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Alfred Lichtenstein: Der Barbier des Hugo von Hofmannsthal und andere Gedichte

Montags=Text


Alfred Lichtenstein

Der Barbier des Hugo von Hofmannsthal
und andere Gedichte




Der Barbier des Hugo von Hofmannsthal

So steh ich nun die trüben Wintertage
Von früh bis spät und seife Köpfe ein,
Rasiere sie und pudre sie und sage
Gleichgültge Worte, dumme, Spielerein.
Die meisten Köpfe sind ganz zugeschlossen.
Sie schlafen schlaff. Und andre lesen wieder
Und blicken langsam durch die langen Lider,
Als hätten sie schon alles ausgenossen.
Noch andre öffnen weit die rote Ritze
Des Mundes und verkünden viele Witze.

Ich aber lächle höflich. Ach, ich berge
Tief unter diesem Lächeln wie in Särge
Die schlimmen, überwachen, weisen Klagen,
Daß wir in dieses Dasein eingepreßt,
Hineingezwängt sind, unentrinnbar fest
Wie in Gefängnisse, und Ketten tragen,
Verworrne, harte, die wir nicht verstehen.
Und daß ein jeder fern sich ist und fremd
Wie einem Nachbar, den er gar nicht kennt.
Und dessen Haus er immer nur gesehen hat.

Manchmal, während ich an einem Kinn rasiere,
Wissend, daß ein ganzes Leben
In meiner Macht ist, daß ich Herr nun bin,
Ich, ein Barbier, und daß ein Schnitt daneben,
Ein Schnitt zu tief, den runden frohen Kopf,
Der vor mir liegt (er denkt jetzt an ein Weib,
An Bücher, ans Geschäft), abreißt von seinem Leib,
Als wäre er ein lockrer Westenknopf –
Dann überkommt's mich. Plötzlich... Dieses Tier.
Ist da. Das Tier... Mir zittern beide Knie.

Und wie ein kleiner Knabe, der Papier
Zerreißt (und weiß es nicht, warum),
Und wie Studenten, die viel Gaslaternen töten,
Und wie die Kinder, die so sehr erröten,
Wenn sie gefangner Fliegen Flügel brechen,
So möchte ich oft wie von ungefähr,
Wie wenn es eine Art Versehen wär,
An solchem Kinn mit meinem Messer ritzen.
Ich säh zu gern den roten Blutstrahl spritzen.




Der Athlet


Einer ging in zerrissenen Hausschuhen
Hin und her durch das kleine Zimmer,
Das er bewohnte.
Er sann über die Geschehnisse,
Von denen in dem Abendblatt berichtet war.
Und gähnte traurig, wie nur jemand gähnt,
Der viel und Seltsames gelesen hat –
Und der Gedanke überkam ihn plötzlich,
Wie wohl den Furchtsamen die Gänsehaut
Und wie das Aufstoßen den Übersättigten,
Wie Mutterwehen:
Das große Gähnen sei vielleicht ein Zeichen,
Ein Wink des Schicksals, sich zur Ruh zu legen.
Und der Gedanke ließ ihn nicht mehr los.
Und also fing er an, sich zu entkleiden...

Als er ganz nackt war, hantelte er etwas.




Der Lackschuh

Der Dichter dachte:
Ach was, ich hab den Plunder satt!
Die Dirnen, das Theater und den Stadtmond,
Die Oberhemden, Straßen und Gerüche,
Die Nächte und die Kutscher und die Fenster,
Das Lachen, die Laternen und die Morde –
Den ganzen Dreck hab ich nun wirklich satt,
Beim Teufel! Mag werden, was da will... mir ist es gleich:
Der Lackschuh drückt mich. Und ich zieh ihn aus –

Die Leute mögen sich verwundert wenden.
Nur schade ist's um meinen seidnen Strumpf...



Der Traurige

Nein, dies Leben faß ich nicht mehr an.
Mag man mich für närrisch halten –
Heute geh ich nicht ins Gasthaus.
Müde bin ich längst der Kellnerkerle,
Die uns mit blasierten Fratzen,
Höhnisch, schwarze Biere bringen
Und uns ganz verworren machen,
Daß wir nicht nach Hause finden
Und die törichten Laternen
Mit den schwachen Händen stützen
Müssen.
Heute hab ich größre Dinge vor –
Ach, ich will den Sinn des Daseins suchen.

Und am Abend werd ich etwas Rollschuh laufen
Oder mal in einen Judentempel gehn.

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