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14 Pinselnotizen

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Foto: Rotraud Weiss
14 Pinselnotizen
aus dem Yue wei caotang biji
("aus der Strohhütte der Betrachtung des Unscheinbaren”)

des Ji Yun (Ji Xiaolan, 1724-1805).
Übersetzung: Rupprecht Mayer


1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14

Zu Werk und Autor

Das Werk, dem diese vierzehn „Pinselnotizen“ entstammen, wurde zwischen 1791 und 1798 von Ji Yun (1724-1805) verfasst und in fünf Folgen veröffentlicht. Im Jahr 1800 erschien die Gesamtausgabe unter dem Titel Yuewei Caotang biji („Pinselnotizen aus der Strohhütte der Betrachtung des Unscheinbaren“). Es enthält 1203 Berichte über wunderliche Begebenheiten, z.B. das Auftreten von Fuchsfeen und Totengeistern, aber auch historische, soziale, literarische, landes- und naturkundliche Notizen. Nicht lange davor hatte das Liaozhai zhiyi („Strange Stories from a Chinese Studio“, Erstdruck 1766) von Pu Songling (1640-1715) enorme Popularität erlangt. Auch dieses Werk enthält viele Fuchs- und Geistergeschichten, doch sind diese literarisch tiefer durchgestaltet. Ji Yun distanziert sich explizit von dem ausgeschmückten, für ihn zu „intimen“ Stil und dem Detailreichtum von Pu Songlings Kurznovellen.
    Ein Schicksalsschlag verstärkte seine Ablehnung: Sein begabter Sohn Ji Ruji, mit 21 Jahren schon Absolvent der juren-Prüfung und Anwärter auf einen Kreisvorsteherposten, hatte während eines langen Aufenthalts seines Vaters in Westchina seine Karriere vernachlässigt und führte im Kreis von Gleichgesinnten das Leben eines Bohemian. Das damals nur in Abschriften kursierende Liaozhai zhiyi nahm ihn völlig gefangen, und er begann, im selben Stil zu schreiben. Ji Yun führte die körperliche und seelische Zerrüttung und den baldigen Tod seines Sohns auch darauf zurück.
    Ji Yun beansprucht ein erzieherisches Ziel für sein Werk, und seine konzise und lakonische Darstellungsweise stellt sich in die Tradition des Yijian zhi von Hong Mai (1123-1202, s. HOL Nr. 45). Gemeinsam ist den genannten drei Werken der Zug zur Monumentalität – Hong Mai hatte dabei selbst schon ein älteres Vorbild, das 977 bis 978 entstandene Taiping guangji. Ji Yuns Vorteil gegenüber dem genialen Dorfschullehrer Pu Songling war die reichere Lebenserfahrung, aus der er schöpfen konnte. Die Teegespräche der mächtigsten Beamten am Hof waren ihm ebenso vertraut wie der Existenzkampf der Unterschichten auf dem Land. Und während die übernatürlichen Begebenheiten, deren Glaubhaftigkeit kunstvoll in der Schwebe gehalten wird, die Zeitgenossen faszinierten, liegt für uns der Wert dieser Berichte oft noch mehr in der realistischen Beschreibung des Lebenshintergrundes, die für die zeitgenössischen Leser plausibel sein musste, und die sich heute für uns zu einem überwältigenden Sittenpanorama des 18. Jahrhunderts zusammenfügt.
    Ähnlich wie Hong Mai war Ji Yun einer der angesehensten und erfolgreichsten Literatenbeamten seiner Zeit, und beiden brachte ihr literarisches Talent die Nähe zu ihren Herrschern und deren Gunst. Etwa ein Jahrzehnt verantwortete Ji Yun die größte kaiserlichen Schriftenkompilation der Qing-Dynastie, das Projekt Si ku quan shu. Ungezählte Werke wurden gesichtet und bewertet, ein Teil davon abschriftlich in die Sammlung aufgenommen. Eine Kehrseite des Unternehmens waren die Zensur und die Vernichtung von Werken – besonders der Ming-Dynastie – in denen man eine Kritik des Qing-Regimes zu erkennen glaubte. Diese Arbeit brachte Ji Yun in engen Kontakt mit den führenden Köpfen seiner Zeit. Auch auf Posten außerhalb der Hauptstadt, wie in Hebei und Fujian, bewährte sich Ji Yun, der seinen langen „Platz an der Sonne“ auch der Gewandtheit verdankte, sich neutral aus allen Parteikonflikten innerhalb der hohen Beamtenschaft herauszuhalten.
    Nur einen einzigen temporären Rückschlag gab es in seiner Karriere: als ein mit ihm verschwägerter Beamter der Salzverwaltung in Verdacht geriet, soll er ihn gewarnt haben. Seine Strafe dafür war eine Verbannung nach Urumqi, doch ihr verdanken wir Informationen über das Xinjiang jener Zeit in der Form von Notizen, die in das Yuewei caotang biji Eingang fanden, und von Gedichten.
    Ji Yun verzeichnet zu allen Begebenheiten die Namen seiner Gewährsleute. Viele davon sind Mitglieder seines Clans und befreundete Gelehrtenbeamte, wie Dai Zhen (1724-1777). Beschlossen werden die Berichte in der Regel mit moralischen Bewertungen, oft durch verschiedene Personen mit abweichender Meinung, manchmal mit einem ironischen Unterton. Zwar scheint Ji Yuns Werk auf den ersten Blick das (besonders für Frauen) rigide, uns oft unmenschlich erscheinende ethische System seiner Zeit nicht in Frage zu stellen, doch transportieren sowohl die Geschichten selbst wie die Kommentare nicht selten Kritik an der Morallehre des unter dem Regime von Kangxi dominierend gewordenen songzeitlichen Neokonfuzianismus. Ji Yun und viele Gelehrte seiner Zeit kritisierten das „leere Gerede“ und die Abgehobenheit des Neokonfuzianismus und versuchten, den philologisch abgesicherten, konkreteren Konfuzianismus der Hanzeit zu rehabilitieren.

Etwa ein Fünftel des Yuewei Caoting biji übersetzte K. Herrmann unter dem Titel „Pinselnotizen aus der Strohhütte der Betrachtung des Großen im Kleinen“ (Leipzig/Weimar 1983). Umfangreichere Teile des Werks liegen auf Japanisch und Russisch vor.

Rupprecht Mayer
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