Adalber Salas Hernández: XI (Mutter nie)
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Adalber Salas Hernández
Aus dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez und
Marcus Roloff
XI
Mamá, nunca
te olvidas de venir,
de estirar tu cuerpo
sobre el frío de la página, en esta
luz áspera, de hospital,
siempre traes
los labios cosidos,
descosidos,
vueltos a coser a mi aliento,
a mis pulmones llenos de sal,
siempre con tus manos duras,
prematuramente viejas,
como piedras lanzadas contra la vida,
contra la muerte,
mamá, no te molestes en consultar
el reloj, la hora no se queda quieta, salta,
el tiempo también tiene tos,
no te molestes, no tiene final,
esto de los minutos no tiene final,
el tiempo tiene un asma que nadie
se atreve a diagnosticar y
no hay orapronobis que valga,
no hay un venganosotrosturreino intravenoso,
no hay esteroides, no hay calmantes,
nebulizadores, nada, no hay, no hay,
y la respiración sibilante no se calla,
y el doctor tampoco se calla, dice
que la habitación tiene fiebre,
que la página tiene fiebre, que se está
secando, agrietando y no hay hilo
para suturarla, no hay,
mamá, dónde está
el hilo de tu voz, el hilo
del que colgabas a tu hijo, dónde está
ahora,
qué cose.
XI
Mutter, nie
versäumst du es,
vorbeizukommen
und deinen Körper
über die ungerührte
Buchseite unter
dieses spröde
Krankenhauslicht
zu halten,
jedes Mal bringst
du
die zugenähten
Lippen mit,
aufgetrennt,
wieder vernäht
mit meinem Atem,
meinen mit Salz
gefüllten Lungen,
jedes Mal
schießen deine rauen,
vorzeitig
gealterten Hände
wie Steine gegen
das Leben,
gegen den Tod,
Mutter, erspar
dir den Blick auf die Uhr,
die Stunde
versinkt nicht einfach im Abendgeläut,
sie hüpft, und
Zeit hustet auch,
lass es einfach,
es hört sowieso nicht auf,
das mit den
Minuten nimmt kein Ende,
die Zeit hat
Asthma, das niemand
zu
diagnostizieren wagt und
es gibt kein
BITTE-FÜR-UNS, das etwas wert wäre,
es gibt kein
intravenös verabreichtes DEIN-REICH-KOMME,
es gibt keine
Steroide, keine Beruhigungsmittel,
Notfallsprays,
nichts, es gibt nichts, es gibt nichts,
und der pfeifende
Atem verstummt nicht,
und der Arzt
verstummt auch nicht, er sagt,
das Zimmer habe
Fieber,
die Buchseite
habe Fieber, dass sie
ausgedörrt,
zerrissen sei, und es gibt keinen Faden,
sie zu nähen, es
gibt nichts,
Mutter, wo ist
der Faden deiner
Stimme, der Faden,
an den du deinen
Sohn gehängt hast, wo ist
jetzt,
was näht.
Adalber Salas Hernández, geboren
1987 in Caracas. Lyriker, Essayist und Übersetzer. Studium der Literatur und
Philosophie. Redaktionsmitglied der Revista
Poesía, Universidad de Carabobo. Aktuell promoviert er an der Fakultät für
Spanisch und Portugiesisch an der New York University. Gedichtbände: La arena, el vidrios
(Equinoccio, 2008), Extranjero (Bid
& co. editor, 2010); Suturas (Bid
& co. editor, 2012); Heredar la
tierra (Común Presencia, 2013); Salvoconducto (XXXVI Premio de Poesía
Arcipreste de Hita, Pre-textos, 2015); Río
en blanco (Sudaquia, 2016); mínimos
(Amargord Ediciones, 2016).
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