreben, New-Age-Denken und einer Absage an die moderne Zivilisation Hochkonjunktur. Das Interesse für Megalithgräber und Dolmen boomt bis heute, man sucht „das Keltische“ (was auch immer das genau ist) und Überbleibsel davon nennen sich starke Orte. 2007 hatte ich ein paar Mal den Eindruck, dass jeder Bauer, der etwas dazuverdienen will, sich einen möglichst großen, aufrecht stehenden Steinblock hat auf sein Grundstück karren lassen. Geld wird dort nicht mit Eintrittspreisen, sondern mit horrenden Summen für Parkplätze verdient. Pay and display heißt dieses Konzept. Yeats dagegen, so scheint es, glaubte an das Konzept der Magie in den Dolmen.

THE MAN WHO DREAMED OF FAERYLAND

HE stood among a crowd at Dromahair;
His heart hung all upon a silken dress,
And he had known at last some tenderness,
Before earth took him to her stony care;
But when a man poured fish into a pile,
It Seemed they raised their little silver heads,
And sang what gold morning or evening sheds
Upon a woven world-forgotten isle
Where people love beside the ravelled seas;
That Time can never mar a lover's vows
Under that woven changeless roof of boughs:
The singing shook him out of his new ease.
(…)


Ein Topos irischer Volkslieder ist der junge, lässige Rover, ein lad, immer auf der Pirsch, auf der Walz und auf der Jagd nach einer lassie, einer jungen Frau und einem Gelage, das sich gewaschen hat. Der „Rover“ ist der Typ eines jungen Kerls, der um die Häuser zieht und es dabei gewaltig krachen lässt, aber von seinem Lebenswandel nicht ausgezehrt wird, scheinbar ewig jung.„I'm a rover seldom sober / I'm a rover o' high degree / It's when I'm drinkin' / I'm always thinkin'/ How to gain my love's company." (Hördatei: The Irish Rovers.)
In Erinnerung habe ich einen nicht mehr ganz jungen Kerl mit langen Haaren und grauen Schläfen, der dennoch einen Rest von Smartheit besaß, – an einem sonnigen Spätnachmittag sich an den Außentischen eines Pubs mit einer Frau trifft, offensichtlich Mama und Papa. Ihr kleiner Sohn spielt unter dem Tisch. Sie reden erst kaum, dann wird das Gespräch leidenschaftlicher, sie unterhalten sich schließlich darüber, wie er sich das gemeinsame Familienleben zukünftig vorstelle. Ein lautstarker Streit entspinnt sich: sie mahnt seinerseits mehr Aktivität an, er müsse was tun, solle sich mehr, viel mehr einbringen, und vor allem endlich Geld nach Hause bringen. Seine (ehemalige?) Lebensgefährtin macht ihn zur Schnecke. Er schrumpft auf seinem Sitz zusammen, wird selbst immer mehr zum kleinen Jungen, aus dessen Brusttasche im lässigen Shirt eine Postkarte mit der Aufschrift Greetings from Idleland herausspitzt. Bei aller Tragik der Situation war dies eine sehr komische Koinzidenz.

VIII – GIRL'S SONG

I WENT out alone
To sing a song or two,
My fancy on a man,
And you know who.

Another came in sight
That on a stick relied
To hold himself upright;
I sat and cried.

And that was all my song –
When everything is told,
Saw I an old man young
Or young man old?


IX – YOUNG MAN'S SONG

'SHE will change,' I cried.
'Into a withered crone.'
The heart in my side,
That so still had lain,
In noble rage replied
And beat upon the bone:

'Uplift those eyes and throw
Those glances unafraid:
She would as bravely show
Did all the fabric fade;
No withered crone I saw
Before the world was made.'

Abashed by that report,
For the heart cannot lie,
I knelt in the dirt.
And all shall bend the knee
To my offended heart
Until it pardon me.

(Aus dem 25-teiligen Zyklus Words For Music Perhaps)

Darüber hinaus sind es die Pubs, die fröhlichen Menschen, die lärmenden Pubs, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Pubs, in denen abends gesungen wird, zu fiddle, bodhran und tin whistle, häufig auch zum Akkordeon. In einer dieser Kneipen, in denen schon damals nicht mehr geraucht wurde, habe ich ein ums andere Mal Leute kennengelernt. Einmal hat mir jemand, nachdem er mir die drei Sorten irischen Biers (Stout, Ale und Lager) an praxisnahen Proben anschaulich erklärt hat und ich ihm als trinkfest erschien, zur Belohnung einen Whisky spendiert.

Es gibt in der Keltischen Mythologie eine Affinität zum Tod, der aber völlig anders wie bei uns zum Leben dazugehört. So läuft mir bei Songs wie dem beschwingten Tim Finnegan (dessen sagenhafte Erweckung nach Tod durch Schädelbruch mittels irischem Whiskey die Vorlage bildete zu James Joyces Finnegan‘s Wake), sanft und eiskalt etwas den Rücken hinunter, zumal das Wort Whiskey Lebenswasser bedeutet, von uisge / uisce = Wasser, beatha = Leben). Für kernige Männergesänge und beschwingte wie melancholische Melodien bekannt, begleitet von Fiedel und Banjo, sind Lieder wie Danny Boy, Molly Malone, Whiskey In The Jar, The Galway Races, Muirsheen Darkin, The Fields of Athenry, Rocky Roads to Dublin, u.v.a.


DEATH

NOR dread nor hope attend
A dying animal;
A man awaits his end
Dreading and hoping all;
Many times he died,
Many times rose again.
A great man in his pride
Confronting murderous men
Casts derision upon
Supersession of breath;
He knows death to the bone --
Man has created death.


In diesem Yeats-Gedicht kommt die ganze Dimension des Todes auch in ihrer mythischen Variante zur Sprache. Für mich waren Musik und Tanz ein guter Zugang zum Irischen, oder etwas im hohen Ton gesagt, zur irischen Seele. Allem voran instrumentale Volksstücke, Jigs und Reels – weitaus mehr als nur „wildes Gefiedel“. darin eine Idee von Unsterblichkeit, von ewigem Jungsein (so wie Yeats auch schreibt: Your mother Eire is always young), die auch im Typus des Rovers existiert.

O DO NOT LOVE TOO LONG

SWEETHEART, do not love too long:
I loved long and long,
And grew to be out of fashion
Like an old song.

All through the years of our youth
Neither could have known
Their own thought from the other's,
We were so much at one.

But O, in a minute she changed –
O do not love too long,
Or you will grow out of fashion
Like an old song.


Der melancholisch-innige Klang mancher Gedichte Yeats‘ ist einzigartig. Es ist ein Zauber darin, dazu die Bescheidenheit, bei kleinen Gegenständen bleiben zu können. Gleichzeitig steht in diesem Gedicht die unerwiderte Liebe, die er selbst erlebte, mit der lange Angebeteten. Maud, eine große Frau mit langen rotgoldenen Haaren und braunen Augen, stets gut gekleidet, mit einem dramatischen Zug um den Lippen und in der Haltung einem Modell der Präraffaeliten ähnlich. Yeats traf Maud, als sie 22 und in puncto irischem Nationalismus bereits sehr engagiert war: sie für ihn eine hinreißende revolutionäre „Irish Beauty“, er für sie ein arm, verträumt und naiv aussehender Schüler. Unter dem Eindruck des Osteraufstandes Éirí Amach na Cásca (englisch Easter Rising) 1916 stieg W.B. Yeats aus seinem Elfenturm symbolistischer Wortkunst herab. Die Schauspielerin Maud Gonne hat Yeats politischen Eifer beflügelt. Zusammen organisieren sie Protestveranstaltungen gegen Königin Victoria, sie engagiert sich als Frauenrechtlerin; er schreibt ein Theaterstück für sie. Dabei war er ihr stets zu wenig nationalistisch engagiert, weshalb sie etliche Heiratsanträge von ihm zurückwies. Er wollte nicht zum Katholizismus konvertieren. Dennoch schloss er sich aus seiner Leidenschaft für sie den Irischen Nationalisten an. Die unerfüllte Liebe für Maude Gonne ist ein häufiges, starkes Motiv seiner Texte. W. B. Yeats wurde zum Freiheitskämpfer für die irische Sache. Nach der Unabhängigkeit der Republik Irland hatte er einen Sitz im Senat des neu gegründeten irischen Freistaats, dem Seanad Éireann.

Your mother Eire is always young,
Dew ever shining and twilight grey;
Though hope fall from you and love decay,
Burning in fires of a slanderous tongue.

(Aus dem Gedicht: Into The Twilight.)


POLITICS

‚In our time destiny of man presents
its meaning in political terms.‘
Thomas Mann

HOW CAN I, that girl standing there,
My attention fix
On Roman or on Russian
Or on Spanish politics?
Yet here's a travelled man that knows
What he talks about,
And there's a politician
That has read and thought,
And maybe what they say is true
Of war and war's alarms,
But O that I were young again
And held her in my arms!


Ich erwarb in diesem Urlaub die Gesamtausgabe seiner Gedichte. Gelesen habe ich dann allerdings gar nicht so viel. Eher die Sachen, die mir gefallen haben, immer wieder neu. Sätze wie All empty souls tend toward extreme opinions bleiben mir im Gedächtnis.

He wishes for the cloths of Heaven

Had I the heavens' embroidered cloths,
Enwrought with golden and silver light,
The blue and the dim and the dark cloths
Of night and light and the half-light,

I would spread the cloths under your feet:
But I, being poor, have only my dreams;
I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.


Er sehnt sich nach Himmels Gewändern

Hätte ich Himmels bestickte Gewänder,
gewirkt mit goldnem und silbernem Licht
die blauen und matten und dunklen Gewänder
der Nacht mit dem Licht und dem halben Licht,

ich hätt dir Gewänder zufüßen gelegt:
doch arm, wie ich bin, hab ich nur meine Träume;
so habe ich dir Träume zu Füßen gelegt;
tritt sanft, du betrittsts meine Träume.


Günter Plessow, 24.1.2014


„William Butler Yeats ist eine der vielseitigsten und widersprüchlichsten Gestalten der europäischen Moderne und unbestritten einer der wichtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts. In den fünfzig Jahren seines Schaffens haben ihn seine großen Zeitgenossen bewundert, für nachwachsende Lyrikergenerationen wurde er immer wieder zu einem der ihren.“ (Lyrikline.org)

The Old Men Admiring Themselves In The Water

I heard the old, old men say,
‚Everything alters,
And one by one we drop away.‘
They had hands like claws, and their knees
Were twisted like the old thorn-trees
By the waters
I heard the old, old men say,
‚All that’s beautiful drifts away
Like the waters.‘

In einfacher Sprache werden Szenen umrissen, die scheinbar selbstverständlich sind, und dennoch verströmen Yeats‘ Gedichte anrührende Anziehungskraft. Im Jahr 1923 wurde er als erster Ire mit dem Literaturnobelpreis geehrt, für das, was das Nobelkomitee als inspired poetry, which in a highly artistic form gives expression to the spirit of a whole nation bezeichnete. Yeats gilt als einer der wenigen Autoren, die erst nach der Verleihung des Nobelpreises ihre größten Werke abschlossen, z. B. The Tower (1928) und The Winding Stair und andere Gedichte (1929). T. S. Eliot sagte über ihn, Yeats sei one of those few whose history is the history of their own time, who are part of the consciousness of an age which cannot be understood without them. Lady Gregory begleitet Yeats auf einigen Europareisen. Im Coole Park, Lady Gregorys Anwesen, trifft er auf irische Intellektuelle. Später erwirbt er die nahegelegene Ruine der Normannenburg Thoor Ballylee.

Gebäude- und Landschaftsfotos:
A. Steugenberger


Aus den Zeitungen von 1939:


MENTONE, France, Jan. 29 (AP).--Mr. Yeats died in the little French Riviera town of Roquebrune, after a short illness, at a boarding house where he and his wife had been staying. He will be buried tomorrow at Roquebrune. It was expected, however, that eventually the poet's body would be removed to his native Ireland. Mr. Yeats arrived in Roquebrune early last month in ill health. He suffered repeated heart attacks, and was able to take only short walks in the gardens of the house where he stayed. He had been confined to his bed since Tuesday.“

Nice, France, Jan. 29. -- The death of William Butler Yeats, famous Irish poet and playwright, occurred yesterday near Mentone. Mr. Yeats, who won the Nobel Prize for literature in 1923, was 73 years old.

Cast a cold Eye / On Life, on Death / Horseman, pass by!,
ist auf Yeats' Grabstein in Drumcliff, County Sligo, zu lesen. In Sligo treffen sich alljährlich in der International Yeats Summer School Literaten aus aller Welt.


COOLE PARK, 1929

I MEDITATE upon a swallow's flight,
Upon a aged woman and her house,
A sycamore and lime-tree lost in night
Although that western cloud is luminous,
Great works constructed there in nature's spite
For scholars and for poets after us,
Thoughts long knitted into a single thought,
A dance-like glory that those walls begot.

There Hyde before he had beaten into prose
That noble blade the Muses buckled on,
There one that ruffled in a manly pose
For all his timid heart, there that slow man,
That meditative man, John Synge, and those
Impetuous men, Shawe-Taylor and Hugh Lane,
Found pride established in humility,
A scene well Set and excellent company.

They came like swallows and like swallows went,
And yet a woman's powerful character
Could keep a Swallow to its first intent;
And half a dozen in formation there,
That seemed to whirl upon a compass-point,
Found certainty upon the dreaming air,
The intellectual sweetness of those lines
That cut through time or cross it withershins.

Here, traveller, scholar, poet, take your stand
When all those rooms and passages are gone,
When nettles wave upon a shapeless mound
And saplings root among the broken stone,
And dedicate -- eyes bent upon the ground,
Back turned upon the brightness of the sun
And all the sensuality of the shade --
A moment's memory to that laurelled head.

In Irland ist es eher kalt, wenn man meint, es müsse vom Wetter her warm sein, und eher warm, wenn man meint, es müsse doch eher von den düsteren Farben des Himmels her kalt sein. Oft klart es auf und bringt helles, faszinierendes Licht, das hinter dem hügeligen Land hervorbricht.


***



Weitere Tondokumente:

W. B. Yeats Reading His Own Verse

Der ca. 30-seitige dreiteilige Zyklus The Wanderings of Oisín als Audiobook: hier ...

Das Gedicht The Second Coming (gelesen von Tom O'Bedlam)

Das Gedicht Easter 1916 (gelesen von Tom O'Bedlam)



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